Konservatismus
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dieser Artikel oder Absatz stellt die Situation in Deutschland dar. Hilf mit, die Situation in anderen Ländern zu schildern. |
Der Konservatismus – auch: Konservativismus – (von lat. conservare: erhalten, bewahren) gehört zu den großen politischen Strömungen, die sich seit dem 18. Jh. in Europa herausgebildet haben. Ideengeschichtlich bezeichnet Konservatismus eine Weltanschauung, die eine jeweils herrschende politische und moralische Ordnung gegen Kritik verteidigen und die in ihr begründete Verteilung von Macht und Ressourcen vor Veränderung schützen oder eine in der Vergangenheit exemplarisch verkörperte idealistische Ordnungsidee durchsetzen will. Modernismus oder Progressismus (wissenschaftlich) sind die Gegenpole des Konservatismus. Ferner verlangt der Konservatismus, die gegebene Position/Haltung zu wahren, sofern das "Neue" nicht als besser erkannt und anerkannt worden ist.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Ideen des Konservatismus
Der Konservatismus als geistig-politische Strömung in Europa ist in seinem Kern eine politische Ordnungslehre, die in antik-mittelalterlichen und christlichen Ideen ihre Wurzeln hat. Der Konservatismus geht davon aus, dass es eine der menschlichen Vernunft vorgegebene göttliche Ordnung gibt, deren Grundzüge sich vor allem in der Idee eines ewigen, transzendental verbürgten und unantastbaren Rechts ausdrückten (Naturrecht/Göttliches Recht). Dem Prinzip der radikalen Neuerung ("Avantgarde") wird der Gedanke einer politischen und geistigen Kontinuität und einer Orientierung an bewährter, historisch gewachsener Tradition gegenüberstellt. Die Selbstbezeichnung "konservativ" orientierte sich ursprünglich an den römischen Begriffen "conservator rei publicae" und "conservator populi" (dt.: Retter des Staates - Retter des Volkes), was dann als Abwendung einer gefährlichen-zerstörerischen Situation oder Tendenz verstanden wurde. Anhänger der konservativen Idee haben nicht unbedingt einen grundsätzlicher Gegensatz zum Fortschritt behauptet, wie etwa die Selbstbezeichnung der führenden konservativen Tageszeitung Wiens um 1880, dem "Vaterland" (mit dem Chefredakteur Karl von Vogelsang), zu sehen ist, welche sich im Untertitel "konservativ-fortschrittlich" nannte. Abgelehnt wurde die Mehrheit der von den revolutionären Kräften geforderten Veränderungen; Reformen sollten auch nicht gewaltsam, sondern kontinuierlich erfolgen. Den Konservativen ging es um die Erhaltung und den Ausbau des ihrer Überzeugung nach Erhaltenswerten (einschließlich der ethischen Werte) und zu diesem Zweck wurden häufig auch eigene Ideen zur Gesellschaftsgestaltung und Sozialreform propagiert.
Gegen die Forderung der Französischen Revolution nach Gleichheit betont der Konservatismus vor allem die hierarchischen und freiheitlichen Elemente einer harmonischen, gottgebenen Ordnung (Edmund Burke). Diese "natürliche" Gesellschaftsordnung sieht Burke als organisches Ganzes. Gegenüber diesem Ganzen müssen individualistisch-egoistische Ansprüche zurücktreten. Die Gemeinschaft, wird gegen eine atomisierte und rechtlose Gesellschaft in Stellung gebracht. Die Gemeinschaft ist geprägt von Tradition, Brauchtum, Gewohnheit und Bindung. Veränderung und Fortschritt sind nicht kategorisch ausgeschlossen, stehen aber unter dem Vorbehalt gesellschaftlicher Akzeptanz und Integration in das bestehende Wertesytem. Bei Burke sollen weniger die tradierten Macht- und Herrschaftsverhältnisse, als das grundsätzlich-ideelle Wertegeflecht gewahrt werden; so verteidigt er beispielsweise die Glorreiche Revolution als einen legitimen Schutz bestimmter Werte (insb. der Glaubensfreiheit) gegen die herrschenden, aus seiner Sicht rechtlosen Verhältnisse. Folgerichtig wird die "Glorreiche Revolution" bei ihm eben nicht als Revolution, sondern Restauration bestimmt. Macht, Herrschaft und Staat sind für den kontinental-europäischen Konservatismus zentrale Kategorien. Der Staat ist positiv konnotiert und autoritär begründet, etwa wenn er als Abwehrmechanismus gegen die moralische Verderbtheit des von Natur aus böse gedachten Menschen (vgl. Erbsünde; Thomas Hobbes) und seinen privatistischen Egoismen gedacht wird. Auf den Staat ist das konservative Ordnungsdenken hin ausgerichtet. Der organizistisch vorgestellte Staat ist der "natürliche" Ort, an dem politische Macht, inappelable (durch Einspruch nicht rückgängig zu machende) Entscheidung und soziale Verantwortung zusammenlaufen (vgl. auch: Gewaltmonopol).
Im anglo-amerikanischen Konservatismus erhält - diametral zu der kontinentaleuropäischen Ausprägungen - das Individuum eine positiv bewehrte Funktion. Es rückt in das Zentrum der politischen Ideenlehre und bekommt nun die ordnungsstiftende Funktion zugesprochen, die im europäischen Konservatismus der Staat erhält. Durch nationale Identität und politische Symbole wird das Individuum auf gemeinsame Wertvorstellungen verpflichtet und in seiner ordnungsstiftenden Aufgabe bestärkt. Der Staat erscheint dagegen als Verkörperung anonymer Kräfte und Quelle der Unfreiheit. Sicherheit erscheint als Resultat individueller Stärke und Durchsetzungskraft. Diese individualistische Ausprägung konservativen Denkens geht mit einer starken Betonung privater Wirtschaftsformen und persönlicher Wohlstandssteigerung einher.
[Bearbeiten] Geschichte des politischen Konservatismus in Europa
Als politisch aktive Strömung entstand der neuere Konservatismus seit dem 17. Jahrhundert im Kampf der Stände gegen den Machtanspruch des frühmodernen absolutistischen Staates; er wurde zuerst getragen von den Kräften des Adels und den traditionellen regionalen Führungsgeschichten. Im 18. Jh. bekämpften die Vertreter des Konservatismus die Ideen des Rationalismus und der Aufklärung, die im Glauben an die vernunftbestimmte Autonomie des Menschen und an dessen vermeintliche Fähigkeit zur rein vernunftgemäßen Neuordnung aller Bereiche des Politischen gipfelten. In der Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution von 1789 entstanden die ersten großen politischen Programmschriften des Konservatismus (insbesondere Edmund Burke, Joseph de Maistre, Friedrich Gentz, Ernst Brandes, Adam Müller, Karl Ludwig von Haller).
Der politische Begriff konservativ entstand erst um 1800 in England und Frankreich („conservative“; „conservateur“) und wurde (nach der 1832 erfolgten Umbenennung der britischen Tory-Party in „Conservative Party“) seit den frühen 1830er Jahren auch in Deutschland übernommen. Der Konservatismus richtete sich jetzt gegen die verschiedenen Ausprägungen revolutionärer politischer Theorie und Praxis, als welche man nicht nur die Vertreter der radikalen Demokratie und des Sozialismus, sondern ebenfalls des Liberalismus und Konstitutionalismus (s. auch: Verfassung) ansah.
[Bearbeiten] Konservatismus in Deutschland
Seit 1848 waren in den Parlamenten der deutschen Einzelstaaten (vor allem in Preußen), später auch im Deutschen Reichstag konservative Parteien vertreten; bis 1918 existierten dort zwei konservative Parteien: die ostelbisch-agrarisch orientierte Deutschkonservative Partei und die vom Hochadel und Industriekreisen getragenen Reichskonservativen.
[Bearbeiten] Bismarcks Erbe
Die spezifisch deutsche Ausprägung des Konservatismus ist untrennbar mit der Figur Otto von Bismarcks verbunden. In seiner Amtszeit wurde die sog. Soziale Frage, also der Konflikt zwischen Arbeiterbewegung und Wirtschaftsliberalismus, dahingehend aufgelöst, dass zum einen die Sozialdemokratie verboten (Sozialistengesetze) und zum anderen ein eigenes staatliches Sicherungssystem (Sozialgesetzgebung) etabliert wurde. Zudem setzte er in dem sog. Kulturkampf das Lebensrecht des Staates gegen den weltlichen Machtanspruch der katholischen Kirche durch. Diese beiden Erfolge sicherten dem antiliberalen Staat sein machtpolitisches Fundament und die breite gesellschaftliche Zustimmung.
Die Stabilisierung und Festigung der konservativen Staatsidee durch Bismarck führten zu einer vergleichsweise späten Inaugurierung demokratischer Prinzipien und Institutionen in Deutschland.
[Bearbeiten] Weimarer Republik, Nationalsozialismus
Nach 1918 sammelte sich der deutsche Konservatismus vor allem in der DNVP und in geistig-intellektuellen Strömungen die teilweise mit dem Begriff „Konservativen Revolution“ assoziiert werden. Die Machtübernahme Hitlers bedeutete das vorläufige Ende des Konservatismus als politischer Kraft in Deutschland; seine Stellung zum Nationalsozialismus war allerdings uneinheitlich: sie reichte von der Kollaboration über das Mitläufertum bis hin zum aktiven Widerstand (wie etwa bei den Widerstandskreisen vom 20. Juli 1944). Nach 1945 hatte der Konservatismus, der sich nach der Erfahrung der totalitären Diktatur überwiegend zum Prinzip des demokratischen Rechtsstaats bekannte, als eigenständige politische Kraft keine entscheidende Rolle in der deutschen Politik gespielt; die kleine konservative Deutsche Partei zählte 1949-1960 zu den Regierungsparteien der Ära Adenauer. Verschiedene Versuche neuer eigener konservativer Parteigründungen blieben erfolglos.
[Bearbeiten] Konservatismus in Deutschland heute
Heute findet sich der politische Konservatismus in Deutschland vor allem als eine Strömung in den Unionsparteien CDU und CSU. Die Traditionsstränge der christlichen Demokratie sind jedoch umfassender als die des Konservatismus; sie umfassen neben diesem in Deutschland auch den politischen Katholizismus, kleinere Strömungen des politischen Protestantismus sowie den klassischen Liberalismus. Dem konservativen Erbe entspricht zuerst das christliche Menschenbild, das – trotz der Achtung vor der personalen Würde jedes einzelnen Menschen – nicht das Individuum, dessen Autonomie als Vernunftwesen sowie dessen Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt und verabsolutiert (Gemeinwohl), sondern den Menschen zuerst als Bestandteil oder Grund einer Ordnung begreift, in die er hineingeboren wird: als Teil einer sittlich-moralischen Ordnung ebenso wie als Teil einer auf die Werte der Mitmenschlichkeit, der politisch-sozialen Verantwortung hin angelegten, auch durch religiöse Tradition mitbegründeten Gemeinschaft (sittlicher Organismus). Schließlich hat ebenfalls das sozialkonservative Ideengut, das sich seit der 2. Hälfte des 19. Jh. mit der Forderung nach staatlicher Sozialpolitik gegen die Auswüchse eines reinen Wirtschaftsliberalismus (Kapitalismus) richtete (s. Katholische Soziallehre), Eingang gefunden in die Grundideen der christlichen Sozialethik und der Sozialen Marktwirtschaft. Die heute als konservativ bezeichneten Parteien weichen jedoch auch in wichtigen Punkten vom historischen Konservatismus ab. So herrschen etwa in der Christdemokratie etwa durchaus positive Konnotierungen eines technologischen Fortschritts vor. Auch gibt es einen bedeutenden neoliberal ausgerichteten Flügel. Eine eher staatskritische Partei wie die FDP gilt in Deutschland bemerkenswerterweise als "natürlicher" Koalitionspartner der Unionsparteien, obgleich das ideengeschichtliche Fundament liberaler und konservativer Strömungen konträr ist.
Arnold Gehlen und Helmut Schelsky sind wichtige zeitgenössische Denker des Konservatismus in Deutschland.
[Bearbeiten] Siehe auch
- Konservative Revolution
- Liste christdemokratischer und konservativer Parteien
- Neokonservatismus
- Neue Bürgerlichkeit
- Politische Ideologie
- Wertkonservatismus
- Strukturkonservatismus
[Bearbeiten] Literatur
- P. Kondylis: Konservatismus. Geschichtlicher Gehalt und Untergang. 1986.
- Armin Mohler: Die Konservative Revolution in Deutschland. 2 Bde. 1989.
- A. Schildt: Konservatismus in Deutschland. Von den Anfängen im 18. Jh. bis zur Gegenwart. 1998.
- Frank Bösch: Das konservative Milieu. Wallstein, Göttingen 2002. ISBN 3-89244-501-X (Eine Sozialgeschichte des dt. Konservatismus im 20. Jh.)
- Martin Greifenhagen: Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1986. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 634). ISBN 3-518-28234-4
- Bernd Heidenreich (Hg.): Politische Theorien des 19. Jahrhunderts. Band 1: Konservatismus, Wiesbaden 1999. (Sammelband der Hessischen Landeszentrale für Politische Bildung)
- Karl Mannheim: Konservatismus. Ein Beitrag zur Soziologie des Wissens. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984. (Suhrkamp Taschenbücher Wissenschaft Nr. 478). ISBN 3-51828-078-3
- Armin Pfahl-Traughber: Konservative Revolution und Neue Rechte. Leske + Budrich Verlag, Opladen 1998. ISBN 3-81001-888-0
- Richard Saage: Rückkehr zum starken Staat? Studien über Konservativismus, Faschismus und Demokratie. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1983. ISBN 3-518-11133-7 (Aufsätze zu Carl Schmitt, Ernst Forsthoff, Hans Freyer u.a.)
- Hans-Gerd Schumann (Hg.): Konservativismus. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1974. (Neue Wissenschaftliche Bibliothek 68) - ISBN 3-462-00993-1 (Sammelband mit Grundlagentexten zur Theorie und Geschichte des Konservatismus)
- Caspar von Schrenck-Notzing (Hg.): Lexikon des Konservatismus. Stocker, 1996. ISBN 3-70200-760-1
- Rudolf Vierhaus: Konservativ, Konservatismus, in: Otto Brunner u.a. (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Band 3. Klett-Cotta, Stuttgart 1982. ISBN 3-608-91500-1
- Günter Rohrmoser: Geistige Wende. Christliches Denken als Fundament des Modernen Konservativismus. Olzog, München 2000. ISBN 3-7892-8025-9
Neue programmatische Schriften von Konservativen
- Udo Di Fabio: Die Kultur der Freiheit. C.H. Beck, München 2005. ISBN 3-406-53745-6
- Günter Rohrmoser: Konservatives Denken im Kontext der Moderne. Gesellschaft für Kulturwissenschaft, Bietigheim/Baden 2006. ISBN 3-930218-36-4
[Bearbeiten] Weblinks
- Konservatismus im Lexikon bei bpb.de
- Paul Nolte, Die Krise des Konservatismus ("Die Zeit" Nr. 31/2001)
- Friedrich A. Hayek, Why I Am Not a Conservative (Eine Apologie des liberalen Vordenkers)