Privacy Policy Cookie Policy Terms and Conditions Rhizom (Philosophie) - Wikipedia

Rhizom (Philosophie)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Rhizom (griech. ριζωμα [rhizoma] = Wurzel) ist ein zentraler Begriff der Philosophie von Gilles Deleuze und Félix Guattari. Der Begriff „Rhizom“ ist eine Metapher, die für ein neues Modell der Wissensorganisation und Weltbeschreibung stehen soll: Sie soll die Metapher des Baums für die Hierarchie des Wissens durch das heterogene Geflecht ersetzen, das bei Pflanzenwurzeln Rhizom genannt wird. Das philosophische Konzept der Rhizomatik stieß auf großes Interesse in der Wissenschaftstheorie, der Medienphilosophie und der postmodernen Ästhetik.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Baummodell und Rhizom

„Dichotomischer“ Stammbaum des menschlichen Wissen in Band 1 der Encyclopédie
vergrößern
„Dichotomischer“ Stammbaum des menschlichen Wissen in Band 1 der Encyclopédie
„Rhizomatische“ Verweisstruktur des Internets am Beispiel der Wikipedia
vergrößern
„Rhizomatische“ Verweisstruktur des Internets am Beispiel der Wikipedia

Um die Metapher des Rhizoms zu verstehen, muss man wissen, wogegen sie sich wendet. Ein traditionelles Organisationsmodell der Wissenschaft und des Wissens ist der Baum des Wissens (etwa in Bibliotheken, klassischen Enzyklopädien, Taxonomien und Klassifikationen). Solche Modelle sind hierarchisch und dichotomisch organisiert, das heißt, jedes Element befindet sich auf einer – und nur einer – Ordnungsebene, ist einer höheren Ebene untergeordnet und kann sich wiederum ein, zwei oder mehr Elemente unterordnen. Diese Art von Struktur lässt sich in Form eines „Baums“ aufzeichnen, der von einem „Stamm“ ausgehend sich in viele Äste und diese wiederum in Zweige aufteilt.

Das dichotomische Modell halten Deleuze und Guattari für epistemologisch unangemessen, weil es nicht für Veränderungen der Sichtweise und Verschiebungen der Forschungs- und Verstehensperspektive offen ist. In einem Baummodell kann ein Element nicht mehreren Ordnungsebenen angehören oder Querverbindungen zu anderen Elementen auf anderen Ebenen herstellen. Ordnungsstrukturen dürfen sich nicht kreuzen oder überschneiden. Dies aber erscheint in einer modernen Wissenswelt unumgänglich. Zudem halten Deleuze und Guattari das Baummodell für politisch gefährlich, weil es zugleich eine Machtstruktur ist, die eine rigide Unterordnung fordert. Als Alternative ziehen sie pflanzliche Strukturen oder die Bauten von Ameisen und Ratten heran, deren Form sie als „Rhizom“ beschreiben. Sie bleiben damit im Bild der biologischen Metaphorik, finden aber ein fast literarisches Bild, das ihrer Vorstellung von einer vielfach verflochtenen Struktur entspricht:

„Ein Rhizom ist als unterirdischer Strang grundsätzlich verschieden von großen und kleinen Wurzeln. Zwiebel- und Knollengewächse sind Rhizome. Pflanzen mit großen und kleinen Wurzeln können in ganz anderer Hinsicht rhizomorph sein, und man könnte sich fragen, ob das Spezifische der Botanik nicht gerade das Rhizomorphe ist. Sogar Tiere sind es, wenn sie eine Meute bilden, wie etwa Ratten. Auch der Bau der Tiere ist in all seinen Funktionen rhizomorph. als Wohnung, Vorratslager, Bewegungsraum, Versteck und Ausgangspunkt. Das Rhizom selber kann die unterschiedlichsten Formen annehmen, von der verästelten Ausbreitung in alle Richtungen an der Oberfläche bis zur Verdichtung in Zwiebeln und Knollen. Wenn Ratten übereinander hinweghuschen.“ (Deleuze/Guattari 1992)

Ein Rhizom ist also ein System, das „vielwurzelig“ verflochten ist und nicht in einfachen Dichotomien aufgeht. „Ein Rhizom kann an jeder beliebigen Stelle gebrochen und zerstört werden, es wuchert entlang seiner eigenen oder anderen Linien weiter.“ (DG 1977, S. 16). Seine einzelnen Punkte können und sollen untereinander verbunden werden („Konnexion“). Unterschiedlichste Sachverhalte können miteinander in Verbindung treten („Heterogenität“).

[Bearbeiten] Ordnung im Rhizom

Auch in einer rhizomatischen Wissenswelt kann es feste Strukturen und Ordnungssystem geben. Nur sind diese eben nicht ausschließlich. „Jedes Rhizom enthält Segmentierungslinien, nach denen es geschichtet ist, territorialisiert, organisiert, bezeichnet, zugeordnet etc.; aber auch Deterritorialisierungslinien, an denen es unaufhaltsam flieht.“ (DG 1977, S. 16) Statt „Einheiten“ werden bevorzugt „Vielheiten“ beobachtet. Diese Vielheiten bezeichnen die Autoren auch als „Plateaus“ („Jede Vielheit, die mit anderen durch an der Oberfläche verlaufende unterirdische Stängel verbunden werden kann, so dass sich ein Rhizom bildet und ausbreitet, nennen wir Plateau.“; DG 1977, S. 35). Solche Plateaus können miteinander verbunden sein, doch sind sie eben nicht so organisiert, dass wie im Baummodell entschieden wäre, welches Element das grundlegendste, der „Stamm“ ist, von dem alle anderen abhängen. Je nach Betrachtungsperspektive kann das Zentrum eines Rhizoms überall und nirgends sein.

Als Rhizom begriffen kann der positive Wert scheinbar chaotischer Verknüpfungen verstanden werden. „Der Baum und die Wurzel zeichnen ein trauriges Bild des Denkens, das unaufhörlich, ausgehend von einer höheren Einheit (...) das Viele imitiert. (...) Hydren und Medusen können wir nicht entkommen.“ (DG 1977, 26f). Rhizom dagegen bedeutet für Deleuze und Guattari eine Befreiung von bestimmten Machtstrukturen; es ergibt sich die Möglichkeit, viele Perspektiven und viele Ansätze zu verketten, ohne sie einer rigiden Struktur unterwerfen zu müssen.

[Bearbeiten] Rezeption

Vor allem in der Philosophie der Postmoderne und der Medientheorie wurde die „Rhizomatik“ diskutiert, weil der Begriff für viele Probleme der Orientierung innerhalb moderner Welten des Wissens einen Ansatzpunkt zu bieten scheint. Moderne Wissenswelten – dazu gehört auch die Wikipedia – nach dem klassischen Baummodell zu ordnen und zu kategorisieren ist ein unmögliches Unterfangen. Zwar können bestimmte Ordnungsstrukturen geschaffen werden, diese werden jedoch von internen Verknüpfungen und Verbindungslinien wieder untergraben. Aus der Perspektive jeder Wissenschaft, jeder neuen Herangehensweise, jedes Fachgebiets baut sich das System und die Ordnung des bestehenden Wissens von neuem, in neuer Weise wieder auf. „In einem Rhizom gibt es keine Punkte oder Positionen wie etwa in einer Struktur, einem Baum oder einer Wurzel. Es gibt nichts als Linien.“ (DG 1977, S. 14). Vielen modernen Medientheoretiker scheint die Metapher des Rhizoms daher geeignet, um Strukturen von Hypertexten, sozialen Netzwerken oder Computernetzen wie dem Internet zu beschreiben.

[Bearbeiten] Literatur

  • Gilles Deleuze, Félix Guattari: Rhizom. Berlin: Merve 1977. ISBN 3920986830
  • Gilles Deleuze, Félix Guattari: Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie. Berlin: Merve 1992. ISBN 3883960942 und ISBN 3-88396-087-X
  • Gilles Deleuze, Félix Guattari: Der Faden ist gerissen (Internationale marxistische Diskussion; 68). Berlin: Merve 1977. ISBN 3920986849
  • Gilles Deleuze, Arnauld Villani, Antonio Negri, Clemens-Carl Härle (Herausgeber): Karten zu Tausend Plateaus. Berlin: Merve 1993. ISBN 3883961000
  • Umberto Eco: Im Labyrinth der Vernunft. Texte über Kunst und Zeichen Leipzig: Reclam 1989. ISBN 3-379-00452-9
  • Stefan Heyer: Deleuzes & Guattaris Kunstkonzept: ein Wegweiser durch tausend Plateaus. Wien: Passagen 2001. ISBN 3-85165-494-3
  • Frank Hartmann: Medienphilosophie. Wien 2000

[Bearbeiten] Weblinks

Andere Sprachen

Static Wikipedia 2008 (no images)

aa - ab - af - ak - als - am - an - ang - ar - arc - as - ast - av - ay - az - ba - bar - bat_smg - bcl - be - be_x_old - bg - bh - bi - bm - bn - bo - bpy - br - bs - bug - bxr - ca - cbk_zam - cdo - ce - ceb - ch - cho - chr - chy - co - cr - crh - cs - csb - cu - cv - cy - da - de - diq - dsb - dv - dz - ee - el - eml - en - eo - es - et - eu - ext - fa - ff - fi - fiu_vro - fj - fo - fr - frp - fur - fy - ga - gan - gd - gl - glk - gn - got - gu - gv - ha - hak - haw - he - hi - hif - ho - hr - hsb - ht - hu - hy - hz - ia - id - ie - ig - ii - ik - ilo - io - is - it - iu - ja - jbo - jv - ka - kaa - kab - kg - ki - kj - kk - kl - km - kn - ko - kr - ks - ksh - ku - kv - kw - ky - la - lad - lb - lbe - lg - li - lij - lmo - ln - lo - lt - lv - map_bms - mdf - mg - mh - mi - mk - ml - mn - mo - mr - mt - mus - my - myv - mzn - na - nah - nap - nds - nds_nl - ne - new - ng - nl - nn - no - nov - nrm - nv - ny - oc - om - or - os - pa - pag - pam - pap - pdc - pi - pih - pl - pms - ps - pt - qu - quality - rm - rmy - rn - ro - roa_rup - roa_tara - ru - rw - sa - sah - sc - scn - sco - sd - se - sg - sh - si - simple - sk - sl - sm - sn - so - sr - srn - ss - st - stq - su - sv - sw - szl - ta - te - tet - tg - th - ti - tk - tl - tlh - tn - to - tpi - tr - ts - tt - tum - tw - ty - udm - ug - uk - ur - uz - ve - vec - vi - vls - vo - wa - war - wo - wuu - xal - xh - yi - yo - za - zea - zh - zh_classical - zh_min_nan - zh_yue - zu -