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Bessarabiendeutsche

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Die Bessarabiendeutschen sind eine deutsche Volksgruppe innerhalb der Schwarzmeerdeutschen, die zwischen 1814 und 1940 in Bessarabien (heutiges Moldawien und heutige Ukraine) lebte. Sie wanderten mit etwa 9.000 Personen zwischen 1814 und 1842 aus Baden, Württemberg, dem Elsass, Bayern sowie aus einst preußischen Gebieten im heutigen Polen in das damalige russische Gouvernement Bessarabien am Schwarzen Meer ein. In ihrer 125-jährigen Geschichte waren die Bessarabiendeutschen eine bäuerliche Bevölkerung. Sie waren bis zu ihrer Umsiedlung ins Deutsche Reich 1940 als Folge des Hitler-Stalin-Pakts mit rund 93.000 Personen und 3 % Bevölkerungsanteil eine Minderheit.

Prominentester Vertreter dieser Volksgruppe ist der deutsche Bundespräsident Horst Köhler. Seine Eltern lebten bis zur Umsiedlung 1940 in der deutschen Kolonie Ryschkanowka in Nordbessarabien und wurden danach im besetzten Polen angesiedelt, wo Horst Köhler 1943 geboren wurde.

Bessarabiendeutsche Frauen beim Weissen der Hofmauer
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Bessarabiendeutsche Frauen beim Weissen der Hofmauer
Bessarabiendeutsche Männer mit landestypischen Felllmützen
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Bessarabiendeutsche Männer mit landestypischen Felllmützen
Das frühere Bessarabien in Europa
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Das frühere Bessarabien in Europa

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Wappen

Wappen der Bessarabiendeutschen
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Wappen der Bessarabiendeutschen

Das Wappen der Bessarabiendeutschen entstand erst nach dem 2. Weltkrieg. Es versinnbildlicht die 1940 verlassene Heimat am Schwarzen Meer. Das Wappen besteht aus einem Schild als Hauptträger des heraldischen Sinnbildes. Auf vier Feldern sind landestypische Farben sowie Symbole der traditionellen Arbeitsgebiete dargestellt. Ihre Bedeutungen sind:

  • Blau symbolisiert den blauen Himmel über der Steppe.
  • Gelb steht für die goldenen Ährenfelder in der weiten Landschaft.
  • Rot ist der Flagge Rumäniens entliehen; der Staat, dem die Bessarabiendeutschen als treue Bürger verpflichtet waren.
  • Der Steppenbrunnen stellt dar, wie wichtig Trinkwasser im trockenen Klima für Menschen und Tiere war.
  • Das Kreuz ist Sinnbild für die Kirche und den ausgeprägten Glauben.
  • Die Ähren am Kreuz sind Zeichen für den Ertrag der schweren Arbeit und symbolisieren das tägliche Brot.
  • Das Pferd weist auf den treuesten Helfer des Bauern hin, mit dem er den fruchtbaren Schwarzerdeboden kultivierte.

[Bearbeiten] Bessarabisches Heimatlied

Das Bessarabisches Heimatlied wurde 1922 vom Direktor der deutschen Lehrerbildungsanstalt Werner-Seminar in Sarata Albert Mauch (Text und Melodie) geschaffen. Der Text lautet:

Gott segne dich, mein Heimatland!
Ich grüß dich tausendmal,
Dich Land, wo meine Wiege stand,
Durch meiner Väter Wahl!
Du Land, an allem Gut so reich,
Ins Herz schloß ich dich ein
Ich bleib' dir in der Liebe gleich,
Im Tode bin ich dein!
So schirme, Gott, in Freud und Leid,
Du unser Heimatland!
Bewahr der Felder Fruchtbarkeit
Bis hin zum Schwarzmeerstrand!
Erhalte du uns deutsch und rein,
Send' uns ein freundlich Los,
Bis wir bei unsern Vätern ruhn
Im heimatlichen Schoß!

[Bearbeiten] Herkunft

[Bearbeiten] Anwerbung

Im sechsten Türkenkrieg zwischen 1806 und 1812 eroberten Truppen des russischen Zaren Alexander I. Bessarabien. In dem einst ostmoldauischen Gebiet richtete er das Gouvernement Bessarabien ein, das kleinste des Zarenreichs. Hauptstadt wurde das mittelbessarabische Kischinew (Chişinău).

Nomadisierende Tatarenstämme aus dem südlichen Landesteil von Bessarabien, dem Budschak, zogen nach der russischen Eroberung ab. Das Gebiet war danach nahezu menschenleer und weitgehend ungenutzt. Zur Kolonisierung der brachliegenden Ländereien warb Russland im Ausland gezielt Siedler an, da die eigenen Bauern noch bis 1861 Leibeigene waren. Die Angeworbenen sollten vor allem die Landwirtschaft auf dem fruchtbaren Schwarzerdeboden verbessern. Zar Alexander I. erließ am 29. November 1813 ein Manifest, in dem er deutschen Siedlern folgende Privilegien versprach:

  • Landschenkung
  • Zinsloser Kredit
  • Steuerfreiheit auf 10 Jahre
  • Selbstverwaltung
  • Religionsfreiheit
  • Freiheit vom Militärdienst

Die Werber der russischen Krone gingen mit diesen Versprechungen nach Württemberg, den nordostdeutschen Raum (Mecklenburg) und ins Herzogtum Warschau, wo sich erst wenige Jahre zuvor deutsche Siedler niedergelassen hatten.

[Bearbeiten] Auswanderung

Auswanderungswege aus dem deutschen Raum nach Bessarabien 1814 - 1842. Da es zu dieser Zeit kein Deutschland gab und das HRR bereits nicht mehr existierte, waren es eher Auswanderer aus deutschen Fürstentümern und Kleinstaaten. Hier auf dem Hintergrund der aktuellen Grenzen Europas mit Stand von 1999.
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Auswanderungswege aus dem deutschen Raum nach Bessarabien 1814 - 1842. Da es zu dieser Zeit kein Deutschland gab und das HRR bereits nicht mehr existierte, waren es eher Auswanderer aus deutschen Fürstentümern und Kleinstaaten. Hier auf dem Hintergrund der aktuellen Grenzen Europas mit Stand von 1999.

Zwischen 1814 und 1842 wanderten etwas über 2000 Familien mit insgesamt ca. 9000 Personen ins russische Bessarabien aus. Die Auswanderung aus Süddeutschland aus den Räumen Württemberg, Baden, Elsass, Pfalz und Bayern mit dem zeitlichen Höhepunkt 1817 erfolgte zeitlich nach den als Schwabenzug bezeichneten drei Auswanderungswellen in die neu eroberten habsburgischen Ländereien in Südosteuropa wie dem Banat, Galizien oder der Bukowina.

Nach der Passerteilung durch deutsche Behörden traten sie die Reise in größeren Gruppen, sog. Kolonnen, an. Die Reisedauer für die etwa 2000 km lange Strecke betrug je nach Reiseroute zwei bis sechs Monate. Viele der Auswanderer mit religiösen Emigrationsgründen schlossen sich zu sog. Harmonien zusammen. Die Reise verlief vorwiegend auf der Donau, wozu die Auswanderer auf dem Landweg bis Ulm zogen. Dort schifften sie sich auf Ulmer Schachteln (Ein-Weg-Schiffe) ein. Während der Schiffsfahrt erkrankten viele Auswanderer an Infektionen und verstarben. Die Fahrt führte flussabwärts bis zum Donaudelta kurz vor der Mündung ins Schwarze Meer. Eine wochenlange Quarantäne unter freiem Himmel auf einer Flussinsel vor der Stadt Ismajil (Oblast Odessa, Ukraine) forderte weitere Todesopfer. Etwa 10 % der Auswanderer sollen die Schiffsreise nicht überlebt haben.

Die deutschen Auswanderer aus den nördlichen und östlichen Landesteilen sowie aus Polen bevorzugten den Landweg mit Pferd und Wagen und hatten während der Reise weniger an Infektionskrankheiten zu leiden. Sie waren 1814 die ersten Deutschen in Bessarabien und wurden wegen ihrer Herkunft als Warschauer Kolonisten bezeichnet.

[Bearbeiten] Auswanderungsgründe

Auswanderungsgründe aus dem Herzogtum Warschau waren:

  • Politisch
  • Wirtschaftlich
    • Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation

Auswanderungsgründe in Süddeutschland waren:

  • Politisch
    • Militär- und Kriegsdienste für französische Besatzung
    • Frondienste
    • Unterdrückung durch die Obrigkeit
  • Wirtschaftlich
  • Religiös
    • Pietismus (protestantisch-reformatorische Bewegung für lebendige Glaubenserfahrung und praktische Frömmigkeit)
    • Chiliasmus (Erwartung einer tausendjährigen Gottesherrschaft auf Erden)

[Bearbeiten] Kolonisationswerk unter russischer Herrschaft

[Bearbeiten] Ansiedlung

Hauptsiedlungsgebiete der 150 deutschen Orte in Bessarabien
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Hauptsiedlungsgebiete der 150 deutschen Orte in Bessarabien

Das zaristische Russland siedelte die deutschen Auswanderer in Bessarabien planmäßig an. Sie erhielten Land im südlichen Landesteil, auf weiten, baumlosen Steppenflächen des Budschak, zugewiesen. In der ersten Siedlungsphase bis 1842 entstanden 24 deutsche (Mutter-) Kolonien. Sie hatten landesweit den gleichen vorgegebenen Siedlungsgrundriss als Straßendorf. Angelegt wurden die Siedlungen meist in einem langgestreckten Tal mit sanft ansteigenden Hügeln. Nur sehr wenige Ankömmlinge fanden im Land sogenannte Kronshäuschen vor, die vom russischen Staat (der "Krone") schon errichtet worden waren. Die Ansiedlungsflächen und der Grundriss der Ansiedlungen wurden behördlich vorgegeben.

[Bearbeiten] Selbstverwaltung

Die vom Zaren bei der Anwerbung versprochene Selbstverwaltung der deutschen Ansiedler erfolgte durch eine russische Sonderbehörde, die den Namen Fürsorgekomitee (vormals: Vormundschaftskontor) trug. Es handelte sich um den Ansiedlungsstab für alle deutschen Siedler in Südrussland mit Sitz zunächst in Kischinew, später in Odessa. Die Amtssprache der Behörde, der ein Präsident und rund 20 Mitarbeiter (Beamte, Übersetzer, Arzt, Tierarzt, Landmesser) angehörten, war deutsch. Ihre Präsidenten waren:


Name Amtszeit
General Ivan Insov 1818–1845
Staatsrat Eugene von Hahn 1845–1849
Baron von Rosen 1849–1853
Baron von Mestmacher 1853–1856
Islawin 1856–1858
Alexander von Hamm 1858–1866
Th. Lysander 1866–1867
Vladimir von Oettinger 1867–1871


Neben der Ansiedlung wahrte das Fürsorgekomitee die Rechte der Siedler und beaufsichtigte ihre Pflichten gegenüber der russischen Regierung. Sie unterlagen dem bereits von Katharina der Großen 1764 eingeführten Kolonisationsgesetz, in Kriminalsachen jedoch der staatlichen Gerichtsbarkeit. Als der Zar 1870 den Kolonistenstatus aufhob, wurde das Fürsorgekomitee 1871 aufgelöst. Unterhalb des Fürsorgekomitees gab es für die rund 150 deutschen Gemeinden 17 Gebietsämter (Wolost), mit einem gewählten Gebietsvorsteher (Oberschulz), zwei Beisitzern und einem Schreiber. Zu ihren Aufgaben gehörte u.a. die Verwaltung der Brand- und Waisenkassen. Das Gericht auf dieser Ebene nannte sich Wolostgericht, das aus einem Richter und drei Beisitzern bestand.

Die Dörfer wurden vom Dorfschulz (Bürgermeister) und zwei Beisitzern verwaltet, die die männlichen Landbesitzer des Ortes für jeweils drei Jahre wählten. Neben der Einhaltung von Zucht und Ordnung hatte der Dorfschulz behördliche Verordnungen durchzusetzen und führte die Aufsicht in Erbschafts- sowie Waisensachen. Ihm standen zwei oder mehr Hilfspolizisten zur Seite, die Dorfwache und ein gesetzeskundiger Dorfschreiber.

[Bearbeiten] Ortsnamensgebung

Ursprünglich trugen die für die Siedler vermessenen Landstücke nur Nummern, z. B. Steppe 9. In den Anfangsjahren der Besiedlung verlieh das Fürsorgekomitee den neu gegründeten Dörfer so genannte Gedächtnisnamen. Diese Bezeichnungen erinnerten an die Orte von siegreichen Schlachten gegen Napoleon, z. B. Tarutino, Borodino, Beresina, Arzis, Brienne, Paris, Leipzig, Teplitz, Katzbach. In der späteren Phase von deutschen Ortsgründungen ab 1842 benannten die Siedler ihre Dörfer nach eigenen Hoffnungen (Hoffnungstal, Friedenstal) oder religiösen Motiven (Gnadental, Lichtental). Zahlreiche deutsche Dorfgründungen übernahmen auch Begriffe türkisch-tatarischer Herkunft, wie Albota (weißes Pferd), Basyrjamka (Salzloch), Kurudschika (trocken).

Hoffnungstal (1940: 1930 Einwohner), 1819 als deutsches Kolonistendorf gegründet, links die Kirche von 1907
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Hoffnungstal (1940: 1930 Einwohner), 1819 als deutsches Kolonistendorf gegründet, links die Kirche von 1907

[Bearbeiten] Siedlungsentwicklung

Die Lebensbedingungen der Kolonisten waren trotz der gewährten Privilegien in der Anfangszeit hart. Ungewohntes Klima und Krankheiten löschten ganze Familien aus. Viehseuchen, Überschwemmungen, Epidemien, wie Pest und Cholera, Missernten sowie Heuschreckenplagen behinderten das Aufbauwerk. Die erste Behausung war meist ein Erdloch mit Schilfdach. Erst in späteren Generationen herrschte in den deutschen Siedlungen ein geregeltes und eigenständiges Leben auf wirtschaftlichem, kulturellem sowie religiösem Gebiet. Charakteristisch für die Volksgruppe waren Fleiß, Gläubigkeit, Kinderreichtum und Sparsamkeit. In Verbindung mit landwirtschaftlichem Können, günstigem Klima und guten Böden setzte gemäß dem Sprichwort „Die erste Generation hat den Tod, die zweite die Not und die dritte erst das Brot“ ein wirtschaftlicher Aufschwung ein.

Die 24 ersten Dörfer deutscher Auswanderer wurden Mutterkolonien genannt. Sie entstanden noch im Rahmen der staatlichen russischen Kolonisation. Die etwa 125 nach 1842 entstandenen Siedlungen (einschließlich Gutshöfe, Weiler) hießen Tochterkolonien. Sie waren auf private Siedlungstätigkeit der schon im Lande lebenden Bessarabiendeutschen zurückzuführen. Die 24 ersten Kolonien waren:


Siedlung Gründung Siedlung Gründung Siedlung Gründung
Borodino 1814 Alt-Elft 1816 Neu-Arzis 1824
Krasna 1814 Paris 1816 Neu-Elft 1825
Tarutino 1814 Arzis 1816 Gnadental 1830
Klöstitz 1815 Brienne 1816 Lichtental 1834
Kulm 1815 Teplitz 1817 Dennewitz 1834
Wittenberg 1815 Katzbach 1821 Friedenstal 1834
Beresina 1815 Sarata 1822 Plotzk 1839
Leipzig 1815 Alt-Posttal 1823 Hoffnungstal 1842

[Bearbeiten] Landwirtschaft

Entsprechend der Anwerbung des Zaren betätigten sich anfangs nahezu alle Neuankömmlinge als Landwirte, die auf eigenem Boden wirtschafteten. Vom Staat bekam jede deutsche Familie 60 Desjatinen (etwa 65 ha) vererbbares Ackerland zum Besitz. Das Siedlungsgebiet der Deutschen im südlichen Bessarabien, dem Budschak, lag im südrussischen Schwarzerdegürtel, dessen tiefgründige, dunkle Erde zu den fruchtbarsten Ackerböden zählt. Eine Düngung war nicht erforderlich. Die Ackerflächen wurden als Steppe bezeichnet, da die Landschaft nahezu baumfrei war. Hauptanbaukulturen waren Getreide und Mais. In einigen Kolonien wurde großflächig Weinanbau (siehe Weinbau in Moldawien) betrieben, aber jeder Hof baute Wein für den Eigenbedarf an.

Beim Pflügen
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Beim Pflügen

Viehhaltung betrieben die Deutschen nur in geringem Ausmaß, denn der anfallende Dung wurde wegen der hohen Bodenfruchtbarkeit nicht benötigt. Soweit er anfiel, wurde er getrocknet und im Winter als Brennmaterial verwendet. Stärker verbreitetet war die Schafhaltung, vor allem des feinwolligen Karakul-Schafes. Aus der Wolle ließen sich die typischen schwarzen Fellmützen der Männer herstellen. Die Federviehhaltung zur Selbstversorgung war auf jedem Hof eine Selbstverständlichkeit.

Im Gegensatz zu anderen Völkerschaften nutzten die Deutschen das Pferd statt des Ochsen als Zugtier. Schon von Jugend an und mit großer Zuneigung waren sie diesen Tieren verbunden, die sozusagen zur Familie gehörten. Gezüchtet wurde das alt-arabische Pferd, ähnlich dem arabischen Vollblüter.

[Bearbeiten] Wohnweise

Typischer Ortsaufbau als Straßendorf an extrem  breiter Hauptstraße, hier: Paris ca. 1940
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Typischer Ortsaufbau als Straßendorf an extrem breiter Hauptstraße, hier: Paris ca. 1940
Typischer Grundriss eines Hofgrundstückes
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Typischer Grundriss eines Hofgrundstückes

Die Bessarabiendeutschen waren größtenteils Landwirte und lebten in Dörfern auf ihren Bauernhöfen. Die Dorf-, Grundstücks- und Hausformen der Kolonistendörfer ähnelten sich stark. Die Bauernhöfe lagen an einer bis zu 50 m breiten, von Akazien gesäumten Straße. Gekreuzt wurde diese Straße oft nur durch eine Quer- oder Kreuzstraße im zentralen Dorfbereich, dort wo sich die Kirche oder das Bethaus mit Schule befand.

[Bearbeiten] Grundstück

Die Grundstücke waren von der Fläche her sehr großzügig gestaltet, da die meisten Dörfer Straßendörfer mit nur einer Straße waren. Die Straßenfront betrug zwischen 25 bis 50 m. In die Tiefe erstreckten sich die Grundstücke 100 bis 500 m. Neben den Gebäuden gab es auf dem Grundstück Wirtschaftsflächen (Dreschplatz, Heuschober). Im hinteren Grundstücksteil war neben Gartenflächen meist ein großer Weingarten angelegt.

[Bearbeiten] Gebäude

Das Hauptgebäude des Hofes war das langgestreckte eingeschossige Kolonistenhaus. Das war ein Haus mit einer 5 bis 10 m breiten Giebelfront und einer Gesamtlänge von etwa 25 m. Der Giebel lag fast immer zur Straße. Im vorderen Bereich zur Straße waren flurlose Räumen (Stuben, Küche), dahinter schlossen sich Stallungen und Schuppen an. Auf vielen Höfen gab es ein kleines Gebäude, in dem in der warmen Jahreszeit gekocht und daneben auf dem Hof gegessen wurde, die Sommerküche. Darüber hinaus gab es einen separaten Keller. Baumaterial der Häuser war in Steinbrüchen gewonnener Stein oder in der Sonne getrockneter Lehmziegel. Die mit Lehm verputzen Gebäude waren mit Kalk stets weißgetüncht. Die Dächer deckte man überwiegend mit Schilfrohr, später mit Zementziegeln. Auf dem Wirtschaftshof fanden sich Stallungen, Dreschplatz sowie ein Vorrats- und Weinkeller. Im hinteren Grundstücksteil lagen Gemüse-, Obst- und Weingärten.

[Bearbeiten] Neue Siedlungen

Mit der Gründung der letzten Kolonie (Hoffnungstal) 1842 stoppte der Zuzug von Auswanderern aus Deutschland und die staatliche, russische Kolonisierung endete. Danach setzte im Land eine Binnenkolonisation durch private Siedlungstätigkeit ein. Das Ackerland der 24 Mutterkolonien war infolge von Bevölkerungszuwachs knapp geworden. Die Bessarabiendeutschen kauften oder pachteten Land von russischen Großgrundbesitzern und gründeten neue Dörfer, sog. Tochterkolonien.

Zu weiteren Ortsgründungen kam es ab 1920 als Folge der rumänischen Agrarreform. Dabei wurden Großgrundbesitzer mit mehr als 100 ha Land enteignet. Ihr Land wurde an Landlose verteilt, die je 6 ha erhielten. Auf dem frei gewordenen Land gründeten sich sog. Hektardörfer.

Durch die verschiedenen Arten der Besiedlung entstanden während der Anwesenheit der Deutschen in Bessarabien zwischen 1814 und 1940 rund 150 deutsche Siedlungen und Gutshöfe.

[Bearbeiten] Bessarabiendeutsche Einrichtungen

[Bearbeiten] Kirche

Typisches Bethaus mit Glockenstuhl (gleichzeitig Dorfschule), hier: bessarabiendeutsche Siedlung Hannowka
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Typisches Bethaus mit Glockenstuhl (gleichzeitig Dorfschule), hier: bessarabiendeutsche Siedlung Hannowka

Kirche und Religion prägten intensiv das Leben aller Bessarabiendeutschen, denn viele ihrer Vorfahren hatten einst ihre deutsche Heimat aus religiösen Gründen verlassen. Später erhielt ihnen der Gebrauch von Bibel und Gesangbuch die deutsche Sprache in der Fremde. Als erste Gemeinschaftseinrichtung neu gegründeter Dörfer wurde ein Gotteshaus errichtet. Dies war in größeren Gemeinden ein Kirchengebäude für bis zu 1000 Besucher, in kleineren ein Bethaus, in dem sich auch die Wohnung des Küsters und die Dorfschule befand. Den Unterhalt für Kirche, Schule, Küster und Lehrer (meist ein Küsterlehrer in Doppelfunktionen) trugen die Kolonisten.

Kirchlich organisiert war die Mehrzahl der rund 150 deutschen Siedlungen in 13 Kirchspielen und drei Pfarrgemeinden evangelisch-lutherischer Konfession. Jedes Kirchspiel hatte einen Pastor, der für mehrere Kirchspieldörfer zuständig war. Daneben gab es eine reformierte Pfarrgemeinde (Schabo) und einen römisch-katholischen Kirchenbezirk mit vier Gemeinden (Balmas, Emmental, Krasna, Larga). Diese gehörten dem am 3. Juli 1848 gegründeten Bistum Cherson an, welches kurz darauf in Bistum Tiraspol umbenannt wurde. Der Bischofssitz wurde vom ersten Bischof Ferdinand Helanus Kahn nach Saratow verlegt, wo er bis 1918 blieb. Bischof Alois Josef Kessler verlegte den Sitz nach Odessa um den Bolschewiki zu entgehen, aber nach deren Sieg floh er 1921 nach Deutschland und das Bistum blieb während der Sowjetzeit verwaist.

[Bearbeiten] Bildungseinrichtungen

 Knaben-Lyzeum Tarutino, ca. 1965
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Knaben-Lyzeum Tarutino, ca. 1965

Auf unterster Ebene gab es in den deutschen Dörfern Volksschulen. In den ersten Jahren unterrichtete meist jemand aus dem Dorf die Schulkinder, bis dann ab 1892 nur noch diplomierte Lehrer erlaubt waren. Ein höhere gymnasiumsähnliche Schule für Jungen und Mädchen gab es in Tarutino sowie in Sarata die Werner-Schule zur Lehrerausbildung.

Schulsystem:

  • Volksschulen in (fast) jedem deutschen Dorf
  • Evangelisch-deutsche Lehrerbildungsanstalt Werner in Sarata, 1844 eröffnet, benannt nach dem Stifter und Kaufmann Christian Friedrich Werner (1759-1823) aus Schorndorf, der sein Vermögen der Gemeinde vermachte. Die Schule diente der Ausbildung der deutschen Schullehrer und war die erste deutschsprachige Lehrerbildungsanstalt im Zarenreich.
  • Evangelisch-deutsches Mädchenlyzeum (Höhere Töchterschule) in Tarutino, 1878 eröffnet
  • Evangelisch-deutsches Knaben-Lyzeum in Tarutino, 1906 eröffnet
  • Bauernschule in Arzis, 1935 eröffnet

[Bearbeiten] Gesundheitswesen

Das Gesundheitswesen war wegen der fehlenden ärztliche Versorgung bereits seit der deutschen Besiedlung Bessarabiens ab 1814 ungenügend. In den Dörfern gab es nur Hebammen und Laienmediziner, die als Feldscher bezeichnet wurden. Die häufigsten Krankheiten waren Tuberkulose, Typhus, Milzbrand, Trachom und Malaria. 1937 war die Sterblichkeit im Vergleich mit dem Deutschen Reich überdurchschnittlich hoch bei jungen Menschen. Die Säuglingssterblichkeit und die der Jugendlichen war dreimal so hoch, die der Kinder zwischen 1-14 Jahren sogar fünfmal so hoch.

Einrichtungen:

  • Barmherzigkeitsanstalt Alexander-Asyl in Sarata, (heute Alexander-Stift in Großerlach), gegründet 1865 durch 6 Pastoren, benannt nach dem damals regierenden Zaren Alexander II.. Heim für alte, kranke und behinderte Menschen sowie Waisen, finanziert aus Kirchenspenden deutscher Dörfer in Bessarabien.

[Bearbeiten] Bankwesen

Die ersten Kreditanstalten in Bessarabien entstanden ab 1880, die bald durch die liberale Gesetzgebung des Zarenreichs aufblühten. In der rumänischen Zeit nach dem Ersten Weltkrieg entstanden auf genossenschaftlicher Basis beruhende Volksbanken unter Bezeichnungen wie Cornelia, Minerva, Veritas. Dem war mit rund 80 % der Höfe ein Großteil der Bevölkerung Bessarabiens als Genossenschaftsmitglieder angeschlossen.

Weitere Finanzvereinigungen waren Waisenkassen in deutschen Dörfern, die 1940 in nur noch 8 Dörfern bestanden. Sie verwalteten das Vermögen von Waisen. Die erste Waisen- und Sparkasse wurde 1830 eingerichtet, 1869 war sie in allen bessarabiendeutschen Gebieten vorhanden.

[Bearbeiten] Politik und Wirtschaft

  • Deutscher Volksrat, mit Sitz in Tarutino, gegründet 1920 als Zusammenschluss rumänischer Staatsbürger deutscher Volkszugehörigkeit zur Wahrung ihrer Interessen (Pendant zum Romanisierungsdruck des rumänischen Staates gegenüber Minderheiten)
  • Gemeinschaftsverband, (heute Bessarabischer Gemeinschaftsverband, entstanden 1823 aus erweckten und pietistischen Kreisen (Stundisten und Brüderversammlungen).
  • Deutscher Wirtschaftsverband, mit Sitz in Tarutino, gegründet 1921 als Zusammenschluss deutscher Genossenschaften zur Aussschaltung des Zwischenhandels in Bessarabien

[Bearbeiten] Kultur und Freizeit

[Bearbeiten] Bedeutende Vertreter der Volksgruppe

  • Christian Friedrich Werner (1759-1823), Stifter der Werner-Schule Sarata
  • Ignaz Lindl (1774-1845), Priester und Gründer von Sarata
  • Johann Gottlieb Gerstenberger (1826-1900), Gutsbesitzer und Duma-Abgeordneter
  • Andreas Widmer (1856-1931), Duma-Abgeordneter
  • Daniel Erdmann (1866-1942), Bürgermeister und rumänischer Parlamentsabgeordneter
  • Gottfried Schulz (1853-1916), Großgrundbesitzer und Initiator neuer deutscher Siedlungen
  • Immanuel Wagner (1870-1946), Bürgermeister und Leiter des bessarabiendeutschen Heimatmuseums
  • Daniel Haase (1877-1939), Oberpastor evangelische Kirche
  • Karl Rüb (1896-1970), Hilfswerk-Gründer für Bessarabiendeutsche in der Bundesrepublik
  • Dr. Otto Broneske (1900-1990), Leiter Deutscher Volksrat für Bessarabien in Rumänien
  • Immanuel Baumann (1900-1974), Oberpastor evangelische Kirche
  • Horst Köhler (*1943), Kind bessarabiendeutscher Eltern und deutscher Bundespräsident

[Bearbeiten] Deutsche Presse

  • Deutsche Zeitung Bessarabiens, gegründet 1919, zweimal wöchentlich
  • Deutsches Volksblatt, ab 1939 (national-sozialistisch ausgerichtet)
  • Jährlicher Heimatkalender, ab 1920, jährlich

[Bearbeiten] Verhältnis zu anderen Nationalitäten

Grafik: Ethnische Gruppen in Bessarabien 1930
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Grafik: Ethnische Gruppen in Bessarabien 1930

Bessarabien war ein multikulturelles Gebiet, das von einer Vielzahl von Nationalitäten bewohnt war. Unter Rumänen, Russen, Ukrainern, Juden, Bulgaren, Gagausen, Zigeunern waren die Deutschen mit einem Bevölkerungsanteil von nur 3 % eine Minderheit. Gegenüber den anderen Bevölkerungsgruppen hatten sie jedoch wegen ihrer typisch deutschen Tugenden (Fleiß, Ordentlichkeit, Sparsamkeit) einen wirtschaftlichen Vorsprung. Die Achtung für ihre Verlässlichkeit drückte sich dadurch aus, dass Geschäfte mit einem deutschen Wort abgeschlossen wurden.

Die deutschen Kolonisten bewohnten überwiegend eigene Dörfer, ebenso die anderen Völkerschaften in Bessarabien. Grund war die unterschiedliche Religionszugehörigkeit. Da Kirche und Religion für die Bessarabiendeutschen identitätsstiftende Momente in der Fremde waren, gab es kaum Mischehen. Trotzdem lebten die verschiedenen Ethnien in friedlicher Kooperation nebeneinander.

[Bearbeiten] Sprache und Mundart

In der Zarenzeit bis 1918 erlernten die Bessarabiendeutschen die russische Staatssprache. Nach dem Übergang Bessarabiens zu Rumänien 1918 musste rumänisch als neue Staatssprache erlernt werden. Man blieb aber immer der deutschen Muttersprache treu. In den Wortschatz schlichen sich aber zahlreiche Fremdworte ein, die dem dort lebenden Völkergemisch aus russischen, rumänischen, bulgarischen und tatarischen Bestandteilen entlehnt wurden.

Innerhalb der deutschen Kolonisten gab es zwei unterschiedliche Mundarten, die auf ihrer unterschiedlichen Herkunft aus Deutschland beruhten. Dies waren die Schwaben und die Kaschuben. Als Schwaben galten die süddeutschen Kolonisten. Ihre Mundart, insbesondere die schwäbische aus Württemberg, setzte sich unter den deutschen Siedlern in ganz Bessarabien durch. Kaschuben war eine spöttische Bezeichnung für die aus dem norddeutschen Raum stammenden Kolonisten mit einem plattdeutschen Dialekt. Sie hatten mit dem slawischen Stamm der Kaschuben aus dem Danziger Raum nichts gemein.

[Bearbeiten] Erneute Auswanderung

In den Anfangsjahren hatten die Siedler den privilegierten Status von Kolonisten inne. Ab 1870 wurden die einst auf Lebenszeit zugesagten Privilegien im Rahmen eines aufkommenden slawischen Nationalismus (Panslawismus) zurückgenommen. Die Einführung eines mehrjährigen Militärdienstes und die Landknappheit führten ab diesem Zeitpunkt zu einer Auswanderung von schätzungsweise 25.000 Personen, insbesondere nach Nordamerika, Brasilien oder Argentinien. Trotz dieser Emigration aus Bessarabien war die deutschstämmige Bevölkerung von 9000 eingewanderten Personen innerhalb von 125 Jahren bis 1940 auf etwa 93.000 Personen angewachsen.

[Bearbeiten] Rumänisches Zwischenspiel

[Bearbeiten] Bessarabiens Anschluss an Rumänien

Die Bessarabiendeutschen waren seit ihrer Auswanderung aus Deutschland über 100 Jahre lang Untertanen des russischen Zaren. Zwischen 1918 und 1940 wurden sie für 22 Jahre rumänische Staatsangehörige. Dies war Folge der russischen Oktoberrevolution 1917, als auch in Bessarabien Unabhängigkeitsbestrebungen aufkamen. Unter der Bezeichnung Landesrat (Sfatul Ţării) bildete sich in der bessarabischen Hauptstadt Chişinău (russ. Kischinew) eine nationale Volksversammlung, die die Regierung übernahm. Der Landesrat erklärte 1918, wohl wegen der rumänischen Mehrheit in der Bevölkerung, den Anschluss an Rumänien. Die Bessarabiendeutschen entgingen dadurch dem Schicksal der übrigen Russlanddeutschen in der Sowjetunion, das aus sozialer Benachteiligung bis hin zur Deportation oder Zwangsarbeit bestand. Dafür schränkte der rumänische Staat die kulturelle Autonomie der Bessarabiendeutschen (wie aller Minderheiten) ein. In der Öffentlichkeit durfte nur noch rumänisch gesprochen werden. Der Rumänisierungsdruck führte zur Verstaatlichung der Schulen und der Einführung von Rumänisch als Unterrichtssprache. Bis dahin hatten die Kolonisten ihre Kinder in eigenen Dorfschulen auf Deutsch unterrichten lassen.

[Bearbeiten] Nationalsozialistische Bestrebungen

Die Bessarabiendeutschen waren auch nach dem Anschluss von Bessarabien an Rumänien eine nationale Minderheit. Politisch hatten sie sich im konservativ geltenden und kirchlich ausgerichteten Deutschen Volksrat für Bessarabien organisiert. Nach über 100 Jahren in der Fremde war Anfang des 20. Jahrhunderts der Kontakt zum Mutterland Deutschland vollkommen abgebrochen. Doch mit der Machtergreifung Hitlers 1933 schwappte der Nationalsozialismus auch auf das 1500 km entfernte Bessarabien über. Unter den jungen Bessarabiendeutschen und den wenigen Angehörigen nicht-bäuerlicher Berufsgruppen entstand die Erneuerungsbewegung, die eine völkische Erweckung anstrebte. Ihre Anhänger vertraten NS-Ideologien einschließlich des Führerprinzips. Obwohl die bäuerliche, kirchlich geprägte Bevölkerung politisch desinteressiert war, fand in den 30er Jahren in deutschen Dörfern eine kulturelle Hinwendung zum Mutterland statt. Neben Besuchskontakten kam es auch zu kleineren Aufmärschen.

[Bearbeiten] Rückkehr ins Mutterland

[Bearbeiten] Umsiedlung

Am 28. Juni 1940 besetzte die sowjetische Rote Armee als Folge des Hitler-Stalin-Paktes überraschend das Territorium Bessarabiens, das ein rumänischer Landesteil war. Rumänien bekam zuvor ein 48-stündiges Ultimatum zur Abtretung gestellt, dem es kampflos nachkam. Hitler-Deutschland billigte insgeheim die Besetzung, verlangte aber die Umsiedlung der dort lebenden deutschstämmigen Bevölkerung ins Deutsche Reich. Am 5. September 1940 unterzeichneten die Sowjetunion und das Deutsche Reich in Moskau einen Umsiedlungsvertrag. Er ermöglichte allen Bessarabiendeutschen die Umsiedlung nach Deutschland. Jeder Bewohner ab 14 Jahre konnte die Entscheidung darüber selbst treffen. Gründe, in die Umsiedlung einzuwilligen und sie sogar als Rettungsmaßnahme anzusehen, waren:

  • Furcht vor Rechtlosigkeit (Deportation)
  • Aufgabe des eigenen Bodens (Zwangskollektivierung)
  • Ende des deutschen kulturellen und kirchlichen Lebens
  • Einsetzende Verarmung in Bessarabien schon vor der Besetzung
  • Hoffnung auf ein materiell besseres Leben im Deutschen Reich
  • "Völkische Pflicht" zur "Rückkehr" ins "Mutterland"
Bessarabiendeutscher Umsiedlertreck zieht im Herbst 1940 in Richtung Donauhafen
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Bessarabiendeutscher Umsiedlertreck zieht im Herbst 1940 in Richtung Donauhafen

Nahezu geschlossen entschied sich im September 1940 die 93.000 Personen umfassende deutsche Volksgruppe zur Umsiedlung. Zurück blieben nur etwa 1000 Deutsche (meist wegen Ehepartnern anderer Volkszugehörigkeit oder hohen Alters). Die praktische Durchführung lag bei der Volksdeutschen Mittelstelle (VoMi), einer SS-Organisation. [1] 600 uniformierte SS-Männer (ohne Rangabzeichen) wurden nach Bessarabien entsandt. Sie registrierten die Umsiedlungswilligen und schätzten als gemeinsam deutsch-sowjetische Umsiedlungskommission deren Vermögen zwecks späterer Entschädigung. Im September und Oktober 1940 reisten die Bessarabiendeutschen mit 30 kg Gepäck pro Person ab. Frauen und Kinder wurden auf Lkw zu den bis zu 150 km entfernten Donauhäfen mit Sammellager transportiert, die Männer folgten als Treck mit Pferdewagen. Nach kurzem Aufenthalt ging es auf Ausflugsdampfern der Donauflotte 1000 km donauaufwärts in Richtung Deutschland.



[Bearbeiten] Zwischen totalitären Regimen

Die Umsiedlung war faktisch ein Rückzug aus 125 Jahre alten Siedlungsgebieten deutscher Ostsiedler. In Deutschland schlachtete das NS-Regime die Umsiedlung für ihre propagandistischen Zwecke als Heimkehr ins Reich aus. Der erlittene Heimatverlust von 93.000 Menschen wurde sogar ins Gegenteil verkehrt. Zitat:

  • Freudig lässt er (der bessarabiendeutsche Bauer) Haus und Hof zurück und kehrt mit wenig Habseligkeiten heim ins Reich. Sein sehnlichster, jahrelanger Wunsch, in deutsche Heimatgaue wieder zurückkehren zu dürfen, ist heute zur Tatsache geworden.

Ein an der Umsiedlung beteiligter SS-Mann skizzierte seine ausgewanderten Landsleute im NS-Propagandastil so:

  • In völkischer und teilweise auch in rassischer Hinsicht ist der bessarabische Bauer als gut zu bezeichnen. Er ist den Sitten und Gebräuchen sowie der Sprache und dem Dialekt seiner Väter durch ein Jahrhundert treu geblieben.

Zur Entscheidung zum Weggehen der Bessarabiendeutschen im Herbst 1940 trugen wesentlich die Maßnahmen der neuen sowjetischen Machthaber bei, wie:

  • Ablieferung eines Erntesolls
  • Schließung der deutschen Schulen
  • Beschlagnahmung von Krankenhäusern und Apotheken
  • Enteignung von Banken und Industrieunternehmen
  • Verhaftung von Gutsbesitzern und Angehörigen anderer Volksgruppen

Sowjetischen Quellen zufolge dienten die Maßnahmen im Okkupationsgebiet der Sowjetisierung und dem Kampf gegen konterrevolutionäre Tätigkeiten. Sie setzten sich auch nach dem Weggang der Deutschen fort. Ende 1940 wurden die verlassenen Ländereien neu gegründeten Sowchosen und Kolchosen zugeteilt. Im Jahre 1941 wurden ca. 30.000 Bewohner Bessarabiens als "antisowjetische Elemente" in Gulags nach Sibirien deportiert.

[Bearbeiten] Neuansiedlung und Flucht

Nach ihrer Ankunft im Reich wurden die Bessarabiendeutschen in rund 250 Umsiedlungslagern in Sachsen, Franken, Bayern, im Sudetenland und im damals dem Reich angeschlossenen Österreich untergebracht. Sie lebten ein bis zwei Jahre in drangvoller Enge in Schulen, Turnhallen oder Ballsälen von Gasthäusern. Die vom Status her Volksdeutschen mussten ein Einbürgerungsverfahren über sich ergehen lassen. Dazu gehörte eine gesundheitliche und rassisch-politische Untersuchung. Nur wer als gesund, rassisch wertvoll und politisch zuverlässig eingestuft wurde (94 Prozent), kam für die Ansiedlung als freier Bauer auf eigener Scholle in den von Hitler-Deutschland eroberten polnischen Ostgebieten infrage. 1941/42 wurden die Menschen im Wartheland, in Danzig-Westpreußen und in geringem Ausmaß auch im Generalgouvernement im Rahmen eines nationalsozialistischen Siedlungsprojektes neu angesiedelt. Als Entschädigung für ihr verlassenes Eigentum in Bessarabien erhielten sie Bauernhöfe. Diese hatte die deutsche Militärverwaltung beschlagnahmt und ihre polnischen Besitzer vertrieben. Als 1944/45 die russische Front näher rückte, flüchteten die Bessarabiendeutschen wie die übrige dort ansässige deutsche Bevölkerung nach Westen.

Etwa 6 Prozent der Bessarabiendeutschen wurden aus verschiedenen Gründen (gesundheitliche, rassische, politische) für eine Ansiedlung im Osten nicht für wert befunden. Sie mussten in unselbständiger Funktion (Industriearbeiter) im Alt-Reich verbleiben. Dies sollte sich am Ende des Zweiten Weltkrieges als großes Glück herausstellen, denn diesem sich gedemütigt fühlenden Personenkreis blieb die Flucht vor der Roten Armee im Winter 1945 aus dem Osten erspart.

[Bearbeiten] Neuanfang in Deutschland

[Bearbeiten] Integration

Die Nachkriegszeit forderte von den in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik angekommenen Bessarabiendeutschen, wie von allen Heimatvertriebenen, eine enorme Integrationsleistung. Als reines Bauernvolk kannten sie sich nur in der Landwirtschaft aus. Aber als besitzlose Flüchtlinge gelang nur den wenigsten der Neustart als selbständige Landwirte.

Die meisten orientierten sich beruflich um und wurden zum Industriearbeiter. Den Neustart erleichterte das mitgebrachte kulturelle Kapital. Das waren Charakterzüge wie Tüchtigkeit und Selbständigkeit und der Pioniergeist von Kolonisten. Ein Großteil der Volksgruppe siedelte sich in Baden-Württemberg an, von wo aus die Vorfahren einst ausgewandert waren. Wie allen Heimatvertriebenen, standen die deutschen Einheimischen auch den Bessarabiendeutschen distanziert gegenüber. Die Rückkehrer wurden wegen des Namens Bessarabien anfangs für Araber gehalten und spöttisch als Bessere Araber bezeichnet. Wegen der aus ihrer Heimat mitgebrachten, schwarzen Fellmützen nannte man sie auch Pudelmützen.

[Bearbeiten] Organisierung

Während in der DDR Vertriebenenvereine und heimatliche Vereinigungen aus politischen Gründen verboten waren, schufen sich nach dem Zweiten Weltkrieg Bessarabiendeutsche in der Bundesrepublik die Organisationen:

2005 fusionierten die Organisationen zum Bessarabiendeutschen Verein, die Altenpflegeeinrichtung wurde jedoch aus wirtschaftlichen Gründen selbstständig.

Pietistische Kreise formierten sich in der Nachkriegszeit im Bessarabischen Gemeinschaftsverband, auch Bessarabischer Gebetsverein genannt. 1974 erfolgte die Umbenennung in Evangelischer Gemeinschaftsverband Nord-Süd.

[Bearbeiten] Traditionspflege

Bauernpaar mit Kleinkind in früherer Landestracht (Heimattreffen 2003 in Möckern)
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Bauernpaar mit Kleinkind in früherer Landestracht(Heimattreffen 2003 in Möckern)

Auch heute (2006) nach 65 Jahren des Heimatverlustes pflegen die Bessarabiendeutschen sowie deren Nachkommen die Tradition. Halbmonatlich erscheint ein Mitteilungsblatt, jährlich ein Heimatkalender. Regelmäßig finden Heimattreffen oder Jubiläumsveranstaltungen aus Anlass von Dorfgründungen (im Jahre 2004/05 zahlreiche 190-Jahr Feiern) statt. Ein verbindendes Musikstück ist das zweiversige Heimatlied der Bessarabiendeutschen, das Albert Mauch 1922 verfasste.

Der Kontakt zur alten Heimat war wegen des kommunistischen Regimes bis in die 1960er Jahre nicht möglich. Seither nehmen Bessarabiendeutsche an organisierten Reisen in die Region teil. Dabei stellten sie in vielen ihrer Heimatdörfer Gedenksteine zum Andenken an die deutsche Besiedlung auf. Mit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 und der eingetretenen Armut führten Bessarabiendeutsche auch Hilfslieferungen für die dort lebende Bevölkerung durch.

[Bearbeiten] Siehe auch

[Bearbeiten] Quellen

  1. Umsiedlungsbefehl von Heinrich Himmler vom 12. Oktober 1939 als "Anordnung 21/II" (PDF-File)

[Bearbeiten] Literatur

  • Immanuel Wagner: Zur Geschichte der Deutschen in Bessarabien. Heimatmuseum der Deutschen in Bessarabien. Melter, Mühlacker 1958, Stuttgart 1982 (Repr. Christian Fiess, Hrsg.)
  • Jakob Becker: Bessarabien und sein Deutschtum. Krug, Bietigheim 1966.
  • Alois Leinz: Heimatbuch der Bessarabiendeutschen. 20 Jahre nach d. Umsiedlung. Hrsg. im Auftr. d. Bessarabiendt. Landsm. Rheinland-Pfalz. Wester, Andernach 1960.
  • Alfred Cammann: Vom Volkstum der Deutschen aus Bessarabien. Schriftenreihe Göttinger Arbeitskreis. Würzburg 1962, H.66.
  • Albert Kern: Heimatbuch der Bessarabiendeutschen. Ev.-Luth. Kirche, Hannover 1964
  • Friedrich Fiechtner: Heimat in der Steppe. Aus dem Schrifttum der Bessarabiendeutschen ausgewählt und bearbeitet von Friedrich Fiechtner. Verein zur Förderung des Schrifttums der Deutschen aus Bessarabien, Stuttgart 1964.
  • Arnulf Baumann: Die Deutschen aus Bessarabien. Ev.-Luth. Kirche, Hannover 2000, ISBN 3-9807392-1-X
  • Ute Schmidt: Die Deutschen aus Bessarabien. Böhlau, Köln 2004, ISBN 3-412-05004-0

[Bearbeiten] Weblinks


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