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Tobin-Steuer

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Als Tobin-Steuer bezeichnet man eine 1972 von James Tobin vorgeschlagene, aber derzeit nicht existierende Steuer auf internationale Devisengeschäfte. Tobin wollte mit einer sehr niedrigen Steuer auf sämtliche internationale Devisentransaktionen die kurzfristige Spekulation auf Währungsschwankungen eindämmen. Erreichen wollte er hierdurch, dass die Wechselkurse von Währungen stärker realwirtschaftliche langfristige Phänomene als kurzfristige spekulative Erwartungen widerspiegeln.

Die frühere Forderung Tobins nach der Besteuerung des Devisenhandels wurde 1997 von Ignacio Ramonet in einem Artikel in der Zeitung Le Monde diplomatique aufgegriffen, der zur Gründung der globalisierungskritischen Organisation Attac führte (hier verfügbar). Bis heute wird die Tobin-Steuer als eine der zentralen Forderungen der Globalisierungskritiker gesehen.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Funktionsweise der Tobin-Steuer

Der von Tobin vorgeschlagene Steuersatz würde auf alle grenzüberschreitenden Geldtransfers weltweit einheitlich erhoben und läge zwischen 0,05 und einem Prozent. Für konventionelle Transfers wie Direktinvestitionen oder die im Warenhandel anfallenden Transaktionen wäre diese Steuer vernachlässigbar gering, da die anfallenden Verluste im Verhältnis zu den pro Transaktion anfallenden Gewinnen nicht relevant sind. Bei spekulativen Transfers, die zur Gewinnerzielung auf geringe und kurzfristige Schwankungen von Kursen setzen (Daytrading), würden bereits Abgaben in der geringen Höhe einer Tobin-Steuer die je Transaktion nur sehr niedrigen Gewinne eliminieren.

Zur Illustration der besonderen Belastung kurzfristiger Transaktionen kann folgendes Rechenbeispiel dienen: bei einer Tobin-Steuer in Höhe von 0,2% pro Jahr würde für einen Kapitalbetrag, der ein Jahr lang jeden Monat einmal international wandert, eine Belastung von 2,4% anfallen (12*0,2). Wenn der Betrag einmal wöchentlich transferiert wird, würde die Belastung auf 10,4% wachsen (52*0,2). Bei einer Transaktion pro Arbeitstag würde der Betrag mit 52% besteuert (52*5*0,2). Im Jahr 1996 waren über 80% der weltweiten Devisentransaktionen "round-trips", die längstens innerhalb einer Woche zwischen zwei Währungen hin und her pendelten. (vgl: Tobin (1996) S.xi)

[Bearbeiten] Bewertung

[Bearbeiten] Befürworter

Die Tobin-Steuer soll, so die Befürworter, den kurzfristigen Handel mit Devisen unterbinden, da dieser ihrer Meinung nach negative Auswirkungen auf Volkswirtschaften hat, nicht aber den für diese unbedenklichen längerfristigen Devisenhandel.

Beginnend in den 90er Jahren kam es vor allem in Schwellenländern immer häufiger zu Währungskrisen, die nach Interpretation vieler Beobachter ihre Ursache nicht in realwirtschaftlichen Problemen oder wirtschaftspolitischen Fehlern sondern in spekulativen Transaktionen hatten (z.B. Asienkrise, Tequila-Krise, Krisen in Russland, der Türkei, Brasilien, Venezuela). Die plötzlichen Abwertungen der betroffenen Währungen führten in den Ländern zu Kapitalknappheit, was negative Folgen für ihre Wirtschaftsentwicklung hatte. Durch eine Besteuerung des Kapitals sollten die spekulativen Devisenströme eingedämmt werden um so die Volatilität der Märkte einzuschränken und die Dominanz der von Tobin so genannten Beauty Contest-Spekulanten zu verringern. Mit relativ kleinen Gewinnen für die Kapitaleigner würden den Volkswirtschaften spürbare Verluste zugemutet, was Tobin als unverhältnismäßig kennzeichnet.

Ein weiterer von Tobin angebrachter Aspekt ist die Unterstützung nationaler Autonomie in der Fiskal- und Geldpolitik [Tobin (1996) S.xiii]. Beide Bereiche werden durch Finanzmärkte massiv beeinflusst, die zum Beispiel eine Zentralbank durch Aufbau eines Abwertungsdrucks für eine Währung zwingen können, ihre Zinsen zu erhöhen.

Ein besonders in den Debatten unter Globalisierungskritikern wichtiger Aspekt ist der Einnahmeeffekt. Die Einnahmen aus einer EU-weiten Einführung würden bei einem Steuersatz von 0,01% bei 38 Mrd. $ liegen, eine weltweite Einführung würde Erträge von etwa 125 Mrd. $ bringen [Kalinowski und Wahl (2006)]. Erhoben werden könnten diese Steuern durch eine internationale Organisation wie die UNO, die sie auch gleichzeitig für sich selbst zur Finanzierung nutzen könnte. Häufig wird auch diskutiert, die Steuer beispielsweise über die Weltbank zur Entwicklungshilfe oder für Maßnahmen zum Umweltschutz zu verwenden.

Bei Tobin spielt die Verwendung der Steuer in seinem Konzept keine nennenswerte Rolle. Nur in Hinblick auf die Durchsetzung nennt er die Einnahmen als hilfreich, wenn die einzelnen sie eintreibenden Staaten sie als Anreiz zur Einführung selbst behalten dürften [Tobin (1996) S.xvi].

Tobin selbst hat sich in den letzten Jahren seines Lebens von der Mehrheit der Befürworter der Tobin-Steuer distanziert, unter anderem weil er seinen Namen von den globalisierungskritischen Bewegungen vereinnahmt sah und weil die Diskussion in wesentlichen Punkten und Zielsetzungen von seinem ursprünglichen Konzept abweicht, das die Steuerung von Devisenströmen im Blick hat und nicht die Finanzierung von Entwicklungshilfe. Die Wirkung der Tobinsteuer soll nach Tobin unabhängig von der Verwendung der gewonnenen Steuerbeträge vor allem der Wechselkursstabilität dienen. Umweltpolitik oder Wirtschaftsförderung ist nach Tobin allenfalls ein Nebeneffekt der Steuer.

[Bearbeiten] Kritiker

Das größte Problem der als idealtypische Theorie konzipierten Tobin-Steuer liegt in der schwierigen weltweiten Umsetzbarkeit, da die Steuer nur in vollständigem internationalen Einklang sinnvoll einzuführen ist. Selbst wenn die wichtigsten Wirtschaftsnationen in dieser Frage einen Konsens erreichen sollten, besteht bei einem einzelnen Land, das sich der Umsetzung verschliesst, die Gefahr der Abwanderung des Devisenhandels in Offshore-Finanzplätze, womit er einer sinnvollen Regulierung vollkommen entzogen wäre. Der Anreiz für ein einzelnes Land, aus dieser ordnungspolitischen Steuer auszuscheren und einen "freien Devisenmarkt" anzubieten, der dann erhebliches Volumen und entsprechende Gewinne bringt, ist sehr hoch. Die aktuell nicht gegebene einheitliche politische Willensbildung und Durchsetzung, z.B. durch die UNO, zeigt zudem das Problem, einen weltweiten politischen und wirtschaftlichen Konsens zu erzielen.

Die konkrete operative Ausgestaltung (Erhebung und anteilige Verteilung der Steuer) ist vor dem Hintergrund der starken Konzentration auf die Eigeninteressen einzelner Länder und politischer Gruppierungen kritisch zu sehen. Auch der Einfluss globaler Konzerne, speziell aus der am Devisenhandel profitierenden Finanzwirtschaft/Investmentbanking, auf die politischen Entscheidungsträger, würde einer Umsetzung entgegenstehen. Ungeklärt sind auch die Möglichkeiten, einzelne Länder, die sich der Teilnahme entziehen, zu sanktionieren.

Kritisch wird häufig bemängelt, dass ein großer Teil der kurzfristigen Geschäfte mit kleinen Gewinnspannen Ungleichgewichte an den Devisenmärkten beheben (vgl.: Arbitragehandel) und somit positive Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. Die Tobin-Steuer würde auch diese Geschäfte stören.

Auch würde die Steuer tatsächliche Währungskrisen, wie sie beispielsweise 1998 in Südostasien auftraten, kaum beeinflussen können, da bei sehr starken Schwankungen im relativen Wert der verschiedenen Währungen die möglichen Gewinne oder Verluste von Währungsspekulanten so stark ansteigen, dass eine niedrige Steuer wie die von Tobin vorgeschlagene kaum einen mäßigenden Effekt hätte.

Zusätzlich besteht die Befürchtung, das Ziel der Steuer sei lediglich eine Erhöhung der Steuereinnahmen und das Argument, Entwicklungshilfe- oder Umweltprojekte zu unterstützen, sei nur vorgeschoben.

Tiefergehende Kritik gibt es von Seiten freiheitlich orientierter radikaler Kapitalismus-Befürworter wie den Vertretern der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, des Libertarismus und des Anarchokapitalismus. Nach ihrer Auffassung geht die Tobin-Steuer nicht weit genug. Sie ziele lediglich auf ein Symptom ab, nicht jedoch auf die grundsätzliche Ursache, das internationale Fiat Money-Währungssystem. Dieses sollte durch einen freien Markt für Währungen, mindestens jedoch durch einen vollen Goldstandard ersetzt werden.

[Bearbeiten] Wirtschaftswissenschaftliche Diskussion

[Bearbeiten] Spahn-Steuer

Paul Bernd Spahn, Inhaber des Lehrstuhls für öffentliche Finanzen an der Universität Frankfurt, veröffentlichte 2002 im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) eine Machbarkeitsstudie in Bezug auf die Tobin-Steuer. Die von ihm vorgeschlagene Steuer hat sich inzwischen unter den Befürwortern einer Devisenbesteuerung weitgehend durchgesetzt.

Er beschränkte sich in seiner Studie auf die Aspekte der Einnahmenerzielung und der Wechselkursstabilität. Die systemtechnischen Veränderungen durch die Tobin-Steuer streifte er kurz und kam zu dem Ergebnis, dass die – oft idealistisch gefärbten – politischen Sichtweisen der Tobin-Steuer häufig die wirtschaftlichen Folgen außer Acht ließen und nicht beachteten, dass die Devisentransaktionssteuer im Wechselkurssystem des Bretton Woods erdacht wurde. Ebenfalls ließen die Befürworter die Gefahren für die Liquidität der Volkswirtschaften außer Acht.

Seine Empfehlung war die Einführung einer politically feasible Tobin Tax (dt. politisch machbare Tobin-Steuer, kurz PFTT), die hauptsächlich der Einnahmeerzielung und dem allgemeinen Eindämmen spekulativer Transaktionen dienen sollte, die in Schwellenländern mit einer zweiten Steuer zur Verhinderung der Entstehung von Währungskrisen (der exchange rate normalization duty, deutsch: Abgabe zur Normalisierung des Wechselkurses, kurz ERND) kombiniert wird. Mit der ERND reagiert Spahn auf das Problem, dass eine Tobin Steuer wegen ihrem geringen Steuersatz bei eintreten einer Währungskrise die sehr starken Schwankungen des Wechselkurses nicht verhindern kann. Sein Konzept ist auch unter dem Namen Tobin cum circuit breaker bekannt.

Bei der Einführung einer ERND würde für die Währung des betreffenden Landes ein Korridor definiert (siehe auch: Wechselkursbandbreite), in dem sie im Verhältnis zu einer durch die Zentralbank festgelegten Ankerwährung schwanken darf. Dieser Korridor würde, um eine Anpassung des Wechselkurses an realwirtschaftliche Verhältnisse zu ermöglichen, einen gleitenden Durchschnitt beispielsweise des Kurses der letzten zwanzig Tage darstellen. Weicht der Wechselkurs von diesem Korridor ab, wird die Differenz zwischen dem Wechselkurs und dem Zielkorridor mit einer bis zu 100%igen Steuer belegt. Hierdurch würde nach Spahn eine Abweichung des Wechselkurses aus dem Zielkorridor und die Entstehung von Währungskrisen zumindest in Abwesenheit ernster struktureller Fehler im Finanzsystem des betreffenden Landes verhindert. [Spahn (ohne Datum)]

Das BMZ bewertete die Studie kritisch und befürchtete negative Auswirkungen auf die Entwicklungspolitik. Für Spahn stellte die Tobin-Steuer allerdings kein geeignetes Instrument der Entwicklungspolitik dar. Für ihn ist die politische Verwirklichung von Menschenrechten, Demokratie und Bildung hilfreicher als der unkontrollierte Zufluss von Kapital.

[Bearbeiten] Empirische Wirtschaftsforschung zur Wirksamkeit der Tobin-Steuer

In der internationalen Wirtschaftsforschung gibt es mittlerweile eine Reihe von Fallstudien, welche den Zusammenhang zwischen Transaktionskosten und Volatilität der Finanzkurse empirisch untersuchen. Diese Fallstudien basieren auf regulativen Veränderungen des elektronischen Marktprozesses, welche in den 90er Jahren an zahlreichen Börsen zur Verringerung der Transaktionskosten vorgenommen wurden. Die Forschungsergebnisse zeigen einen eindeutigen positiven Zusammenhang zwischen Transaktionskosten und der Volatilität (Instabilität) des Marktpreises (z. B. Ronen and Weaver (2001), Bessembinder (2001), Bessembinder and Rath (2002), Hau (2006)).

Tobins Hypothese von der stabilisierenden Wirkung höherer Transaktionskosten (durch Steuern) kann daher als empirisch widerlegt betrachtet werden. Beispielhaft ist die Untersuchung von Hau (2006), The Role of Transaction Costs for Financial Volatility: Evidence from the Paris Bourse, veröffentlicht im Journal of European Economic Association (Juni 2006):

„Panel regressions controlling for market-wide volatility effects show at high levels of statistical significance that the hourly range volatility of individual stocks increases by more than 30 % for a 20 % exogenous increase in transaction costs due to tick size variations in the French trading system. In the light of this evidence, higher transaction costs in general, and security transaction taxes in particular, should be considered as volatility increasing.“

Eine (englischsprachige) Diskussion zum Forschungsstand findet sich ebenfalls in Hau (2006).

[Bearbeiten] Umsetzung

Sowohl die Parlamente von Frankreich als auch Belgien haben die Einführung der Tobin-Steuer beschlossen, allerdings nur, wenn alle EU-Mitgliedsländer diese einführen. Ende Januar 2005 haben sich zuerst Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac und anschließend auch Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder erstmals für eine Besteuerung internationaler Devisengeschäfte zugunsten von Entwicklungsländern ausgesprochen. Kritiker meinen, dies sei vor dem Hintergrund zu sehen, dass eine solche Steuer international nicht konsensfähig sei, da sie vor allem von der amerikanischen Regierung abgelehnt werde und somit keine Aussicht auf Realisierung solcher Vorschläge bestehe.

Der österreichische Bundeskanzler Schüssel hat im Juli 2005 vorgeschlagen, die EU möge die Tobin-Steuer einführen (s. Weblink). Damit solle sich die EU eigene Mittel verschaffen können. Und – das war das eigentliche Ziel Schüssels – damit wäre die Budgetplanung der EU wesentlich konfliktfreier. Die EU-Kommission sprach sich trotzdem gegen die Einführung einer Tobin-Steuer aus.

Auch der Präsident Brasiliens Luiz Inácio Lula da Silva und der Präsident Venezuelas Hugo Chavez haben sich für eine Einführung ausgesprochen. In Kanada hat das "House of Commons" 1999 eine Resolution verabschiedet, in der die Regierung aufgefordert wird, die Steuer in "Abstimmung mit der internationalen Gemeinschaft" einzuführen.

[Bearbeiten] Literatur

[Bearbeiten] Anderweitige Erwähnung der Tobin Steuer

[Bearbeiten] Weblinks

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