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Bilinguismus

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Im weitesten Sinne ist ein zweisprachiger (oder bilingualer) Mensch jemand, der kommunikative Fähigkeiten in zwei Sprachen besitzt, entweder aktiv oder passiv. Im engeren Sinne wird das Wort Zweisprachigkeit (oder Bilingualismus) oft nur für solche Menschen verwendet, die muttersprachliche (oder nahezu muttersprachliche) Kompetenz in zwei Sprachen aufweisen. Spricht ein Mensch drei oder mehr Sprachen, spricht man von Mehrsprachigkeit oder Multilingualismus.

Zweisprachige Menschen, die es in vielen Gesellschaften und Gesellschaftsschichten gibt, haben während ihrer Kindheit zwei (oder mehr) Sprachen gelernt; solche Sprachen bezeichnet man mit L1. Manche Zweisprachigen haben ihre zweite Sprache erst später gelernt; solche Sprachen werden in diesem Zusammenhang mit L2, L3 usw. bezeichnet.

L1-Sprachen werden ohne formellen Unterricht erlernt (daher: Muttersprache, da Sprache der Mutter). Die Art und Weise, wie man eine Sprache auf natürliche Weise lernt, ist höchst umstritten. Der nordamerikanische Sprachforscher Noam Chomsky vermutet, dass es ein Instrument gibt (Language Acquisition Device - LAD), das es Kindern erlaubt, die Gesetzmäßigkeiten der Sprachen zu erlernen, welche die Erwachsenen um sie herum benutzen. Laut Chomsky lässt die Funktionalität dieses Instruments mit der Zeit nach (was erklärt, weshalb ältere Kinder und Erwachsene Sprachen mit geringerem Erfolg [oder erst durch wesentlich erhöhten Aufwand] lernen als Kinder).

Zweisprachigkeit bedeutet nicht notwendigerweise, auch dazu fähig zu sein, von einer dieser Sprachen in die andere zu dolmetschen.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Definitionen

"Perfekte" Zweisprachigkeit gibt es nicht, was mit dem Fehlen "perfekter Einsprachigkeit" korrespondieren dürfte. Die Wissenschaft unterscheidet zwischen mehreren Formen von Bilingualismus: nach dem Niveau der Sprachkompetenz in den beiden Sprachen, nach dem Alter der Aneignung der zweiten Sprache, danach, ob die Person in einem zweisprachigen Umfeld lebt, nach dem Status der Sprache im sozialen Umfeld sowie nach der kulturellen Identität und dem Zugehörigkeitsgefühl des Individuums.

[Bearbeiten] Simultaner Früh-Bilingualismus

Von simultaner Früh-Zweisprachigkeit (bilingualem Erstspracherwerb) spricht man, wenn ein Kind dann, wenn es sprechen lernt, mit zwei Sprachen in Berührung kommt, beispielsweise wenn jeder Elternteil eine andere Sprache mit dem Kind spricht.

Als Erwachsener können sich solche Kinder oft in beiden Sprachen gleich gut ausdrücken, sofern im persönlichen Entwicklungsprozess die Motivation dazu erhalten bleibt und das Individuum weiterhin die Gelegenheit hat, beide Sprachen zu benutzen und wenn es sich außerdem an verschiedenen sprachlichen Kontexten beteiligen kann (und will). Gleichzeitig gibt es kontextabhängige Performanzunterschiede in den Sprachen. Eine der Sprachen wird in einem Kontext bzw. mit bestimmten Sprechern nicht benutzt, deshalb gibt es keine Deckungsgleichheit pragmatischer Kompetenz.

Zum gleichzeitigen Erwerb zweier (oder mehrerer) Sprachen wird in der Spracherwerbsforschung kontrovers diskutiert, ob Kinder ihre beiden Sprachen früh trennen (separate development theory; vertreten z. B. durch Jürgen Meisel) oder in den ersten Phasen des Spracherwerbs eine Ausdifferenzierung der beiden Sprachsysteme (Lexikon und Grammatik) noch nicht gegeben ist (fusion theory; vgl. z. B. Volterra und Taeschner). Die bisher vorliegende Forschung spricht für eine frühe separate Entwicklung der beiden Sprachen.

[Bearbeiten] Konsekutiver Bilingualismus

Von konsekutiver Zweisprachigkeit spricht man, wenn ein Kind zuerst eine erste Sprache lernt und später eine zweite. Wenn es dann lernt zu sprechen, verinnerlicht das Kind also eine einzige Sprache. Wenn ein Kind die zweite Sprache vor dem Eintritt der Pubertät lernt, hat es gute Chancen, diese akzentfrei und fehlerlos und mit hoher Kompetenz zu sprechen.


[Bearbeiten] Subtraktiver/Additiver Bilingualismus

Wenn ein Individuum seine erste Sprache (d.h. die Muttersprache) zugunsten einer neuen Sprache vernachlässigt, wird dieses 'subtraktiver Bilingualismus' benannt.

Die subtraktive Zweisprachigkeit kann z. B. dort auftreten, wo eine Person in einem kulturellen Umfeld lebt, in dem ihre erste Sprache eine Minderheitensprache ist und gleichzeitig einen geringeren Status hat als die von der Gemeinschaft gesprochene Sprache. Dies ist beispielsweise für frankophone Personen in Kanada (außerhalb von Québec) oder für Angehörige von sprachlichen Minderheiten in den europäischen Nationalstaaten der Fall (Frankreich, Italien, Deutschland, ...).

Die Anziehung, die eine status-höhere Gruppe auf ein Individuum ausübt, kann dazu führen, dass die Individuen ihre erste Sprache (Muttersprache) zugunsten der prestige-trächtigeren zweiten Sprache vernachlässigen, allein, um sich mit ihrer Zielgruppe zu identifizieren.

Wenn jemand eine neue Sprache im Kindesalter erlernt (ohne dabei die erste Sprache(n) zu verlieren) spricht man von "additivem Bilingualismus".

Anmerkung: Diese Definitionen werden in der Sprachforschung benutzt, gelten jedoch in der Sozialpsychologie als umstritten und sollten daher mit entsprechender Vorsicht benutzt werden.

[Bearbeiten] Bilingualismus bei Erwachsenen

Diese Art der Zweisprachigkeit kann sich entwickeln, wenn sich ein Individuum im Jugend- oder Erwachsenenalter in ein anderssprachiges soziales Umfeld begibt und sich die dortige Sprache durch den Kontakt aneignet.

Eine solche Zweisprachigkeit entwickelt sich beispielsweise immer dann, wenn eine Person in ein anderssprachiges Land emigriert. Das sprachliche Ungleichgewicht ist im Vergleich mit der Früh-Zweisprachigkeit sehr viel höher. Die Zweisprachigkeit kann jedoch so weit entwickelt werden, dass die Person in den meisten Kontexten beide Sprachen mit sehr hoher Kompetenz gebrauchen kann.

[Bearbeiten] Zweisprachigkeit in der Forschung

Mit Bilingualismus oder Mehrsprachigkeit kann man sich auf verschiedenen Ebenen beschäftigen. Es werden häufig sehr unterschiedliche Untersuchungsmethoden angewendet. Die Thematik wird und wurde in Disziplinen und Bereichen untersucht, wie:

Linguistik Die Linguistik, die weitgehend Chomsky's Ideen folgt, konzentriert sich vorwiegend auf dem monolingualen Sprecher. Mehrsprachigkeitsforschung in dieser Disziplin erfolgt vorwiegend im Bereich der Spracherwerbsforschung (s.u.). Die Beiträge in interdisziplinären Feldern, wie der Neurolinguistik, Psycholinguistik und Soziolinguistik helfen wohl kontrollierte Forschungsmethoden zu entwickeln. Hier konnten Konzepte, die die Sprache(n) als System(e) betrachten, die wiederum in Subsysteme (z.B.: linguistische Kategorien) unterteilt werden können erfolgreich in interdisziplinäre Forschungsvorhaben integriert werden (siehe z.B.: Paradis (div.).

Psychologie Im Bereich der Psychologie beschäftigt sich vor allem die Entwicklungspsychologie und die Kognitionsforschung mit Sprache. Bedeutende Ergebnisse konnten im Bereich Gedächtnisforschung und der Wahrnehmungsforschung erreicht werden. Mehrsprachigkeit als allein gestellter Forschungsgegenstand spielte bisher jedoch eine untergeordnete Rolle. Allerdings werden die Forschungsmethoden mit Vorliebe in den anderen Disziplinen verwendet, allen voran der Psycholinguistik, aber auch innerhalb der Fremdsprachendidaktik.

Fremdsprachendidaktik Ist ein Forschungsbereich, der sich vor allem mit dem Fremdsprachenunterricht beschäftigt und damit nicht unbedingt mit dem natürlichen Erwerb und der Förderung mehrerer Sprachen. Die Bedeutung der sog. "literacy" (Lesefähigkeit) wird auch von anderen Forschungsbereichen zunehmend für den erfolgreichen Spracherwerb anerkannt. Vor diesem Zusammenhang ist das Vorhaben, "individuelle Mehrsprachigkeit" mithilfe gezielten "Fremdsprachunterrichts" zu fördern (Sarter, p.c. (Potsdam, Lehrstuhl für Fremdsprachendidaktik, 2006)), sicherlich gerechtfertigt. Hier werden Unterrichtsmethoden vorwiegend direkt in der Praxis getestet.

Neurolinguistik & Psycholinguistik Eine klare Grenze zwischen Neuro- und Psycholinguistik ist schwer zu ziehen. Die Geschichte beider Forschungsfelder ist relativ unterschiedlich, wobei sie sich vermutlich deshalb sehr gut ergänzen können. Bei beiden steht das mehrsprachige Individuum im Vordergrund und das, was beim Sprechen und Verstehen mehrerer Sprachen im Gehirn passiert. Auch langfristige Auswirkungen von Mehrsprachigkeit werden in Modellen simuliert und durch bildgebende Verfahren erforscht. Klassische Forschung beschäftigte sich vorwiegend mit pathologischen Fällen (Hirngeschädigte, genetische Defekte etc.).

Spracherwerbsforschung Hier liegt die Betonung oft auf den Dichotomien angeboren vs. nicht-angeboren und erlernt vs. erworben. Vor allem monolingualer aber auch bilingualer Spracherwerb werden anhand von langfristigen Untersuchungen und/oder ausgefeilter experimenteller Methodik erforscht. Ziel ist die Erklärung von Erwerbsphasen und des Erwerbs grammatischer Komponenten.

Soziolinguistik Hier liegt die Betonug oft auf Effekten, die sich auf der Ebene von Gruppen/Gesellschaften und deren Mehrsprachigkeit manifestieren. Das Individuum wird vor dem Hintergrund sozialer Strukturen betrachtet. Im Zusammenhang mit Sprachwandel- und Sprachkontaktforschung konnten hier bedeutende Ergebnisse erreicht werden. Forschung in diesen Bereichen greift auf lange und etablierte Traditionen zurück (vgl. Romaine, 2004, de Bot (div.), Seliger, 1991). --84.62.28.158 17:49, 21. Okt. 2006 (CEST)MBW


[Bearbeiten] Zweisprachigkeit und Immigrantenkinder

Eine Studie an der Universität von Lausanne (Intégration scolaire des enfants migrants, 2000) hat gezeigt, dass Kinder, die in die Schweiz immigrieren, weniger Erfolg im Unterricht haben als muttersprachliche Kinder. Außer sozialen Fragen wurden auch mangelnde Sprachkenntnisse als Grund genannt. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass vier Faktoren eine Rolle spielen: Wird die andere Sprache als unbedeutend angesehen, kommt das Kind aus einer niedrigeren sozialen Schicht; ist es über 10–12 Jahre alt und wird die Muttersprache des Kindes von den Lehrern vernachlässigt, so kann dies zu verzögertem Lernen führen. Die Studie rät deshalb dazu, die erste Sprache und die Integration der Kultur der Immigrantenkinder zu fördern; Lehrer sollen sich vergegenwärtigen, wie schwierig es für Kinder ist, eine neue Sprache zu lernen und deshalb sensibler reagieren.

Die Erziehungswissenschaftler Hans-Joachim Roth an der Universität Hamburg und Hans H. Reich an der Universität Koblenz-Landau haben 2002 gemeinsam mit anderen einen Überblick über den Stand der nationalen und internationalen Forschung mit dem Titel Spracherwerb zweisprachig aufwachsender Kinder und Jugendlicher veröffentlicht. Unter anderem beschreiben sie den Fall von Kindern von Migranten in Deutschland, die vor dem Schulanfang die Minderheitssprache sehr hoch entwickelt, Deutsch aber in geringerem Umfang gelernt haben. "Sehr vorsichtig" vermuten die Wissenschaftler, dass sich das Erlernen der L1 verlangsamt, während die L2 beim Erlernen die andere Sprache überholt; solche Kinder erreichen im Durchschnitt aber nicht das Niveau einsprachig aufwachsender Kinder.

Die Zweisprachigkeit wird deshalb oft als einer der Hauptgründe für die oft relativ schlechten schulischen Leistungen von Immigrantenkindern gesehen. Hier muss man natürlich unterscheiden zwischen Kindern von Immigranten, die in dem neuen Land geboren sind und die Umgebungssprache oft von Geburt an miterlernt haben, und Immigrantenkindern, die die Umgebungssprache erst beim Umzug in das neue Land lernen, manchmal erst als Heranwachsende. Diesen Problemen kann jedoch mit einer gezielten schulischen Förderung begegnet werden, so dass die Zweisprachigkeit im Endeffekt zu einer größeren Sprachkompetenz der Kinder führt.

In Ländern wie den USA (wo frühe Zweisprachigkeit nicht als potentieller Vorteil, sondern als Nachteil betrachtet wird) werden die Probleme von Immigranten- oder zweisprachig aufgewachsenen Kindern unter dem Begriff Limited English Proficiency zusammengefasst. Pädagogische Sondermaßnahmen konzentrieren sich hier nicht auf die Förderung beider Sprachen und somit die Sprachkompetenz des Kindes. Die Bemühungen konzentrieren sich ausschließlich auf die Beherrschung der Landessprache (will heißen, dem Kind wird seine Zweisprachigkeit "abgewöhnt").

[Bearbeiten] Mehrsprachigkeit und Migration als multifaktorielle Phänomene

An dieser Stelle sollte auf einige wichtige Aspekte des Forschungsstandes und beteiligte Faktoren hingewiesen werden. Bei den Überlegungen zur Thematik der Sprachkenntnisse und den schulischen Leistungen von Migranten und Migrantenkindern wird über einen mehr oder weniger starken Zusammenhang zwischen dem Erlernen einer Zweitsprache und den schlechteren Ergebnissen in der Schule spekuliert. Dies ist ein problematischer Zusammenhang, da er sich kaum von den anderen Faktoren isolieren lässt. Es gibt zahlreiche Beispiele von erfolgreichem Zweitspracherwerb - auch bei älteren Kindern (mit Migrationshintergrund) - sowie Beispiele für sehr gute oder gar überragende Schulleistungen bei ihnen. Ferner gilt es als bewiesen, dass Intelligenz und Sprache nicht (direkt) zusammenhängen (siehe auch weiter unten). Ein Artikel in wissenschaft.de (15.02.2005) berichtet von aktuellen Forschungsergebnissen mit hirngeschädigten Patienten, die darauf hinweisen, dass „zum Erfassen mathematischer Prinzipien [] Sprache nicht notwendig [ist]“. Andererseits fehlt es an unumstrittenen Instrumentarien zur Testung von Bildungsergebnissen. Hierzu sind erst kürzlich Forschungsvorhaben angelaufen.

Die Gründe für Schwierigkeiten beim Spracherwerb und andererseits für schlechte Ergebnisse in der Schule bei Migranten und Migrantenkindern dürften sehr komplex sein. So können die Geschichten der Familien, die ausgewandert sind, sehr unterschiedlich sein. Es gibt sehr traumatische Erfahrungshintergründe mit Kriegsflucht, Todesfällen in der Familie, großen Krisenerfahrungen im Ursprungsland.

Auch persönliche Krisen vor Ort mit Verlust an Status, Verwirrung in Bezug auf die eigene Identität und Zugehörigkeit dürften sehr starken Einfluss auf die Leistungsfähigkeit haben. Es ist bekannt, dass Identitätsprobleme und Stress zu Leistungsverschlechterungen führen. Andererseits ist aus der Hochbegabtenforschung die 'Kontroverse' bekannt, dass Unterforderung zu schlechteren Leistungen führt. Aufbauklassen für Migranten gibt es in Deutschland jedoch nur selten in Gymnasien und ältere Kinder werden so gut wie gar nicht in Gymnasien aufgenommen - unabhängig von mitgebrachten Fähigkeiten. Das könnte dazu führen, dass viele begabte Kinder (sowie jegliche Begabungen allgemein schwächerer Kinder) durch ihren Migrationshintergrund und den falschen Umgang damit die möglichen Leistungsziele nicht erreichen.

Bei Kindern, die im Land geboren wurden, sind vermutlich vorwiegend andere Faktoren ausschlaggebend. Hier erfolgt kein Einschnitt in die Lebensumstände während der Entwicklung des Kindes, seiner Sprachkenntnisse und seines Wissenserwerbsprozesses. Schlechte Sprachkenntnisse führen häufig zunächst zu Missinterpretationen der Fähigkeiten des Kindes, zu negativen Erfahrungen des Kindes in dieser Außenwelt, die wiederum zur Ablehnung dieser führen können. Die Dauer des Aufenthaltes ist sicherlich weniger relevant, vor allem wenn man Beispiele betrachtet, bei denen auch nach 20 Jahren kein nennenswerter Erfolg beim Spracherwerb zu verzeichnen ist. Ferner wachsen die Kinder in einem weitgehend etablierten Umfeld - oft als Parallelgesellschaft bezeichnet - auf, das sie auch bei schlechteren Kenntnissen der offiziellen Sprache des Landes auffängt.

Bei beiden Gruppen, sowohl den Migranten als auch Migrantenkindern dürfte die Einstellung dem Zielland und der Zielsprache gegenüber, die teilweise sozio-kulturell verankert sind, sehr grosse Bedeutung haben. Psycho- und neurolinguistische Forschung erörtert bereits seit mehreren Jahrzehnten die Einflussstärke und zusammenhänge von Motivation, Aufmerksamkeit mit Frequenz und anderen Faktoren für die Gedächtnis- und Sprachgedächtnisleistungen (siehe hierzu Fabbro (div.), Paradis (div.) und Romaine, 2004). Die Ergebnisse weisen auf eine viel höhere Beteiligung dieser Aspekte hin als zunächst erwartet (Schmid, 2002; Köpke, 2002). Dabei sind gewisse Einstellungen vermutlich weniger bewusst erlernt als unbewusst erfahren.

Ansätze, die die Muttersprache integrieren wollen, wie sie von Butzkamp (div.) propagiert werden, sind vermutlich nicht die Lösung aller Probleme, dürften aber dennoch einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Situation leisten. Eine Strategie, die alle Muttersprachen der Schüler in das allgemeine Schulprogramm integriert, dürfte diejenigen auffangen, die trotz schlechter 'Zweitsprachkenntnisse' ihre Bildungschancen wahrnehmen wollen. Auch wird es sicherlich dazu führen, ein Gefühl der Anerkennung und Akzeptanz der fremden Kultur und Sprache auf breiter Ebene zu fördern. Am 23.10.2006 sendete 3sat in der Sendung NANO ein sehr ermutigendes Beispiel einer schwedischen Schule, die ähnlichen Ansätzen folgt und dabei den Schülern sehr erfolgreich vermitteln kann, dass sie willkommen sind und Zukunftschancen haben, was die Schüler wiederum zu motivieren scheint, mehr zu lernen und sich zu engagieren.

Im Zusammenhang mit der Idee, die Muttersprache als Hilfsmittel zum Fremdspracherwerb zu verwenden, wird oft neurophysiologisch argumentiert. Eine Fremdsprache soll mithilfe der Hirnareale die die Muttersprache 'bedienen' erlernt werden. Allerdings konnte die Hirnforschung keine klaren Ergebnisse liefern, die die These unterstützen oder widerlegen würden (diverse Publikationen von Paradis; Fabbro; Romaine, 2004). Hirnphysiologische zum Thema Übersetzungsfähigkeit zeigen hierzu interessante Ergebnisse. So scheint es auf der neuro-funktionalen Ebene jeweils mehr oder weniger abgeschlossene Systeme pro Sprache und ein spezielles System für das Übersetzen zu geben (Paradis, 1994; Paradis et al., 1982). Diese Ergebnisse liefern vor dem Hintergrund vieler auch etablierter Theorien eher überraschende Einsichten und sollten beachtet werden. --84.62.28.158 17:49, 21. Okt. 2006 (CEST)MBW

[Bearbeiten] Bilingualer Unterricht für einheimische Kinder

Eine Untersuchung über zweisprachig deutsch-französischen Unterricht im schweizerischen Kanton Wallis (von der Universität Neuchâtel (Neuenburg)) hat gezeigt, dass Kinder, die von klein auf Unterricht in zwei Sprachen erhalten, nicht nur die L2 schneller erlernen, sie entwickeln auch ihre "allgemeinen sprachlichen Kompetenzen". Eine Verschlechterung der L1 wurde nicht festgestellt. (Groupe de recherche sur l'enseignement bilingue, 1994). Cummins [1981; 1984] hat dieses Phänomen mit der Developmental Interdependence Hypothese erklärt, die besagt, dass mit dem Erlernen der ersten Sprache die kognitiven Ressourcen zum Erlernen der Zweitsprache entwickelt werden. Weitere Informationen hierzu finden sich unter Zweisprachiger Unterricht.

[Bearbeiten] Intelligenzentwicklung Zweisprachiger

In den 50er Jahren und bis in die 70er Jahre hinein behaupteten manche Forscher, die Zweisprachigkeit führe zu einer unterentwickelten Intelligenz (z. B. Haugen 1956: The Effect [of bilingualism] on Intelligence). Solche Studien werden heute als mangelhaft angesehen: es wurden Immigrantenkinder aus den unteren sozialen Schichten im Vergleich mit mittelständischen Einsprachigen untersucht; die Untersuchungen wurden oft nur in der L2 durchgeführt.

1962 erfolgte eine Studie von Lambert und Peal an der McGill-Universität in Montréal: The relation of bilingualism to intelligence. Diese Studie zeigte erstmals, dass zweisprachige Kinder bei sprachlichen und nichtsprachlichen Intelligenztests höher abschnitten als einsprachige. Die Forscher konnten aber nicht sagen, ob die gut entwickelte Zweisprachigkeit der Grund für die höhere Intelligenz war oder umgekehrt. Feldman und Shen (1971) sowie Lemmon und Goggin (1989) fanden bei Studien heraus, dass zweisprachige Kinder mit sprachlichen Prüfungen besser umgehen können, weil sie Satzbau und Grammatik besser verstehen.

Nach der oben genannten Studie der FH Hamburg zeigt die heutige Forschung, dass "eher leichte kognitive Gewinne, namentlich im Bereich des bewussten Umgangs mit Sprache, zu verzeichnen sind".

Ein Artikel von Bialystok an der Universität von York, Kanada 2004 (Bilingualism, Aging, and Cognitive Control, siehe externe Verweise) zeigte außerdem, dass die kognitiven Fähigkeiten zweisprachiger Menschen im hohen Alter nicht so schnell nachlassen wie bei Einsprachigen.

[Bearbeiten] Politik und Zweisprachigkeit

Verschiedene Staaten gehen unterschiedlich mit der Zwei- oder Mehrsprachigkeit ihrer Einwohnerinnen und Einwohner um. So wenden beispielsweise die USA eine sehr restriktive Politik an, indem sie echte Zweisprachigkeit zu unterbinden versuchen (siehe z. B. Marta Laureano). Dennoch kamen die Präsidentschaftskandidaten bei den letzten Wahlen nicht umhin, die lateinamerikanische Bevölkerungsgruppe der sog. Hispanics auch in ihrer Sprache anzusprechen, da sie eine beträchtliche Wählergruppe darstellen. Die restriktive Politik hat in den Vereinigten Staaten "Tradition". Während des Ersten Weltkrieges und auch danach wurden deutschsprachige Bürger verfolgt, das Sprechen der deutschen Sprache wurde verboten und viele deutschsprachige Amerikaner änderten sogar ihre Nachnamen ab und schrieben sie in englisch, um nicht mehr so sehr Verfolgung und Repression ausgesetzt zu sein. So gab es vor dem Ersten Weltkrieg z. B. allein in Chicago noch über 27 deutschsprachige Zeitungen.

Im Gegensatz dazu wird in Kanada, Belgien oder der Schweiz die Mehrsprachigkeit aktiv gefördert.

In den letzten Jahren hat sich – ausgehend vom angelsächsischen Bereich – eine nicht unumstrittene Tendenz gezeigt, jede Person mit einigermaßen brauchbaren Fremdsprachenkenntnissen als "bilingual" bzw. "multilingual" zu bezeichnen.

[Bearbeiten] Literatur

  • Bernhard Altermatt: La politique du bilinguisme dans le canton de Fribourg (Suisse) 1945-2000. Universität Fribourg-Freiburg (Schweiz), 2003. www.unifr.ch/histcont/astp/astp11.htm
  • Bernhard Altermatt: Language Policy in the Swiss Confederation: The Concepts of Differentiated Language Territoriality and Asymmetrical Multilingualism, in: Federalism, Decentralisation and Good Governance in Multicultural Societies, Fribourg 2004 ("Travaux de Recherche" series, vol. 34), Publications de l'Institut du Fédéralisme Fribourg Suisse, 8-36.
  • Colin Baker (Editor): Encyclopedia of Bilingualism and Bilingual Education. 1998. ISBN 1-85359-362-1
  • Elke Burkhardt Montanari: Wie Kinder mehrsprachig aufwachsen. Hrsg: Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V., Verlag Brandes & Apsel, Frankfurt, April 2000. ISBN 3-860-99194-9
  • de Bot, K. (1998). The psycholinguistics of language loss. In G. Extra & L. Verhoeven (Eds.), Bilingualism and Migration (pp. 345-361). Berlin: Mouton de Gruyter.
  • Deidre M. Duncan: Therapy in Practice. Working with Bilingual Language Disability. Chapman and Hall, London. ISBN 0-412-33940-4
  • Ethnologue (2006): Bibliography; http://www.ethnologue.com/show_subject.asp?code=BIL
  • Fabbro, Franco (1999). The neurolinguistics of bilingualism: An introduction. Hove: Psychology Press.
  • Csaba Földes: Interkulturelle Linguistik: Vorüberlegungen zu Konzepten, Problemen und Desiderata. Veszprém: Universitätsverlag/Wien: Ed. Praesens 2003 (Studia Germanica Universitatis Vesprimiensis, Supplement; 1). ISBN 3-7069-0230-3 und ISBN 963-9495-20-4; siehe: http://www.vein.hu/german/Suppl.Volltext.pdf
  • Csaba Földes: Kontaktdeutsch. Zur Theorie eines Varietätentyps unter transkulturellen Bedingungen von Mehrsprachigkeit. Tübingen: Verlag Gunter Narr 2005; ISBN 3-8233-6160-0; siehe: http://www.vein.hu/german/kontaktdeutsch.htm.
  • Francois Grosjean: "Life with two languages. An Introduction to Bilingualism." Harvard University Press, 1982.
  • Hoffmann, Charlotte: "An Introduction to Bilingualism." London, New York: Longman, 1991.
  • B. Kielhoefer, S. Jonekeit: Zweisprachige Kindererziehung. Stauffenburg Verlag, Tuebingen, 1983. ISBN 3-923-72105-6
  • Köpke, B. (2004) “Neurolinguistic aspects of attrition” Journal of Neurolinguistics, 17 (1 ): 3-30.
  • Köpke, Barbara and Monika S. Schmid 2004. “Language attrition: The next phase”. In First Language Attrition, Schmid, Monika S., Barbara Köpke, Merel Keijzer and Lina Weilemar (eds.), 1 ff.
  • Elke Montanari: Mit zwei Sprachen gross werden. Mehrsprachige Erziehung in Familie, Kindergarten und Schule. Kösel-Verlag, 2002. ISBN 3-466-30596-9
  • Paradis, M. (2000) "Cerebral representation of bilingual concepts", Bilingualism: Language and Cognition, 3: 22-24.
  • Paradis, M. (div.), siehe: http://www.semioticon.com/virtuals/cv/paradis.htm
  • Paradis, M. (1994) Neurolinguistic aspects of implicit and explicit memory: implications for bilingualism. In N. Ellis (ed.), Implicit and explicit learning of Second Languages. London: Academic Press. 393-419.
  • Paradis, M. (1984) Bilingualism. In T. Husen and T. N. Potlethwaite (Eds.), International Encyclopedia of Education, Oxford: Pergamon Press.
  • Paradis, M. (1994). Toward a neurolinguistic theory of simultaneous translation: the framework. International Journal of Psycholinguistics, 10: 319-335.
  • Paradis, M. (forthcoming) Neurolinguistic aspects of bilingualism. Amsterdam: John Benjamins.
  • Sarter (2006) "Mehrsprachigkeit und Mehrsprachigkeitsdidaktik" http://www.uni-potsdam.de/u/fsd/
  • Hans H. Reich, Hans-Joachim Roth u.a.: "Spracherwerb zweisprachig aufwachsender Kinder und Jugendlicher". Ein Überblick über den Stand der nationalen und internationalen Forschung. Hamburg (Behörde für Bildung und Sport, SchulInformationsZentrum, 2002
  • Maria Ringler: "Kompetent Mehrsprachig. Sprachförderung und interkulturelle Erziehung im Kindergarten". Hrsg: Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V., Verlag Brandes & Apsel, Frankfurt,2004.
  • Romaine, Suzanne (1995): Bilingualism. Second revised edition. Blackwell
  • des Weiteren die Schriften und Fachartikel der Orthophonistin Francine Rosenbaum der Universität Neuchâtel
  • Schmid, Monika S. (2002) First Language Attrition, Use and Maintenance: The Case of German Jews in Anglophone Countries.

Amsterdam: John Benjamins"

  • Seliger, Herbert W., and Robert M. Vago (eds.) (1991). First language attrition. Cambridge: Cambridge University Press.
  • Seliger, Herbert W. (1996). Primary language attrition in the context of bilingualism. In W. Ritchie and T. Bhata (eds.), Handbook of second language acquisition. San Diego: Academic Press.

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[Bearbeiten] Siehe auch

[Bearbeiten] Weblinks

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