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Diskurs

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Der Begriff des Diskurses wurde laut unterschiedlicher philosophischer und allgemeiner Lexika bis in die 1960er Jahre vorrangig in der Bedeutung "erörternder Vortrag" oder "hin und her gehendes Gespräch" verwendet. Seit den 1960er Jahren wird der Begriff jedoch zunehmend von so genannten Diskurstheorien verwendet und erhält je nach Theorie eine völlig neue spezifische Bedeutung.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Diskurs als Vortrag

Beim Diskurs als erörterndem Vortrag lassen sich zwei Diskursarten unterscheiden:

  • bei systematischer Anwesenheit von turn-Wechseln: Sprechhandlungssequenz, z.B. Frage und Antwort, Vorwurf und Rechtfertigung
  • bei systematischer Abwesenheit von turn-Wechseln: Sprechhandlungsverkettung, z.B. Vortrag, Erzählung

[Bearbeiten] Diskurs (philosophisch)

Neben der rein sprachwissenschaftlichen Bedeutung wird Diskurs heute vielfach als philosophischer Begriff verwendet. Allerdings stehen hier zwei Verwendungsweisen unverbunden nebeneinander: Habermas sah als Vorreiter einer linguistischen Wende in der Philosophie die Sprachfähigkeit als das entscheidende Kennzeichen des Menschen und entwickelte eine Diskursethik. Diskurs ist bei ihm der Schauplatz kommunikativer Rationalität. Foucault hingegen untersucht als (vermeintlicher) Poststrukturalist den Wandel der Denksysteme. Als Diskurs bezeichnet er viel grundsätzlicher den Vorgang der Herausbildung jener Wahrheiten, in denen wir uns unser Sein zu denken geben. Was jeweils als "vernünftig" gilt, ist nicht wie bei Habermas die intersubjektive, als vernünftig anerkannte Wahrheit, sondern die Wirkung von historischen Machtspielen.

[Bearbeiten] Diskursbegriff Habermas

Jürgen Habermas bezeichnet in seiner Theorie des kommunikativen Handelns mit Diskurs den Prozess einer Aushandlung von individuellen Geltungsansprüchen der einzelnen Akteure (bei Habermas auch als "Aktoren" bezeichnet). Ein Merkmal der Sprache ist dabei nach Habermas die ihr innewohnende Rationalität. Die Ergebnisse einer Kommunikation – wenn sie frei ist von Verzerrungen durch Macht oder Hierarchien – sind ihm zufolge zwangsläufig rational. Als beste Versicherung für wahre Erkenntnisse, richtige Normen und wahrhafte Gefühle sieht er somit den herrschaftsfreien Diskurs.

Habermas Diskursbegriff bestand dabei in Teilen aus der psychoanalytischen Tradition der US-amerikanischen discourse analysis (Gesprächsanalyse). Jürgen Link sieht dabei als ein zweites Element den aufklärerischen "Begriff der Rationalität von Interventionen in öffentlichen Debatten". Somit zielte Habermas mit diesen dialogischen und interaktionistischen Elementen zunächst auf "eine rationale, auf ungezwungenen Konsens zielende Debatte". Später nähert sich Habermas mit seinem Diskursbegriff Michel Foucault an und spricht von speziellen bzw. spezialisierten Diskursen. Im Gegensatz zu Foucault "beharrt er ... auf der Priorität einer letztlich souveränen Intersubjektivität gegenüber dem jeweiligen Diskurs. Vereinfacht könnte man sagen: Bei Habermas konstituiert die Intersubjektivität den Diskurs, bei Foucault wird sie als je spezifisch-historische allererst von Diskursen konstituiert".

[Bearbeiten] Diskursbegriff Foucault

Der aktuell populäre Begriff "Diskurs" bezieht sich jedoch nicht auf Habermas oder etwa die Theorien der Gesprächs- und Konversationsanalyse der 1970er Jahre. Heute wird der Begriff Diskurs häufig im Sinne der Diskurstheorie von Michel Foucault verwendet. Grob vereinfacht meint Foucault mit Diskurs das in der Sprache aufscheinende Verständnis von Wirklichkeit der jeweiligen Epoche. Die Regeln des Diskurses definieren für einen bestimmten Zusammenhang, oder ein bestimmtes Wissensgebiet, was sagbar ist, was gesagt werden soll und was nicht gesagt werden darf und welcher Sprecher was wann sagen darf. Der Diskurs ist dabei nur der sprachliche Teil einer "diskursiven Praxis", die auch nichtsprachliche Aspekte miteinschließt. In manchen Theorien wird der Vollzug bestimmter (körperlicher) Darstellungsweisen (Performativität) als Teil der diskursiven Praxis verstanden. Beispielsweise bestimmte feministische Theorien fassen die Geschlechtsidentität selbst als diskursive Praxis auf (vgl. Judith Butler). Die heute als real wahrgenommenen Unterschiede zwischen Mann und Frau können so als diskursive Konstruktion dargestellt werden.

An einem Beispiel soll die Möglichkeit zur konstruktiven Verwendung des Diskursbegriffs deutlich werden.
Der Begriff "Ausländerflut" ist eine Konstante im "Immigrations-Diskurs" in Deutschland, ein Begriff, der impliziert, Immigranten träten in "Fluten" und damit als Naturphänomen und Naturkatastrophe auf. In der Analyse des Diskurses zeigt sich, in welcher Weise wir über die Welt nachdenken. In diesem Fall über das als Immigration problematisierte Phänomen der Überschreitung (eigentlich auch nur gedachter) Grenzen. Wenn Einwanderung häufig in Verbindung mit Flut in unserem Denken und Reden auftaucht, so hat das tiefergehende Bedeutung. In diesem Zusammenhang heißt dann "Diskurs" nicht mehr nur "Diskussion" sondern eher so etwas wie "sprachlich produzierter Sinnzusammenhang, der eine bestimmte Vorstellung forciert, die wiederum bestimmte Machtstrukturen und Interessen gleichzeitig zur Grundlage hat und erzeugt". Soweit "Diskurs" mit "Diskussion" gleichgesetzt wird, geht ihm ein entscheidender Bedeutungsaspekt verloren: die Eigenschaft, Realität zu erzeugen und zu strukturieren. [1]

[Bearbeiten] Diskursbegriff der kritischen Diskursanalyse

Jürgen Link und Siegfried Jäger schließen mit ihrer kritischen Diskursanalyse an den Diskursbegriff von Michel Foucault an. Diskurs meint hier die institutionalisierte gesellschaftliche Redeweise, die das Handeln der Menschen bestimmt. Gegenstand sind dabei sowohl die Form, als auch der Inhalt von Äußerungen. Gefragt wird auch nach dem, was in den Redeweisen nicht gesagt wird oder sagbar ist. Für Jäger besitzt der Diskurs zudem eine historische Dimension: Diskurs ist ein Fluß von Rede und Texten („Wissen“) durch die Zeit (vgl. Siegfried Jäger 2004).

[Bearbeiten] Kritische Anmerkung

In der Regel wird der Begriff heutzutage zwar "versuchsweise" im Hinblick auf Foucault gebraucht, jedoch in seiner alten Bedeutung gemeint, nämlich als Unterhaltung oder allgemeine Diskussion. Die Bezugnahme auf die moderne französische Philosophie wird nur noch in der häufig skurrilen Art der syntaktischen Einbindung deutlich. Von einem "deutschen Diskurs über den Antisemitismus" im Sinne Foucaults zu sprechen ergibt wenig Sinn, wenn man sich dabei nicht selber als Teil dieses Diskurses versteht und die Produktion von Sinn, Macht und Herrschaft wenigstens mit meint. So schön der Satz "Rassismus erscheint im bundesdeutschen Diskurs nicht als Problem, das die Mitte der Gesellschaft tangiert, sondern als eine Randerscheinung" klingt, so könnte man den "bundesdeutschen Diskurs" problemlos durch "in der öffentlichen Diskussion in der BRD" ersetzen, ohne dass der Satz an Bedeutung verliert. In diesem Sinne ist der Diskurs wohl auch ein Modewort in (pseudo-) intellektuellen Diskurs-Versuchen.

[Bearbeiten] Siehe auch

diskursiv (Adjektiv), Diskursethik, Intersubjektivität, Diskursanalyse, Diskurstheorie des Rechts, Rhetorik, Argumentationstheorie, Diskurstheorie, Dispositiv (Diskurstheorie), Diskursstrang, Dialektik

[Bearbeiten] Literatur

  • Jürgen Link: Elementare Literatur und generative Diskursanalyse Fink, München 1983, ISBN: 3770521420
  • Jürgen Link: Literaturwissenschaftliche Grundbegriffe. Eine programmierte Einführung auf strukturalistischer Basis Fink, München 1993, ISBN 3-7705-1725-3
  • Jürgen Link: Von der Diskurs- zur Interdiskursanalyse (mit einem Blick auf den Übergang vom Naturalismus zum Symbolismus). In: Leopold Decloedt et al. Rezeption, Interaktion und Integration. Niederländischsprachige und deutschsprachige Literatur im Kontext. Edition Praesens, Wien 2004, ISBN 3-7069-0252-4.
  • Siegfried Jäger: Kritische Diskursanalyse: Eine Einführung. 4. Auflage. Unrast, Münster 2004, ISBN 3-89771-732-8
  • Holger Burckhart (Hrsg.) et al.: Die Idee des Diskurses. Interdisziplinäre Annäherungen. Markt Schwaben 2000

[Bearbeiten] Weblinks

Wiktionary: Diskurs – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme und Übersetzungen

[Bearbeiten] Quellen

  1. http://www.handbuchderglobalisierung.de Diskurs, in: F. Schmidt: Handbuch der Globalisierung 2002 [19.02.2006]

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