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Wilfrid Schreiber

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Prof. Dr. Wilfrid Schreiber - Bild: BKU
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Prof. Dr. Wilfrid Schreiber - Bild: BKU

Wilfrid Schreiber (* 17. September 1904 in Brüssel; † 23. Juni 1975 in Köln) gilt als „Vater der dynamischen Rente“. Er entwickelte 1954 im Auftrag des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU) die bestehenden Prinzipien der gesetzlichen Rentenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland, die 1957 (in abgewandelter Form) dem Bundestag als sogenannter Generationenvertrag zum Beschluss vorgelegt wurde. Hauptmerkmale dieses Systems sind das Umlageverfahren und die automatische Koppelung der Rentenhöhe an das Niveau der Arbeitseinkommen.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Leben

Wilfrid Schreiber studierte zunächst Geistes- und Naturwissenschaften in Köln, Bonn, Aachen und München und betätigte sich ab 1927 als Schriftsteller, Journalist und Rundfunk-Programmgestalter. Schreiber ist vor allem durch seine wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Kompetenz hervorgetreten. 1949-59 war er Geschäftsführer und wissenschaftlicher Berater des Bundes Katholischer Unternehmer. Als Privatdozent an der Universität Bonn lehrte er seit 1955 Wirtschaftstheorie, Sozialpolitik und Statistik. 1962 wurde er als Ordniarius auf den Lehrstuhl für Sozialpolitik an der Universität Köln berufen. Sein Institut entwickelte sich zur Hochburg in dieser Disziplin. Schreiber wurde 1972 emeritiert. Er starb 1975 in Köln.

[Bearbeiten] Die historische Situation

In den fünfziger Jahren war eine grundlegende Wende in der deutschen Sozialpolitik notwendig geworden. Mit der Wirtschaft ging es sichtlich aufwärts. Ihr stetiges Wachstum bescherte einen bescheidenen Wohlstand für große Teile der Bevölkerung. Trotzdem gab es noch Armut und Bedürftigkeit in erschreckendem Ausmaß, vor allem als Nachwirkung des zweiten Weltkrieges. 4,5 Millionen Kriegsopfer mussten versorgt werden. Zugleich wurde die junge Bundesrepublik mit einem starken Zustrom von Flüchtlingen und Zuwanderern konfrontiert. Außerdem konnte die Arbeitslosigkeit nur allmählich abgebaut werden. 1953 gab es immerhin noch 1,5 Millionen Erwerbslose. Die Kriegsgefallenen hatten Witwen und Waisen hinterlassen und fielen als Beitragszahler der Sozialversicherungenen aus. Private Spar- und Versicherungsguthaben waren durch die Währungsreform von 1948 im Verhältnis 10:1 entwertet worden. Auch die Kapitaldecke der gesetzlichen Rentenversicherung war dadurch weitgegend vernichtet worden - zum zweiten Mal seit der Geldentwertung durch die Hyperinflation in der Weimarer Republik. Die gesetzlichen Renten - kaum mehr als Taschengelder - mussten durch staatliche Zuschüsse aufrechterhalten werden. In dieser Situation bedeutete Rentenreform komplette Erneuerung, bei der alle Rechnungsgrundlagen verändert werden mussten. Auf Anraten Schreibers wurde in der bundesdeutschen Rentenpolitik in ein bedeutender Schritt vollzogen: Der Abschied vom bestehenden Kapitaldeckungsverfahren. Neben der Einführung der dynamischen Umlagefinanzierung wurde ein Anstieg der Renten um durchschnittlich 65 Prozent vollzogen.

[Bearbeiten] Der "Generationenvertrag"

Der Schreiber-Plan wurde 1955 als "Vorschlag zur Sozialreform" vom Bund Katholischer Unternehmer unter dem Titel "Existenzsicherheit in der industriellen Gesellschaft" herausgegeben. Darin ist die Idee des Generationenvertrages enthalten. Die betreffende Textstelle lautet:

"Unser Vorschlag kann als "Solidar-Vertrag zwischen jeweils zwei Generationen" bezeichnet werden. Die jeweiligen Arbeitstätigen sorgen dafür, dass die jeweils Alten ihre Renteneinkommen haben, und erwerben damit das Anrecht, in ihrem eigenen Alter von den dann Arbeitstätigen mitversorgt zu werden. Dieser Solidar-Vertrag ist nichts anderes als der wahrhaftige und ungekünstelte Vollzug der Tatsachen, die - so oder so - wirksam sind. Das Renteneinkommen der Alten eines ganzen Volkes kann tatsächlich immer nur aus dem laufenden Sozialprodukt entnommen werden. Darin sind sich die Gelehrten aller Richtungen einig. Der Einzelne kann Vermögen anhäufen, um es im Alter zu verzehren - die Gesamtheit des Volkes kann es nicht." (S. 29)

Schreiber nimmt damit Bezug auf die Mackenroth-These , derzufolge sämtliche Sozialausgaben nicht durch Rücklagen, sondern nur durch laufende Einnahmen finanziert werden können. In diesem Sinne hielt Schreiber den Altersverbrauch einer kapitalgedeckten Rücklage für ein "Zehren von der Substanz", die sich zwar ein vermögender Privatmann, nie aber eine dynamische, generationenübergreifende Volkswirtschaft leisten könne. Zur Erläuterung bemerkte er:

"Praktisch ist ein Vermögensverzehr immer nur einer Minderheit von Wirtschaftsubjekten möglich und höchtens in dem Maße, wie andere Vermögen bilden. Das Realkapital anzutasten wäre wirtschaftlicher Selbstmord (und in einer freien Wirtschaftsordnung die direkte Veursachung schwerster Krisen)" (S. 29f)

In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur wird meist darauf verwiesen, dass die Kapitaldeckung der bismarckschen Rentenversicherung durch Hyperinflation und Währungsreform vernichtet worden war. Schreibers These ging allerdings noch weit darüber hinaus. Schreiber hielt bereits die theoretische Möglichkeit einer hinreichenden, gesamtwirtschaftlichen Kapitaldeckung für Illusion. Die Vorstellung, privatwirtschaftliche Versicherungsmethoden in volkswirtschaftlichen Größenordnungen auf die gesetzliche Rentenversicherung anwenden zu können, betrachtete er als Irrtum. "Es fehle einem großen Kreis von Sachverständigen die Vorstellungskraft, sich von dem privatwirtschaftlichen Vorbild zu lösen", so Schreiber und erklärte, "dass das versicherungsmathematische Deckungskapital eigentlich seit Bestehen der Sozialversicherung, spätestens aber seit 1918 immer nur ein frommer Wunsch gewesen und geblieben sei" (S. 17). Aus diesem Grund machte Schreiber einen ungenierten Vorschlag, der die komplette Neuorientierung der gesetzlichen Rentenversicherung erforderte: "Preisgabe des Kapitaldeckungsprinzips zugunsten eines neuartigen Umlage-Verfahrens" (S. 19).

[Bearbeiten] Die wesentlichen Vorteile des Umlageverfahrens gegenüber dem Kapitaldeckungsverfahren aus der Sicht von Schreiber

Das sogenannte Umlageverfahren ist derzeit großer Kritik ausgesetzt. Ihm wird oft sogar vorgeworfen, Ursache der Rentenmisere zu sein. Die Argumente Schreibers zur Gunsten des Umlageverfahren werden im Folgenden dargestellt.

[Bearbeiten] Die Rentendynamik - die Anpassung der Renten an die allgemeine Wohlstandsentwicklung

Hauptargument für Schreibers Umlageverfahren ist die proportionale Angleichung des Rentenniveaus an die wirtschaftliche Entwicklung der Arbeitseinkommen:

"Bei unserem Vorschlag steigt die Absoluthöhe der Renten automatisch im Gleichschritt mit dem durchschnittlichen Arbeitseinkommen, das heißt, ungefähr mit dem Sozialprodukt je Kopf. Jeder Rentner hat somit die Gewähr, dass sein Renteneinkommen in jedem Jahr einem bestimmten Prozentsatz des Arbeitseinkommens seiner jüngeren, noch in Arbeit stehenden Arbeitskollegen gleichkommt. Diese Proportionalität ist das A und O jeder Rentenreform, die der Tatsache der dynamischen Entwicklung der modernen Wirtschaft Rechnung tragen will. Der Ausgleich etwaiger Geldwertschrumpfungen ist in dieser Proportionalität automatisch eingeschlossen." (S. 43)

Die soziale Sicherheit der dynamischen Rentenversicherung basiert auf der Teilhabe an allgemeinen Wirtschaftsleistung der Gegenwart und folgt damit der gesellschaftlichen Wohlstandsentwicklung. Private Rücklagen hingegen betrachtete Schreiber als in der Vergangenheit angespartes Vermögen, welches sich durch Altersverzehr stetig verringert:

"Im Gegensatz zum Faktor Arbeit nimmt ein einmal gebildetes Vermögen nur noch in schrumpfendem Maß teil an der stetigen Produktivitätssteigerung der Gesamtwirtschaft, die wir als Gewissheit hinnehmen, weil sie notwendig, unerlässlich und realisierbar ist. (...) Das Dahinschwinden der Vermögensertrags, die stetige Steigerung des Arbeitsertrags verbieten es, die Zukunftsvorsorge der Arbeiterfamilie allein auf individuelles Sparen und persönliche Vermögensbildung zu begründen. Unerlässlich ist und bleibt daneben die solidarische Selbsthilfe in größerem Kreis." (S. 9)

[Bearbeiten] Soziale Sicherheit auf breiterer Basis

Um einer möglichst weiten Risikostreuung willen strebte Schreiber eine Renten-Ordnung an, die "nahezu das ganze Volk umfasst". Er empfahl daher die Auflösung der bisher selbstständigen Versicherungsträger der Invaliden-, Angestellten- und Knappschafts-Rentenversicherung und ihr Aufgehen in einer einheitlichen "Rentenkasse des deutschen Volkes":

"Wenn der Bergmann seine Knappschafts-Rentenversicherung beibehalten will, so schädigt er sich selbst. Denn es kann binnen 30 bis 40 Jahren damit gerechnet werden, dass der Anteil der Bergbautätigen an der gesamten Erwerbsbevölkerung sich verringert. Dann sind zu wenig Arbeitstätige des Bergbaus da, um die noch lebenden Rentner des Bergbaus mit zu ernähren. (S. 32)

Für Schreiber war eine einheitliche, gesetzliche Pflichtversicherung den spezifischen Einzelversicherungen in doppelter Weise überlegen. Zum einem durch ihr gesamtwirtschaftliches Fundament, zum anderen dadurch, dass (unter Normalverhältnissen) keine Schrumpfung ihres Mitgliederbestandes zu befürchten ist, so dass die "Bildung von Deckungsreserven gänzlich überflüssig ist."

"Ebenso selbstverständlich wie sich die Notwendigkeit einer Kapitaldeckung bei einer Privatversicherung aus ihren Verpflichtungen laut BGB ergibt, ebenso überflüssig ist sie bei einer Volksversicherung. Die öffentlich-rechtliche Volksversicherung, die sich auf die Gewißheit ihres ewigen Bestandes stützen darf, hat diese Sicherung nicht nötig. Ihre - viel stärkere - Sicherung beruht auf der Gewißheit der Kontinuität des Volksdaseins. Sollte diese Kontinuität einmal durch übermächtige Katastrophen durchbrochen werden, so versagen die vermögensrechtlichen Sicherheiten der Privatversicherungen erst recht! (Stürzt der Himmel ein sind alle Spatzen tot.) " (S. 18)

[Bearbeiten] Unabhängigkeit von Geldwertschwankungen

Als weiteren Vorteil des Umlageverfahrens führt Schreiber seine Krisenstabilität gegenüber Geldwertschwankungen an. Während sich der Geldwert der Kapitalrücklage einer privaten Versicherung bereits bei geringster Inflation verkleinert und dies durch Zuwächse wettgemacht werden muss, bleibt das Umlageverfahren davon völlig unbeeindruckt. Bei der dynamischen Umlagefinanzierung werden schließlich keine Geldwerte sondern zukünftige Versorgungsansprüche erworben. Aus diesem Grund ist die gesetzliche Rentenversicherung resistent gegenüber möglichen Geldabwertungen - ein Argument, das in den fünfziger Jahren als besonders wichtig angesehen wurde. Inflation und Währungszusammenbruch gehörten schließlich zum erlebten politischen Bewusstsein.

"Unser Vorschlag befreit die Rentenordnung von dem nominalistischen Grundsatz der Äquivalenz, der besagt: wer 1000 DM eingezahlt hat, darf auch - und sei es 40 Jahre später - nur 1000 DM zurückerhalten. Die Altersrenten nehmen vielmehr an der jeweiligen Steigerung der volkswirtschaftlichen Produktivität teil und werden aus demselben Grund immun gegen alle Geldwertschwankungen. Maßeinheit für Leistung und Gegenleistung ist nicht die DM, sondern das jeweilige durchschnittliche Arbeitseinkommen. (...) Der Rentner nimmt also teil an der Wohlstandsentwicklung durch wachsende Produktivität und ist gegen Geldwertschwund ebenso gesichert wie der Arbeitstätige." (S. 30f)

[Bearbeiten] Die "irrige Zwangsvorstellung, Deckungsreserven bilden zu müssen"

Schreiber sah das Kapitaldeckungsverfahren als eine betriebswirtschaftliche Methode an, welche für die private Versicherungswirtschaft richtig ist, sich in der gesamtwirtschaftlichen Betrachtungsweise jedoch als falsch heraustellt. Im Gegensatz zur Privatwirtschaft sei bei einer öffentlich-rechtlichen Rentenanstalt, die nahezu das ganze Volk umfasst, keine Kapitaldeckung notwendig. "Man befreie die deutsche Sozialversicherung von den Katastrophenlasten" [...,] "aber ganz besonders von der irrigen Zwangsvorstellung, Deckungsreserven bilden zu müssen". (S. 21)

"Ein einzelner Wirtschaftsbürger oder eine begrenzte Gruppe von Wirtschaftsbürgern haben in der Tat die Möglichkeit, Einkommensteile zu einem Vermögen aufzusammeln, um es in einer späteren Periode wieder in Konsum-Einkommen aufzulösen. Die Volkswirtschaft als Ganzes hat diese Möglichkeit jedoch nicht und zwar aus dem einfachen Grunde, dass Investitionen praktisch irreversibel sind. Der einzelne Sparer, der sein gespartes Vermögen in Konsumgeld zurückverwandeln will, hat diese Möglichkeit nur kraft der Tatsache, dass seiner Desinvestition zahlreiche andere Wirtschaftsbürger gegenüberstehen, die im gleichen Zeitpunkt sparen und investieren wollen. Er übernimmt deren erspartes Einkommen. sie übernehmen seine Investition, die real bestehen bleibt und nur ihren Eigentümer wechselt. Im kleinen Maßstab der Dispositionen einzelner ist das immer möglich, im volkswirtschaftlichen Maßstab - und der ist im Falle der Rentenversicherung gegeben - ist es nicht möglich. Die Rentenversicherung hat, wenn sie Reserven bilden will, praktisch keine andere Wahl als diese "anzulegen", zu investieren. Und wenn sie ihre Reserven in Anspruch nehmen will, um sie in zusätzliches Rentenkapital zu verwandeln, muss sie folglich "desinvestieren". Dabei handelt es sich um Milliardenbeträge! Sie desinvestiert just in dem Augenblick, da es - zur Kompensation für das geringer werdende Arbeitsangebot - auf Investion um jeden Preis ankommt, um den einmal erreichten Lebensstandard mindestens zu halten. Das wäre unverhüllter volkswirtschaftlicher Selbstmord. Das Fazit: Einmal gebildete Reserven einer Rentensanstalt, die 4/5 der Bevölkerung umfasst, können nicht ohne schwerste, nicht zu verantwortende Schädigung der Volkswirtschaft in Rentengeld aufgelöst werden. Die Altersrenten für 4/5 der Bevölkerung können immer nur aus dem laufenden Sozialprodukt aufgebracht werden. Eine andere Möglichkeit ist praktisch nicht gegeben. Wir folgern: Eine Reservebildung wäre sowohl überflüssig wie schädlich." (S. 20f)

[Bearbeiten] Der ursprüngliche "Schreiber-Plan"

[Bearbeiten] Versicherungspflicht auch für Selbstständige und Besserverdienende

Ursprünglich sollte die "Gesamtheit aller Arbeitstätigen" einbezogen werden, auch die "selbstständigen Arbeitstätigen", wobei die Einkommensgrenze der Versicherungspflicht aufgehoben werden sollte. Die gesetzliche Rentenversicherung sollte damit auf ein möglichst großes Fundament gestellt werden, "um die Stetigkeit ihrer Rechnungsgrundlagen über alle möglichen Strukturveränderungen der Wirtschaftsgesellschaft und ihrer Zusammensetzung nach Beruf und Erwerbsart" (S.32) sicherzustellen.

"Vollmitglied der Rentenkasse des deutschen Volkes ist kraft Geseztes jeder Bürger der Deutschen Bundesrepublik, der - als Arbeitnehmer oder Selbständiger - Arbeitseinkommen erzielt. (...) Empfänger höherer Einkommen verbleiben demnach dennoch Zwangsmitglieder, doch wird als Arbeitseinkommen in diesen Fällen nur das vierfache des jeweiligen durchschnittlichen Arbeitseinkommen zugrunde gelegt. (Ähnlich wie schon heute bei den Berufsgenossenschaften.)" (S. 29)

[Bearbeiten] Keine staatliche Zuschüsse

Ganz im Gegensatz zur heutigen politischen Praxis ist Schreibers Umlageverfahren vom Grundsatz her so ausgelegt, dass auf staatliche Zuschüsse komplett verzichtet werden kann. Schreiber forderte sogar die "radikale Unterdrückung von Staatszuschüssen zur Sozialversicherung" (S. 14).

"Es ist der Rentenkasse grundsätzlich untersagt, irgendwelche Vermögenswerte, seien es Zuschüsse oder Zuwendungen von juristischen oder natürlichen Personen oder Stiftungen entgegenzunehmen oder zu verwalten." (S. 29)

Als Grund dafür nannte er: "Es ist ersichtlich sinnlos, dem Steuerzahler zunächst Einkommensteile in Form von Steuern abzunehmen und sie ihm dann mit der Geste des Wohltäters zurückzugeben. Machen wir Schluß mit diesem Gaukelspiel, das nur der falschen Optik der Staatsomnipotenz Vorschub leistet. Der Staat verlangt von uns Unternehmern mit Recht Bilanzklarheit und Wahrhaftigkeit. Wir verlangen mit demselben Recht Klarheit und Wahrhaftigkeit der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung." (S.14)

[Bearbeiten] Die Kindheits- und Jugendrente

Der Schreiber-Plan beruhte ursprünglich auf einem "Drei-Generationenmodell" mit drei definierten Lebensphasen:

  • Kindheit und Jugend
  • Arbeitsalter
  • Lebensabend

Schreiber ging davon aus, dass ein umlagefinanziertes Rentensystem nur ungestört funktionieren kann, wenn ein ausgewogenes Verhältnis der Generationen vorhanden bleibt. Darunter verstand er nicht, das die Demographie gleich bleiben muß: "Etwaige Rentenverschlechterung durch „Überalterung„ unseres Volkes und durch die höhere Lebenserwartung der Rentner würde binnen kürzester Zeit durch die mit Sicherheit zu erwartenden Aufwärtsentwicklung der Arbeitseinkommen überkompensiert." (Schreiber, Seite 31, als spezielles Beispiel führte er die kriegsbedingte Demographiestörung an.). Die Erwerbsfähigen müssten daher nicht nur in die Rentenkassen einzahlen, sondern auch Kinder großziehen, um die Versorgung künftiger Rentner durch eine hinreichende Anzahl von Beitragszahlern zu gewährleisten.

Um die familiäre Leistung der Kindererziehung zu honorieren, schlug Schreiber eine zusätzliche "Kindheits-und Jugendrente" vor, und zwar mit Staffelung der Rückerstattungsquoten nach Familienstand als "bewußtes Element der Bevölkerungspolitik" (S. 35). Die "Institutionen der Altersrente und des Kindergeldes" gehörten mit Notwendigkeit zusammen und müßten als Einheit gesehen werden, "weil beiden der gleiche und einheitliche Tatbestand und dasselbe Problem zugrunde liegen." (S. 37)

Erziehungsleistungen waren für Schreiber also ebenso Vorbedingung für die Beanspruchung einer späteren Altersrente wie das Einzahlen der Beiträge:

"Wer kinderlos oder kinderarm ins Rentenalter geht und, mit dem Pathos des Selbstgerechten, für gleiche Beitragsleistungen gleiche Rente verlangt und erhält, zehrt im Grunde parasitär an der Mehrleistung der Kinderreichen, die seine Minderleistung kompensiert haben. Es gibt allen Spöttern zum Trotz ein gesellschaftliches "Soll" der Kinderzahl, eben jene 1,2 Kinder, die jeder Einzelmensch haben muß, damit die Gesellschaft am Leben bleibt und auch für den Unterhalt ihrer Alten aufkommen kann." (S. 37)

Das Konzept der Kindheits-und Jugendrente wurde allerdings von Konrad Adenauer abgelehnt. "Kinder kriegen die Leute sowieso", soll der damalige Bundeskanzler erklärt haben. Offenbar verfolgte Adenauer andere Pläne zur Familienförderung. Er hatte bereits 1953 mit Franz-Josef Wuermeling einen Familienminister eingesetzt - und ab 1955 gab es Kindergeld - allerdings unabhängig von der gesetzlichen Rentenversicherung.

[Bearbeiten] Doppelter Erstattungsfaktor für Kinderlose ab 35

Kinderlose Werktätige ab 35 sollten unmissverständlich mit einem "doppelten Erstattungsfaktor" zu Kasse gebeten werden. (Gemeint ist der Faktor zur Erstattung der Kindheits-und Jugendrente, welche allerdings nicht eingeführt wurde.)

"Dem unverheirateten 35jährigen wird die doppelte Erstattungsquote aufgebürdet (gegenüber dem Ehepaar mit zwei Kindern), nicht um ihn für seine "Ehelosigkeit" zu bestrafen - eine sittliche Wertung seines Verhaltens ist nicht Sache dieser Abhandlung, die sich an rein wirtschaftliche Gegebenheiten hält. Die Doppelung seines Erstattungsfaktors ist nur die sehr milde Kompensation dafür, daß er nichts unternimmt, um sein gesellschaftliches Nachwuchs-Soll zu erfüllen, dabei aber obendrein sein Individualeinkommen für sich allein verbrauchen kann, während der Ehemann im erstrebten Regelfall es mit seiner Gattin teilen muß. Diese Doppelung ist auch in den Fällen gerecht, in denen aus biologischen Gründen eine Verheiratung unmöglich oder unerwünscht ist. Es wird ja keine Gesinnung belohnt oder bestraft, es werden nur Folgerungen aus objektiven wirtschaftlichen Tatsachen gezogen. Ob einer ehelos bleiben will und wieviel Kinder er haben will, sei eine eigene, höchst individuelle Entscheidung, in die ihm kein Staat dreinreden soll." (S. 37f)

[Bearbeiten] Höhe des Rentenniveaus

Schreiber hielt damals ein Rentenniveau von 50% des Bruttoeinkommens für angemessen: "Etwaige Rentenverschlechterung durch „Überalterung“ unseres Volkes und durch die höhere Lebenserwartung der Rentner würde binnen kürzester Zeit durch die mit Sicherheit zu erwartenden Aufwärtsentwicklung der Arbeitseinkommen überkompensiert." (S. 31 - gemeint ist mit der Aufwärtsentwicklung der Arbeitseinkommen die steigende Produktivität.). Dabei ging er 1955 davon aus, dass eine Summe der Rentenbeiträge von Arbeitgeber und Arbeitnehmer von 22% annehmbar sein sollte (S. 43). Mit Gerechtigkeit begründete Schreiber, dass die Rentenhöhe konstant bleiben sollte - aber nicht bleiben muss. Bei einer Beitragshöhe von 22% und der damaligen Demographie schätzte Schreiber die Rentenhöhe auf 50% des Arbeitseinkommens. Schreiber war der Meinung, dass eine Rente von 50% des Arbeitseinkommens zwar knapp ist, aber ausreicht, besonders da betriebliche Altersrenten dazu kommen (S. 45). Adenauer setzte die Rentenhöhe 70% des Bruttoeinkommens fest. (Die Gewerkschaften forderten 75%, andere Gutachter 60% vgl. S. 43f). Um in einzelnen Wirtschaftszweigen den Lebensstandard der Beschäftigten nicht zu senken, schrieb Schreiber: "wobei wir je nach Wirtschaftszweig Lohnkorrekturen bis zu vier Prozent nach oben für unvermeidbar halten." (S.43).

Das Vorhandensein unterschiedlicher Meinungen verschiedener Gruppen (Gewerkschaften 75%, Adenauer 70%, einige Gutachter 60%, Schreiber 50%) zeigt, dass es keine wissenschaftlich begründbare Meinung für eine bestimmte Rentenhöhe geben kann. Deswegen darf auch im Laufe der Zeit wegen der steigenden Produktivität die Rentenhöhe steigen.

Wie unterschiedlich Rentensysteme finanzierbar sind, zeigt, dass 70% umlagefinanzierte Rente und betrieblichen Zusatzrente von 10% (also insgesamt 80%) finanzierbar sind - wenn auch die Zahl der Rentenbezieher mit solcher Rentenhöhe nicht sehr groß ist. Zur Höhe einer betrieblichen Zusatzrente hat Schreiber nichts gesagt, aber die Gesamtrente von 80% konnte sich beispielsweise auch aus Schreibers 50% und 30% Zusatzrente zusammensetzen. Durch die Art der Finanzierung tritt weder für Rentner, Beschäftigte noch Arbeitgeber eine wesentliche Änderung ein: statt viel Geld in die betriebliche Rentenkasse einzuzahlen, wäre ein größerer Teil in das Umlageverfahren einzuzahlen gewesen.

Der statistische Anstieg der Lebenserwartung allein stellte sich für Schreiber nur als ein verhältnismäßig geringfügiges Problem dar. Als problematischer erschienen ihn die kriegsbedingten Unterbrechungen in der Generationenfolge, oder ein möglicher zukünftiger Bevölkerungsrückgang: "Die Rechnungsgrundlagen für die Altersrente zeigen eindeutig, dass die Rentenversorgung der Alten und Nicht-mehr-Arbeitsfähigen immer problematischer wird, wenn sich der Baum der Bevölkerung nicht ständig von unten her ergänzt." (S.36) Dabei hat Schreiber nichts über die Höhe der Ergänzung gesagt, da er ja wußte, dass die Produktivität ständig steigt.

Das drückt sich auch darin aus, daß um 1960 (also zu Schreibers Zeiten) die jährliche Arbeitszeit bei 2163h lag und bis 2004 auf 1445h gesunken ist (durchschnittliche Arbeitszeit der Beschäftigten, die durchschnittliche Arbeitszeit der Erwerbspersonen ist sogar von 2135h auf 1276h gefallen). Die Änderung der Demographie war geringer als die Änderung der Arbeitszeit, so daß der Arbeitszeitanteil in Stunden zur Finanzierung der Rente absolut gesunken ist (allerdings relativ gestiegen ist = steigende Rentenbeiträge). Die Änderung der Demographie in den letzten 40 Jahren war größer als die in Zukunft zu erwartende Demographieänderung.

So hatte Schreiber keinen Grund zu Besorgnis. Damals begann sogar ein Geburtenüberschuss. Zudem konnte Schreiber zuversichtlich der bereits absehbaren Wohlstandsentwicklung des Wirtschaftswunders entgegensehen. Selbst wenn auf den Ausgleich demographischer Schwankungen verzichtet würde, stünde sich der Rentner nach der Rentenreform immer noch besser als vorher. Etwaige Rentenverschlechterung durch "Überalterung" unseres Volkes und durch die höhere Lebenserwartung der Rentner würde binnen kürzester Zeit durch die mit Sicherheit zu erwartenden Aufwärtsentwicklung der Arbeitseinkommen überkompensiert. (S.31) Schreiber hatte daher allem Grund zum Optimismus: Seine "dynamische Rente" war schließlich auf den "Gleichlauf von Renten und Lebensstandard" angelegt. Die Altersrenten folgten also "ohne Verzug jeder Steigerung des allgemeinen Lebenstandards" (S.31) "Mögen 50% des Arbeitseinkommens als Rente heute noch knapp erschienen", so Schreiber, "in naher Zukunft wird dieser Satz durchaus annehmbar sein." (S.45)

Zwischen Rentenhöhe, Lebensbaum und Beitragshöhe besteht ein mathematischer Zusammenhang - für die Höhe selbst nicht. Da der Lebensbaum aktuell immer gegeben ist bedeutet eine Erhöhung der Renten eine entsprechende Erhöhung der Beitragssätze. Entgegen Schreibers Empfehlungen setzte Bundeskanzler Adenauer ein Brutto-Rentenniveau von 70% fest Die Erhöhung war offenkundig strategisch motiviert. Die Gewerkschaften und die SPD hatten schließlich 75% gefordert. Bei den anstehenden Bundestagswahlen von 1957 wären die von Schreiber vorgesehenen 50% also vergleichsweise unattraktiv gewesen. Gegen die Adenauersche Festsetzung standen Bedenken, die einige Wissenschaftler äußerten. Einige wurden dabei in Form mathematischen Bedenken ausgedrückt. Daß diese Bedenken unbegründet waren, hat die jahrelange Praxis gezeigt. Erst in den letzten Jahren wurden Schreibers Prinzipien nicht mehr eingehalten, so daß die Rentenversicherung heute mit Finanzierungsproblemen kämpft.

[Bearbeiten] Keine versicherungsfremden Leistungen

Im ursprünglichen Schreiber-Plan hatte die gesetzliche Rentenversicherung lediglich die Aufgabe, die Rentenbeiträge ohne Umweg an die Anspruchsberechtigten weiterzuleiten. Darüber hinaus hatte sie keine fürsorglichen Verpflichtungen. Auch "Katastrophenlasten, die ihr in durchaus unlogischer Weise aufgebürdet" worden seien, müssten "gerechtermaßen vom ganzen Volk - das heißt aus Steuermitteln - getragen werden." (S.21)

[Bearbeiten] Verlängerung der Lebensarbeitszeiten

Die Problematik einer "Rentenverschlechterung durch Überalterung" hatte Schreiber bereits vorhergesehen. Schließlich war der statistische Anstieg der Lebenserwartung bereits in den fünfziger Jahren bekannt:

"Die relative Zunahme der Rentner in den Jahren 1965-1980 ist mitverursacht durch die Tatsache der - dank des Fortschritts, der Hygiene und Medizin - wachsenden Lebenserwartung aller Menschen. Wenn die Menchen länger leben, ist es durchaus zumutbar und vernünftig, die Dauer ihres Arbeitslebens (heute: 65 Jahre) ein wenig heraufzusetzen. - Eine Heraufsetzung des gesetzlichen Rentenalters um nur zwei Jahre dürfte nach überschlägiger Schätzung auch in den kritischen Jahren nach 1965 ausreichen, um zu bewirken, dass die durch Umlage aufgebrachten Renten in ihrem Realwert nicht sinken." (S. 19)

Bei steigendem Lebensstandard der Beschäftigten erfolgte in der Vergangenheit die Sicherung der Rentenhöhe wegen der Änderung der Demographie und Zulassen steigender Arbeitslosigkeit durch die Erhöhung der Rentenbeiträge und dieser Weg sollte auch in Zukunft fortgesetzt werden. Durch entsprechende Rahmenbedingungen sollte dafür gesorgt werden, daß solche sinkenden Jahresarbeitszeiten entstehen, die Arbeitslosigkeit fast vermeiden, steigende Rentenhöhen ermöglichen und die Beitragszahlung nur moderat erhöhen. Allerdings wird heute von mancher Seite auch eine Erhöhung des Renteneintrittsalters sowie eine normative Verlängerung der Wochen- Monats- oder Jahresarbeitszeiten der Beitragszahler gefordert, um mit dem erwarteten Anstieg der versicherungspflichtigen Einkommen eine größere Summe der Sozialbeiträge zu erzielen. Derartige Forderungen gehen vollkommen an der Realität vorbei, da schon jetzt viele ältere Arbeitslose keine Arbeit finden. Derartige politische Eingriffe ins Marktgeschehen hatte Schreiber jedoch grundsätzlich abgelehnt:

"Arbeitseinkommen aber kann in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung nur Individualeinkommen sein. Jeder Versuch, dem Arbeitgeber eine Differenzierung des Lohns nach dem "sozialen Gepäck" des Arbeitnehmers aufzuerlegen, würde sich nur zum Schaden derer, die man begünstigen will, auswirken." (S.8)

[Bearbeiten] Grundsätzlich keine Frühverrentung - auch nicht für Invalide

"Scheidet ein Vollmitglied vor Erreichung des Rentenalters freiwillig aus dem Erwerbsleben aus, so wird sein Rente gleichwohl erst nach Erreichung des Rentenalters fällig. Dasselbe gilt für Vollmitglieder, die durch Krankheit oder Unfall arbeitsunfähig werden. Ihr Existenzrisiko wird nicht durch die Rentenkasse, sonden durch eine der unabhängig von dieser einzurichtenden Volks-Risiken-Versicherungen (Solidargemeinschaften) gedeckt." (S. 28)
"Ein wichtiges arbeitspolitisches Anliegen ist es, den psychologisch bedingten Sog der Frühinvalidität spürbar abzubremsen. Die Frühinvalidität ist die relativ schwerste Belastung der heutigen Rentenversicherung. (...) Erweist sich Rehabilitation als nicht möglich, so muss der Betroffene sein frühzeitiges Ausscheiden aus Arbeitsleben als ein hartes persönliches Schicksal hinnehmen und sich mit einer Rente begnügen, die nur knapp das Existenzminimum deckt. Für das Fehlende muss Familienhilfe einspringen - äußerstenfalls die öffentliche Fürsorge. Es kann nicht die Aufgabe einer Solidargemeinschaft sein, dem - wenn auch schuldlos - leistungsunfähig gewordenen Mitglied relativ bessere Lebensbedingungen zu verschaffen, als sie der Arbeitstätige sich kraft eigener Leistung verschafft." (S. 45)

[Bearbeiten] Zusätzliche private Altersvorsorge

Schreiber war, trotz des Plädoyers für die gesetzliche Rentenversicherung, kein Gegner der privaten Altersvorsoge. Ganz im Gegenteil:

"Es wäre schlechte Sozialpolitik, wenn die Zwangsbeiträge zur sozialen Sicherheit so hoch bemessen werden, dass einerseits die zu erwartende Altersrente jede persönliche Eigentumsvorsorge überflüssig erscheinen lässt und andererseits das Nettoeinkommen während des Arbeitsalters so stark beschneidet, dass für die persönliche Vermögensbildung keine Mark mehr übrigbleibt. Noch ist die persönliche Vermögensbildung so rentabel, dass sie als Ergänzung zur Altersrente aus Solidarvertrag jedem Arbeitnehmer guten Herzens empfohlen werden kann. Vorsorge durch persönliche Eigentumsbildung und Altersrente aus Solidarvertrag stehen als gleichrangige Möglichkeiten nebeneinander. Die eine soll die andere ergänzen." (S. 44f)

[Bearbeiten] Würdigung und Kritik

[Bearbeiten] Aktualität

Schreibers Vorschläge zur Rentenreform sind auch heute noch außerordentlich aktuell. Seine Empfehlungen sind so gegenwartsnah, dass man kaum glauben mag, dass der Text des Schreiber-Planes bereits vor über fünfzig Jahren formuliert wurde. Alle Fehlentwicklungen der gegenwärtigen Rentenversicherung hatte er klar vorhergesehen: "Hätte die Politik damals Schreibers umfassendes Konzept ganz übernommen, wären unsere Sozialversicherungen heute nicht in einer Krise." - so die offizielle Stellungnahme des Bundes Katholischer Unternehmer.

Mit der "dynamischen Umlagefinanzierung" hatte Wilfrid Schreiber den gewählten Volksvertretern des Deutschen Bundestages ein zweifellos funktionierendes Rentensystem anvertraut, welches allerdings - ganz im Gegensatz zu wahltaktischen Strategien - auf kluge und vorausschauende Politik angewiesen ist. Den ökonomischen Weitblick der praktischen Politik hatte Schreiber dabei offenbar überschätzt. So ist die gegenwärtige Rentenversicherung - entgegen Schreibers ursprünglich selbsttragender Konstruktion - weitgehend auf staatliche Zuschüsse angewiesen.

[Bearbeiten] Umlageverfahren gegenüber Kapitaldeckung aus der Sicht von Schreiber

Gegenwärtig wird die Rückkehr zum Kapitaldeckungsverfahren als Lösung der Rentenmisere diskutiert, die wissenschaftliche Diskussion um die Vor- und Nachteile der jeweiligen Finanzierungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Die Befürworter des Umlageverfahren begründen die gesehenen Vorteile mit volkswirtschaftlichen Überlegungen. Beide Modelle - Kapitaldeckungsverfahren wie Umlageverfahren - sind darauf angewiesen, dass die Einnahmen zumindest so hoch sind wie die Ausgaben. Das privatwirtschaftliche Versicherungsgewerbe sei zudem noch "mit einem Handicap belastet", wie Schreiber es ausdrückte. (vgl. S. 18) Eine kapitalgedeckte Rentenversicherung muss nämlich darüber hinaus noch Deckungsreserven ansparen. Dass gerade diese Mehrbelastung zur finanziellen Entlastung der Mitglieder führen soll, sei also fragwürdig. Auch wird die Frage aufgeworfen, ob es überhaupt möglich ist, einen Kapitalstock aufzubauen, der groß genug ist, dass die Rentnergeneration einer ganzen Bevölkerung im Alter davon leben kann. Schreiber hat diese Frage seinerzeit mit einem klaren Nein beantwortet.

[Bearbeiten] Probleme und Einflussfaktoren

Das drängendste und relativ schwerwiegendste Problem der heutigen Rentenversicherung ist nach Expertenmeinung die zu niedrige Erwerbsquote. Dabei macht sich vor allem die anhaltende Massenarbeitslosigkeit durch schwindende und fehlende Beitragsleistungen bemerkbar, während auf der Ausgabenseite der industriell-betriebene und volkstümliche Trend zur Frühverrentung verheerend zu Buche schlägt. Hinzu kommen der späte Berufseinstieg, die zunehmend unsteten Erwerbsbiographien, die sinkende Lohnquote, die Überfrachtung mit versicherungsfremden Leistungen und die immer noch nahezu unbeantwortet gebliebenen Fragen der steigenden Lebenserwartung und des demographischen Wandels, die Schreiber mit erstaunlicher Klarheit vorhergesehen hatte.

Schreiber setzte aus diesem Grund die Erhöhung des Rentenalters um zwei Jahre bereits für die Mitte der sechziger Jahre an. Heute - mehr als 40 Jahre später - konnte sich die praktische Politik immer noch zu keinem richtungsweisenden Entschluss dieser Art durchringen. Im Gegenteil: Anstatt die Lebensarbeitszeiten an die längere Lebenserwartung anzupassen, wurde das faktische Renteneintrittsalter in der Vergangenheit sogar um knapp fünf Jahre herabgesenkt und liegt heute im Durchschnitt bei 60 Jahren. Auf diese Weise gerieten die Proportionen der gesetzlichen Rentenversicherung in zweifacher Weise aus dem Gleichgewicht. Zum einen stieg die Anzahl der Rentner um fünf Jahrgänge an, zum anderen wurde die Anzahl der potentiellen Beitragszahler um jene fünf Jahrgänge verkleinert. Dieses doppelte Missverhältnis stellt sich heute als schwerwiegende rentenpolitische Fehlentwicklung dar. Erst seit allerjüngster Zeit gibt es - wohl mit Rücksicht auf geruhsame Gemüter in der Wahlbevölkerung - zaghafte Ankündigungen, die Lebensarbeitszeit möglichst sanft heraufzusetzen. Das Rentenalter soll schrittweise von 2012 an auf jene 67 Jahre (im Jahr 2029) erhöht werden. Freilich bringt die formale Erhöhung dieser Altergrenze nur wenig, wenn die Industriebetriebe für Menschen über 60 fast gar keine Arbeitsplätze mehr zur Verfügung stellen, sondern die gesetzlichen Möglichkeiten des "Früher-in-Rente-Gehens" betriebswirtschaftlich nutzen, um sich der älteren Mitarbeiter zu entledigen. Der große Wurf zur Sanierung der Rentenversicherung ist jedenfalls bisher nicht gelungen. Wilfrid Schreibers Empfehlung, die Auszahlung der Renten überhaupt erst mit dem Erreichen des gesetzlichen Rentenalters zu beginnen, klingt heute vielleicht sehr hart. Vorruhestands-Mentalität und das Aufkeimen einer massenhaft-industriellen Frühverrentungs-Praxis wäre mit diesem Modell jedoch wirksam verhindert worden.

[Bearbeiten] Politische Präferenzen

Wirtschaftsminister Ludwig Erhard und Finanzminister Fritz Schäffer stimmten 1957 gegen den sogenannten "Generationenvertrag". Auch die FDP lehnte Schreibers Rentenmodell ab. Man befürchtete schon damals einen ungebührlichen Ausgabenanstieg, der die Lohnkosten in die Höhe treibt.

Ein Ausstieg aus dem Generationenvertrag scheint allerdings ohne schwere soziale Konflikte kaum mehr möglich zu sein: "Wer unser Rentensystem später einmal ändern will, muss dann entweder die Alten enteignen oder die Jungen ausbeuten" soll Joseph Kardinal Höffner, der Erzbischof von Köln einmal gesagt haben.[1] Kardinal Höffner war promovierter Volkswirt und als Professor für christliche Gesellschaftslehre seinerzeit ebenfalls als Berater für den Bund Katholischer Unternehmer tätig. An der Ausarbeitung von Wilfrid Schreibers Plänen zur gesetzlichen Rentenversicherung war er maßgeblich beteiligt.

(Anmerkung: Die Seitenangaben im Text beziehen sich auf die Online-Ausgabe von "Existenzsicherheit in der industriellen Gesellschaft" (PDF-Dokument) Quelle: BKU)

[Bearbeiten] Literatur

[Bearbeiten] verwendete Veröffentlichungen

[Bearbeiten] Sekundärliteratur

  • Anne Dohle: Die Sozialpolitiklehre Wilfrid Schreibers zur gesetzlichen Krankenversicherung und zum Familienlastenausgleich. Diss. Universität Köln, 1990
  • Elmar Löckenhoff: Die Sozialpolitiklehre Wilfrid Schreibers zur Gesetzlichen Rentenversicherung und Vermögensbildung. Diss. Universität Köln 1990
  • André Habisch: Sozialpolitik als Gesellschaftsordnungspolitik - Wilfrid Schreiber als Mitarchitekt der sozialen Marktwirtschaft. Diskussionsbeiträge der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät Ingolstadt, Katholische Universität Eichstätt, 1999

[Bearbeiten] Weblinks

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