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Politische Korrektheit

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Politische Korrektheit ist eine aus dem angelsächsischen Raum (engl.: Political Correctness) stammende, meist abwertend verwendete Bezeichnung für bestimmte sprachliche Konventionen, die den Abbau von Diskriminierung sozialer Minderheiten zum Ziel haben.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Begriffsentwicklung

Der Begriff "politisch korrekt" wurde zum ersten Mal von jugoslawischen Partisanen im Zweiten Weltkrieg verwendet. Die Neue Linke in Nordamerika griff ihn auf,[1] um gegen die rigidisten Formen der Sprachpolitik innerhalb der Linken zu protestieren. Seit Beginn der 1990er Jahre wandelte sich der Begriff jedoch von einer ironischen Eigenbeschreibung zu einer Kampfformel der politischen Rechten.[2]

Binnen-I auf einem Linzer Verkehrszeichen
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Binnen-I auf einem Linzer Verkehrszeichen

In den 1960er Jahren wurde der Begriff im Zuge der Bürgerrechtsbewegung, der Anti-Vietnamkriegsbewegung und der zweiten Welle der feministischen Bewegung zur moralpolitischen Beurteilung von Sprache und Verhaltensweisen geprägt. Linke, Schwarze und Feministinnen in den USA kämpften damals mit einer Kampagne für Political Correctness für die Veränderung von Sprache, von der sie sich ein Zurückdrängen der Diskriminierung von Minderheiten erhofften.

Mitte der 1980er Jahre wandten sich Studenten vor allen der University of California gegen Pflichtkurse zur „Western Civilization“, in denen nach ihrer Auffassung die Werke „toter, weißer europäischer Männer“ („dead white European males“, gemeint waren vor allem Philosophen der Aufklärung) im Vordergrund standen. Sie verlangten eine Ausweitung des Lehrstoffs in Richtung weiblicher und außereuropäischer Autoren.

Im Zuge dieser Entwicklung entstanden Sprachkodizes (Speech codes), die auf die gerechte Einbeziehung sozialer Minderheiten abzielten. Mit zunehmender Rigidität dieser Sprachregelungen entstand zunächst innerhalb der Linken der ironisch verwendete Begriff politically correct.

Später übernahmen konservative Studierende, Akademiker und Journalisten den Ausdruck und wandelten ihn in eine Chiffre zur Ablehnung linker Antidiskriminierungsbemühungen. Den Charakter eines politischen Kampfbegriffs zur Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner bekam der nun substantivierte Begriff political correctness im Verlauf der 1990er Jahre durch den Einfluss von US-Konservativen.

[Bearbeiten] Antidiskriminierung als Grundlage des Begriffs

Die amerikanische Linke warf der amerikanischen Mehrheitsgesellschaft andro- und eurozentrisch geprägte Wahrnehmungsmuster vor. Die allgemeine Ausdrucksweise vernachlässige durch abwertenden oder gedankenlosen Sprachgebrauch Personen mit abweichenden Merkmalen (weibliches Geschlecht) oder diskriminiere soziale Minderheiten (nach Abstammung, Herkunft, körperlicher oder geistiger Fähigkeiten, sexueller Veranlagung, religiösen Bekenntnisses, sozialer Stellung usw.). Dieses Gesellschaftsbild sollte über den Weg der Sprachnormierung korrigiert werden. Deshalb wurde gefordert, dass an die Stelle beanstandeter Formulierungen vorzugsweise solche Ausdrücke treten, die von den zu schützenden Gruppen selbst verwendet werden.

Art und Intensität der Maßnahmen zur Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung von Belangen sozialer Minderheiten sind sehr unterschiedlich und reichen von der Ablehnung bestimmter Begriffe über Formulierungsvorschläge bis zu rechtlich verbindlichen und sogar sanktionsbewehrten Vorgaben. Dort, wo letzteres der Fall ist, kann die Durchsetzung von Diskriminierungsverboten zu schwerwiegenden Folgen wie der Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis oder hohen Schadensersatzforderungen führen, besonders in den USA, wo sich die als politisch korrekt bezeichnete Antidiskriminierung am weitesten in der Gesellschaft verbreiten konnte. Dort umfasst antidiskriminatorisches Handeln mit Rücksicht auf andere Glaubensrichtungen bisweilen sogar eine Änderung der Bräuche während der christlichen Feiertage im öffentlichen Leben.

Zurückhaltende Vertreter einer nicht diskriminierenden Sprachverwendung betonen die Wichtigkeit der Diskussion und halten die Entwicklung sprachlicher Sensibilität für wichtiger als die Schaffung von gesetzlichen Regelungen. Sensibilität bewirke erhöhte soziale Kompetenz und Aufmerksamkeit sowohl gegenüber sprachlichen Stereotypen wie auch gegenüber den benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen selbst.

[Bearbeiten] Beispiele für antidiskriminatorisch intendierten Sprachgebrauch

[Bearbeiten] Geschlecht

Die durch die feministische Sprachforschung im deutschsprachigen Raum vorgeschlagenen Änderungen im Sprachgebrauch sind ein Beispiel für sprachliche Symbolpolitik. Vorgeschlagen wird die Verwendung des Binnen-I („ArbeitnehmerInnen“) oder genus-neutraler Worte unter anderem, um Frauen sprachlich stärker „sichtbar“ zu machen.

Gegner einer solchen Sprachpolitik weisen auf die Bedeutung des generischen Maskulinums und die Unterscheidung zwischen Genus und Sexus (Sprache) hin.

[Bearbeiten] Abstammung/Ethnie/Herkunft

Bezüglich der Benennung Angehöriger bestimmter Ethnien werden bevorzugt die populärsten Eigenbezeichnungen genannt. So werden etwa in Kanada die indigenen Völker in die Gruppen First Nations, Métis und Inuit (statt Eskimo) unterteilt. Im Deutschen ist die Verwendung des Begriffs Sinti und Roma statt Zigeuner ein typisches Beispiel.

[Bearbeiten] Körperliche/geistige Fähigkeiten

Statt als abwertend empfundener Formulierungen wie „Krüppel“ werden neutralere Ausdrücke wie „Menschen mit Behinderung“ benutzt. Vor allem in den USA, wo die meisten dieser Prägungen entstanden sind, werden Begriffe ins Positive verschoben, um den Fokus nicht auf den Mangel zu lenken; etwa: „anders begabt“ bzw. „mental herausgefordert“ für „geistig behindert“ oder „vertikal herausgefordert“ (vertically challenged) für kleinwüchsig. Vor allem diese fortlaufende sprachliche Umwertung von Begriffen wird von Gegnern kritisiert und parodiert (vgl. dazu auch Euphemismus-Tretmühle).

[Bearbeiten] Produktbezeichnungen

Auch Produktbezeichnungen wurden und werden den Maßgaben der Political Correctness unterworfen. Als Beispiele sind unter anderem zu nennen:

[Bearbeiten] Kritik

Kritik an der mit "politischer Korrektheit" bezeichneten Sprachpolitiken kann man im wesentlich einen primär linguistisch und einen dezidiert sprachpolitischen Zweig unterteilen.

Aus linguistischer Sicht weist etwa der Schriftsteller Max Goldt auf sprachliche Komplikationen bei der Verwendung einiger einschlägiger Stilfiguren hin; zum Beispiel sei die Formulierung „sterbende Studierende“ (im Falle eines Massakers an einer Universität) sprachlich widersinnig, da man nicht "gleichzeitig sterben und studieren" könne.[3]

Des weiteren wird durch eine besonders ungewöhnliche Formulierung für den Leser/ Hörer der Sinn entweder nicht mehr ohne weiteres (z.B. "sterbende Studierende") oder überhaupt nicht mehr (z.B. "mental herausgefordert") zugänglich, oder es werden (da "politisch korrekte" Begriffe oft für Missstände verwendet werden) Fakten bis zur Sinnentstellung verharmlost.

Bei der Bezeichnung diskriminierter Personengruppen kollidieren aus Sicht der Kritiker die Ansprüche der "Politischen Korrektheit" bisweilen mit sich selbst: Zum Beispiel werde die weibliche Form fast ausschließlich bei positiv besetzten Gruppen ausdrücklich genannt; trotz der Existenz von Terroristinnen werde zum Beispiel bei „Terroristen“ oft ohne Widerspruch auf das Binnen-I verzichtet. Bei gemischt-geschlechtlichen Opfergruppen würden bei Nachrichten dagegen Frauen oft extra hervorgehoben, in Tätergruppen jedoch nicht erwähnt. [4]

Der Philosoph Slavoj Žižek weist darauf hin, dass sich politisch korrekte Begriffe abnutzten (die Ersatzbegriffe erben mit der Zeit die Bedeutung des Wortes, das sie ersetzen sollten), wenn sie nicht mit einer Veränderung der sozialen Wirklichkeit einhergingen. So sei allein durch eine fortwährende Neuschöpfung von Ersatzbegriffen (wie in dem US-amerikanischen Beispiel Negroblack peoplecoloured peopleAfrican-Americans) noch keine Veränderung erzielt, wenn nicht den Worten eine tatsächliche soziale Integration folge. Die rein sprachliche Prägung immer neuer Begriffe enthülle die Unfähigkeit, die tatsächlichen Ursachen von Rassismus und Sexismus allein durch Sprachpolitik zu überwinden. Zudem entstehe durch die laufende Neuschaffung von Begriffen eine exzessive Struktur, da jeder Begriff durch den folgenden seinerseits unter Diskriminierungsverdacht gestellt und entwertet werde. Laut Žižek versuche die Geisteshaltung der Politischen Korrektheit durch ihre zirkuläre Selbstbezogenheit alle Spuren der Begegnung mit "dem Realen" (Lacan) zu beseitigen (vgl. Sexuelle Belästigung, Abschnitt Kritik).

[Bearbeiten] Siehe auch

[Bearbeiten] Quellen

  1. Sally Johnson, Stephanie Suhr: From `Political Correctness' to `Politische Korrektheit': Discourses of `PC' in the German Newspaper, Die Welt. In: Discourse & Society 14, Nr. 1, 2003, S. 49-68 (S.49)
  2. Stuart Hall: Some 'Politically Incorrect' Pathways Through PC. In: S. Dunant (ed.): The War of the Words: The Political Correctness Debate. Virago Press, London 1994´, S. 164–84
  3. Max Goldt: Wenn man einen weißen Anzug anhat. Rowohlt Verlag 2002, ISBN 3-498-02493-0, S. 56
  4. 'Das große I verführt zu inkonsequenter ideologischer Anwendung. „Mörder“, „Täter“, „Verbrecher“ und „Aggressoren“ gibt es fast nie mit großem I. Oder hat schon mal jemand den Spruch „SoldatInnen sind MörderInnen“ gelesen?' "Sprachmächtig - 20 Jahre nach dem Binnen-I"; Ute Scheub, taz-Gründungsmitglied

[Bearbeiten] Literatur

  • Katrin Auer: „Political Correctness“ – Ideologischer Code, Feindbild und Stigmawort der Rechten. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 30 (3) 2002, S. 294.
  • Sebastian Barsch, Tim Bendokat: Political Correctness in der Heilpädagogik. In: Zeitschrift für Heilpädagogik Jg. 52 (Nr. 11/2002) Seite 451–455
  • Diedrich Diederichsen: Politische Korrekturen. Kiepenheuer & Witsch, 1996. ISBN 3-462-02551-1
  • Marc Fabian Erdl: Die Legende von der Politischen Korrektheit. Zur Erfolgsgeschichte eines importierten Mythos. Transcript Verlag, Bielefeld 2004
  • Norman Fairclough et al.: Re-visiting 'PC' , Spezialausgabe von Discourse and Society [1], Heft 14/1 (2003).
  • Robert Hughes: Political Correctness oder die Kunst, sich selbst das Denken zu verbieten (OT: Culture of Complaint). Droemer-Knaur, München 1995, ISBN 3-426-77203-5
  • Frigga Haug: pc-Diskurs und neuer Antifeminismus in der Bundesrepublik. In: Das Argument 213, (1996).
  • Wolfgang Fritz Haug: Politisch richtig oder Richtig politisch. Argument Verlag, Hamburg 1999, ISBN 3886193179
  • Brigitta Huhnke: „pc“ - Das neue Mantra der Neokonservativen. In: Andreas Disselnkötter, Siegfried Jäger, Helmut Kellershohn, Susanne Slobodzian (Hg.) : Evidenzen im Fluss. Demokratieverluste in Deutschland. ISBN 3-927388-60-2
  • Jörg Kilian: Sprachpolitik im Alltag: Political Correctness. In: Der Deutschunterricht 55, 2003, H. 2, 52-63. ISSN 0340-2258
  • Rainer Wimmer: „Political Correctness“ - ein Fall für die Sprachkritik. In: Andreas Disselnkötter, Siegfried Jäger, Helmut Kellershohn, Susanne Slobodzian (Hg.) : Evidenzen im Fluss. Demokratieverluste in Deutschland ISBN 3-927388-60-2
  • Dieter E. Zimmer: Die Berichtigung. Über die Sprachreform im Zeichen der Politischen Korrektheit. In: D.E.Zimmer, Deutsch und anders. Die Sprache im Modernisierungsfieber, Reinbek 1997, S.105,180
  • Uwe Pörksen: Plastikwörter. Die Sprache einer internationalen Diktatur. Stuttgart 1988.
  • Martin Wengeler: „1968“, öffentliche Sprachsensibilität und political correctness. Sprachgeschichtliche und sprachkritische Anmerkungen. In: Muttersprache 2002. Heft 1. Gesellschaft für deutsche Sprache e.V., Wiesbaden.
  • Sabine Wierlemann: Political Correctness in den USA und in Deutschland. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2002

[Bearbeiten] Weblinks

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