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Prager Frühling

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Dieser Artikel behandelt das „Prager Frühling“ genannte Reformprogramm der tschechoslowakischen Kommunistischen Partei von 1968. Zu dem gleichnamigen Kultur- und Musikfestival siehe Prager Frühling (Festival).

Der Prager Frühling (tschechisch: Pražské jaro, slowakisch: Pražská jar) ist die Bezeichnung für die Bemühungen der tschechoslowakischen Kommunistischen Partei unter Alexander Dubček im Frühjahr 1968, ein Liberalisierungs- und Demokratisierungsprogramm durchzusetzen, sowie vor allem die Beeinflussung und Verstärkung dieser Reformbemühungen durch eine sich rasch entwickelnde kritische Öffentlichkeit.

Der Begriff des Prager Frühlings wird heute als Symbol für zwei verschiedene Konzepte verwendet: Einerseits für den Versuch, einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ zu schaffen, andererseits aber auch für die Tatsache, dass dieser Versuch an den am 21. August 1968 einrollenden Panzern des Warschauer Pakts gescheitert ist.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Vorgeschichte

Seit Beginn der 1960er Jahre befand sich die ČSSR in einer tiefgreifenden ökonomischen und gesellschaftlichen Krise: Das bürokratisch-zentralistische Planungssystem hatte zu einer dramatischen Stagnation der Wirtschaft - auch im Vergleich zu den anderen Staaten des Warschauer Pakts - geführt; die Kommunistische Partei wurde von einer stalinistischen Führungsspitze dominiert, die eine Aufarbeitung der politischen Schauprozesse der späten 1940er und frühen 1950er Jahre nicht zuließ.

[Bearbeiten] Wirtschaftsreformdebatten - "der dritte Weg"

Mit dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise 1963 wurden schließlich reformerische Stimmen innerhalb und außerhalb der Partei lauter. Unter der Führung des ZK-Mitglieds und Leiters des Wirtschaftsinstituts an der Prager Akademie der Wissenschaften Ota Šik bildete sich eine technokratische Opposition, die grundlegende Wirtschaftsreformen forderte. Nach Ansicht Šiks sollte die Planwirtschaft zugunsten einer „sozialistischen Marktwirtschaft“ - unter Befreiung der Betriebe von staatlicher Führung und Abbau der Bürokratie - aufgegeben werden. Ferner schlug Šik u. a. die Zulassung autonomer Gewerkschaften und privat geführter Kleinbetriebe, Jointventures mit westlichen Firmen, die Einführung einer Arbeiterselbstverwaltung und das Ende der staatlichen Lenkung der Preisbildung vor. Seine Visionen zur Umgestaltung der maroden Wirtschaft sind auch unter dem Namen Der dritte Weg in die Geschichte eingegangen.

Freilich ging Ota Šik – der sich nicht als Revolutionär, sondern angesichts der prekären Lage der tschechischen Wirtschaft als Reformer verstand – nicht soweit, die Kollektivierung der Landwirtschaft und das Volkseigentum an den Produktionsmitteln in Frage zu stellen.

[Bearbeiten] Kritische Öffentlichkeit

Für die kritische Intelligenz erweiterten sich in einem "Klima unwillig tolerierter Liberalisierung und relativ wirkungsloser Repressalien seitens der politischen Institutionen" [1] die Möglichkeiten einer öffentlichen Meinungsäußerung, die von einer breiten Bevölkerungsschicht immer aufmerksamer verfolgt wurden. Bis zum Ende des Jahres 1967 wuchs die kritische Öffentlichkeit immer mehr an und radikalisierte sich dabei in ihrer Kritik zunehmend.

Ein frühes Anzeichen dieser Veränderungen war die "Rehabilitierung" des lange verfemten Franz Kafka, indem auf einem Schriftstellerkongress Anfang der sechziger Jahre seine literarische Geltung zur Debatte gestellt wurde. Hierbei handelte es sich eigentlich um eine politische Diskussion auf dem Feld der Literaturwissenschaft, wobei Gegenstand der Debatte im wesentlichen der Begriff der Entfremdung war. Gegen die Meinung vor allem der ostdeutschen Teilnehmer, welche dafürhielten, dass es die von Karl Marx postulierte Entfremdung des Arbeiters von seiner Arbeit im Sozialismus nicht mehr geben könne, vertraten die tschechischen Delegierten die Auffassung, dass dies sehr wohl der Fall sein könne und dass man die Dinge so sehen solle, wie sie lägen.

Diese Diskussion wurde von der Literaturzeitung Literární Noviny aufgegriffen und weitergeführt. Diese Zeitschrift war in der Folgezeit ein Hauptschauplatz der Auseinandersetzung zwischen den Ideologen und den Idealisten. Die Zeitschrift erreichte eine für ein Land wie die Tschechoslowakei beachtliche Auflage von 140.000 Exemplaren. Sie hatte sich zunehmend mit Sanktionen des ZK der KPČ zu befassen. Der Chefredakteur wurde ausgewechselt, doch sein Nachfolger konnte wenig ausrichten. Auf einem Kongress des Schriftstellerverbandes im Juni 1967 übten die von Literární Noviny entsandten Delegierten - drei Redakteure der Zeitschrift - erstmals direkte Kritik an der Parteiführung.

Staats- und Parteichef Novotný reagierte mit einer öffentlichen Erklärung, wonach der Kongress Teil einer vom Ausland gesteuerten Kampagne gegen die anstehenden Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution sei. Die KPČ befahl die Umbildung der Redaktion der Zeitschrift und verbot einer Anzahl der Kongressteilnehmer, darunter Pavel Kohout und Václav Havel, zu den Wahlen des Schriftstellerverbands zu kandidieren. Die drei Redakteure wurden aus der Partei ausgeschlossen, andere - wie etwa Kohout - erhielten Verwarnungen. Die Zeitschrift wurde dem Kultusminister Karel Hoffmann unterstellt und büßte augenblicklich ihre Funktion als Dissidentenorgan ein. Alles dies wurde jedoch als Anzeichen gesehen, dass Novotný Schwierigkeiten hatte, sich wie einst auf der Stelle durchzusetzen. So führten die Sanktionen stattdessen zu einem breiten Protest von Journalisten, Künstlern und Schriftstellern und eine "gesetzlich ungeregelte, aber disziplinierte Presseanarchie"[2], die im März 1968 schließlich in der Abschaffung der Zensur gipfeln sollte, begann sich zu entwickeln.

[Bearbeiten] Führungswechsel in der KPČ

Am 31. Oktober 1967 protestierten Studenten gegen die Zustände in ihren Wohnheimen. Der Staats- und Parteichef Antonín Novotný ließ die Proteste gewaltsam auflösen, was ihm im ZK jedoch massive Kritik eintrug. Auch der Kreml, an welchen Novotný sich darauf wandte, gab ihm zu verstehen, dass er nicht mit Hilfestellung aus Moskau rechnen konnte, vielmehr mit seinen Problemen selbst fertig werden sollte. Zu Jahresbeginn 1968 entluden sich die jahrelangen Spannungen zwischen dem konservativen und dem reformerischen Flügel der KPČ. Auf dem so genannten Januartreffen des ZK der KPČ am 4. Januar 1968 wurde Novotný als 1. Sekretär der KPČ von dem slowakischen Absolventen der Moskauer Parteihochschule Alexander Dubček abgelöst und behielt lediglich das machtpolitisch wenig bedeutende Amt des Präsidenten der Republik für einige Zeit.

Der Führungswechsel markierte - nach einigen Wochen Unklarheit über die neue Richtung - den Auftakt zu dem Reformkurs der tschechoslowakischen Regierungspartei, der in Verbindung mit dem Druck der kritisch gewordenen Öffentlichkeit zum Phänomen „Prager Frühling“ führte. Dubček versuchte zunächst, die Reformer in ihrem Eifer etwas zu bremsen, um nicht den Argwohn der anderen Ostblockstaaten auf sich zu ziehen. Diese begannen bereits, den Kurs der Tschechoslowakei zu kritisieren. Ota Šik wurde deshalb nicht wie gefordert Mitglied des Parteipräsidiums, zudem wurde ihm auch nicht die Leitung des Wirtschaftsausschusses übertragen. Vielmehr zielte Dubček zunächst auf eine Reform der bundesstaatlichen Verfassung ab, welche den Slowaken mehr Selbstverwaltungsrechte zugestehen sollte.

Als programmatische Grundlage für die Reformen diente das am 5. April 1968 vorgestellte Aktionsprogramm der KPČ, das insbesondere auf Wirtschaftsreformen, Meinungs- und Informationsfreiheit, eine Aufarbeitung der stalinistischen Vergangenheit und eine allgemeine Neuausrichtung der Rolle der KP in der Gesellschaft zielte. Dieser parteipolitische Reformkurs war allerdings nicht zuletzt infolge der Aufhebung der Zensur in vielerlei Hinsicht schon in der öffentlichen Diskussion über die Neugestaltung der Gesellschaft vorweggenommen worden.

[Bearbeiten] Emanzipation der Öffentlichkeit

Noch im Februar 1968 hatte Dubček die Pressezensur aufgehoben. In den Medien des Landes fand daraufhin eine „wahre Informationsexplosion“[3] statt. Dementsprechend wurde das Aktionsprogramm in der Öffentlichkeit wenig begeistert, sondern vielmehr als selbstverständlich aufgenommen, die Meinungsführerschaft hatte inzwischen von der Partei zum Volk gewechselt.

Ein Zeugnis dieser Emanzipation der Öffentlichkeit bildete das von Intellektuellen verschiedener Couleur unterzeichnete Manifest der 2000 Worte des Schriftstellers Ludvík Vaculík vom Juni 1968.

[Bearbeiten] Reaktion der Sowjetunion

Die Sowjetunion, die den Machtwechsel von Novotný zu Dubček zunächst gutgeheißen hatte, dann aber schnell eine äußerst skeptische Position zur tschechoslowakischen Entwicklung einnahm, schätzte das „Manifest der 2000 Worte“ als eine Plattform der Konterrevolution ein. Hierin wurde sie durch den stellvertretenden Ministerpräsidenten Gustáv Husák bestärkt, der von einer „Atmosphäre des Terrors“ sprach.

Schon im März 1968 waren in Dresden Regierungsvertreter der ČSSR mit denen der Sowjetunion, Bulgariens, Ungarns, Polens und der DDR - die später als „Warschauer Fünf“ bezeichneten Staaten, die letztlich auch die Intervention durchführten - zusammengekommen, um über die Lage in der Tschechoslowakei zu sprechen. Weitere Treffen der „Warschauer Fünf“ zum Thema fanden, diesmal ohne tschechoslowakische Beteiligung, im Mai und Juni statt. Dabei wuchs der sowjetische Druck auf die Prager Regierung, die Reformen deutlich einzudämmen. Auch eine militärische Intervention gehörte bald zum Drohpotential, welches der Warschauer Pakt auf sein reformorientiertes Mitglied ausübte.

Wenige Tage nach bilateralen Gesprächen zwischen der tschechoslowakischen und der sowjetischen Regierung fand am 3. August in Bratislava das letzte offizielle Treffen zwischen der Tschechoslowakei und den „Warschauer Fünf“ statt. Das in Bratislava verabschiedete Abschlusskommuniqué wurde in der ČSSR als Zeichen der Entspannung gewertet, da den verschiedenen Parteien eine nationale Souveränität auf ihrem Weg zum Sozialismus eingeräumt werden sollte. Allerdings hatte etwa die konservative tschechoslowakische Opposition das Treffen dazu genutzt, den sowjetischen Offiziellen eine geheime „Einladung“ zukommen zu lassen, mit der sie um eine Intervention zur Verhinderung einer Konterrevolution in der ČSSR baten.

Tatsächlich wurden nach dem Treffen die laufenden sowjetischen Vorbereitungen zum Einmarsch in die Tschechoslowakei intensiviert. Im Gegensatz zu späteren sowjetischen Verlautbarungen, dass man bis zum letzten Moment verhandlungsbereit gewesen sei, waren nun die Weichen für die Niederschlagung der Reformbewegung gestellt.

[Bearbeiten] Einmarsch der Truppen der Warschauer Pakt-Staaten

In der Nacht zum 21. August 1968 marschierten Truppen der Sowjetunion, Polens, Ungarns und Bulgariens schließlich in die Tschechoslowakei ein und besetzten innerhalb von wenigen Stunden alle strategisch wichtigen Positionen des Landes. Bei den Kämpfen fielen 98 Tschechen und Slowaken. Etwa 50 Soldaten der Interventionstruppen kamen ums Leben. Die Nationale Volksarmee der DDR nahm an der Besetzung nicht Teil, gleichwohl stand sie an der Grenze bereit. Nur etwa 30 Soldaten einer NVA-Nachrichteneinheit weilten auf Grund der Militäraktion im Führungsstab der Invasionstruppen bei Milovice.

Die KPČ beschloss, keinen militärischen Widerstand zu leisten; Staatspräsident Ludvík Svoboda forderte Tschechen und Slowaken in einer Radioansprache dazu auf, Ruhe zu bewahren. Dubček und andere hochrangige Regierungsmitglieder wurden festgenommen und nach Moskau gebracht. Dort setzte man sie unter Druck und entmachtete sie schrittweise zugunsten des linientreuen Gustáv Husák. In der ČSSR funktionierte der eigentliche Plan der UdSSR, eine neue Regierung zu präsentieren, aufgrund des gewaltlosen, geschlossenen Protests der Bevölkerung des okkupierten Landes nicht. Auch die Behauptung, die KPČ habe um den Einmarsch ersucht, wurde von tschechoslowakischer Seite geschlossen dementiert: Für die tatsächlichen „Verschwörer“ war das Meinungsklima in der ČSSR zu ungünstig, um eine offene Palastrevolution verkünden zu können. In den Wirren der ersten Tage der Besatzung gelang es der Kommunistischen Partei sogar, einen außerordentlichen Kongress der Nationalversammlung einzuberufen, auf welcher der Einmarsch ausdrücklich verurteilt und die Regierung Dubček im Amt bestätigt wurde.

[Bearbeiten] Beteiligung der DDR

Nach offiziellen Berichten der DDR-Führung waren die Truppen der NVA am Einmarsch beteiligt, was auch in der Weltöffentlichkeit als gesichert angesehen wurde und zu erheblichen Aversionen der tschechoslowakischen Bevölkerung gegenüber DDR-Bürgern führte. Nach Studium der geheimen Akten des Ministeriums für Nationale Verteidigung kam Rüdiger Wenzke 1995 zur Erkenntnis, dass keine NVA-Truppen direkt militärisch beteiligt waren. Bereits im Mai 1968 wurde die Gefechtsbereitschaft der Grenztruppen erhöht. Die 7. Panzerdivision und die 11. Motorisierte Schützendivision der NVA unterstanden ab dem 29. Juli 1968 dem sowjetischen Oberkommando. Am Morgen des 21. August wurde der zivile Grenzverkehr in die ČSSR eingestellt. Weiterhin wurden grenznahe Orte isoliert und durften nur noch von Einwohnern betreten werden. Ebenfalls an diesem Tag nahm der Propagandasender Vltava seinen Betrieb auf. Dieser Sender wurde von der DDR bei Dresden betrieben und Richtung Tschechoslowakei auf Mittelwelle ausgestrahlt. Ziel war es, die Bevölkerung im Sinne der Warschauer-Pakt-Staaten zu beeinflussen. Der Sender wurde erst im Frühjahr 1969 nach massiven Protesten der Tschechoslowakei eingestellt. Am 23. August wurde die 11. Motorisierte Schützendivision näher an die tschechoslowakische Grenze in den Raum Adorf - Auerbach - Oelsnitz verlegt. Am 16. Oktober 1968 wurden die Truppen wieder dem Oberkommando der DDR unterstellt und verlegten einen Tag später wieder in ihre Kasernen. Im Rahmen von Protesten in der DDR wurden laut Ministerium des Innern vom 21. August bis 4. September 1968 1.075 Täter festgestellt, 468 wurden festgenommen.

[Bearbeiten] Ende des Prager Frühlings

Gedenkstätte für Jan Palach und Jan Zajíc auf dem Wenzelsplatz in Prag
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Gedenkstätte für Jan Palach und Jan Zajíc auf dem Wenzelsplatz in Prag

Am 23. August, zwei Tage nach Beginn der Intervention, wurde Präsident Svoboda offiziell zu Verhandlungen nach Moskau gerufen, an denen - zunächst nur inoffiziell - auch die in Haft gehaltenen Regierungsmitglieder um Dubček teilnahmen.

Das Moskauer Protokoll, welches drei Tage später verabschiedet wurde, beinhaltete eine Aufhebung fast aller Reformprojekte. Mit diesem Ergebnis einer faktischen Kapitulation im Gepäck kehrte Dubček, der vorerst noch in seinen Ämtern belassen wurde, nach Prag zurück, wo er zunächst noch einmal begeistert empfangen wurde. Nach wenigen Wochen konnte jedoch die Bevölkerung der ČSSR nicht mehr daran zweifeln, dass der „Prager Frühling“ mit dem 21. August sein Ende gefunden hatte.

Als Folge der Besetzung der Tschechoslowakei durch die Truppen des Warschauer Pakts verließen zehntausende Menschen, in erster Linie Facharbeiter und Intellektuelle, das Land. Allein nach Österreich flüchteten rund 96 000 Menschen, weitere 66 000 Urlauber kehrten nicht aus Österreich in die Tschechoslowakei zurück. Im Zuge der von Husák umgehend ins Werk gesetzten Säuberungen innerhalb der KP wurde knapp einer halbe Million Parteimitgliedern das Parteibuch entzogen.

Aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings verbrannte der Student Jan Palach am 19. Januar 1969 sich selbst auf dem Wenzelsplatz. Seine Tat wurde einen Monat später durch Jan Zajíc wiederholt.

Wenn auch kein militärischer Widerstand geleistet wurde, so wurde von der tschechischen und slowakischen Bevölkerung versucht, durch zivilen Ungehorsam und verschiedenen Aktionen die Besetzung zu verlangsamen. So wurden Ortstafeln und Straßenschilder verdreht, übermalt, zerschlagen oder abmontiert, so dass ortsunkundige russische Besatzer in falsche Richtungen geschickt wurden. Tausende, zumeist selbstgezeichnete oder selbstgedruckte, Plakate, die die Besatzer verspotteten und zum passiven Widerstand aufriefen, wurden, vorwiegend in Prag und Bratislava, aber auch in anderen Städten, verteilt und an Häuserwände und Schaufenster geklebt. Auch der damalige tschechoslowakische Rundfunk spielte eine große Rolle. So wurde unter dem damaligen Leiter Jiri Pelikan eine mobile Sendestation eingesetzt, um die Bevölkerung zu informieren. Auch der ORF spielte dabei eine große Rolle, indem er die Tschechoslowaken aus dem Ausland über Kurzwelle informierte, da sie im eigenen Land von den Ereignissen oft nicht oder falsch informiert wurden.

Zu untersuchen bleibt, zu welchen Anteilen das Konzept eines "Sozialismus mit menschlichem Antlitz", also eines Dritten Wegs, eine mehr oder minder bewusste Irreführung bzw. eine Illusion war. Rückblickend bestätigte das der Reformer Ota Šik im Jahr 1990 in mehreren Interviews. "Wir konnten damals nicht alle unsere Absichten voll präsentieren. (...) Somit war auch der Dritte Weg ein Täuschungsmanöver. Schon damals war ich überzeugt, daß die einzige Lösung der vollblütige kapitalistische Markt darstellt." (Interview in "Mladá fronta" 2.8.1990: "Der Weg zur Einsicht", in deutsch zitiert bei Bilak, S. 272 [siehe hier unter "Literatur"]).

[Bearbeiten] Rezeption in der Bundesrepublik

Der Prager Frühling und seine Niederschlagung wurde in der Bundesrepublik Deutschland wie kaum ein anderes außenpolitisches Ereignis beachtet und kommentiert. Dabei war das Interesse in eigentlich allen Teilen der Öffentlichkeit ähnlich groß: Sowohl die großen konservativen Zeitungen als auch die kleinen linksoppositionellen Blätter brachten die Ereignisse auf ihre Titelseiten. So beobachtete einerseits die bürgerliche Presse den tschechoslowakischen Versuch, einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ zu schaffen, mit großer Anteilnahme und fast durchweg positiven Kommentaren, interpretierte die Reformen dabei aber als angestrebte Nachholung des westlichen Standards von Freiheit und Demokratie.

Dagegen entdeckte die außerparlamentarische Opposition der Bundesrepublik im Prager Frühling einen „dritten Weg“, eine „bisher unentdeckte sozialistische Demokratie[4] und scheute sich auch nicht, die für den internationalen Sozialismus - und damit für das Weltbild der APO - niederschmetternde Nachricht vom Einmarsch in die ČSSR zunächst sehr kritisch unter die Lupe zu nehmen.

[Bearbeiten] Das Bild des Prager Frühlings in der tschechischen und slowakischen Öffentlichkeit

Der Prager Frühling wird in den Nachfolgestaaten der früheren Tschechoslowakei nicht gleichermaßen positiv gesehen wie im Westen. Vielfach sind Stimmen zu vernehmen, dass es sich lediglich um einen Konflikt zweier Flügel der KP - aber eben doch lediglich der einem Unrechtsstaat vorstehenden KP - gehandelt habe, was bis hin zu dem Ausspruch des Vorsitzenden des ersten frei gewählten Parlaments der ČSSR nach 1989 reicht, dass er sich Dubček auch als Aufseher in einem Straflager vorstellen könne - wenngleich auch eines menschlicheren.

Vielfach wird Dubček und seinen Mitstreitern auch vorgeworfen, durch ihre unvorsichtige Politik lediglich erreicht zu haben, dass die Uhren in der ČSSR zurückgestellt wurden und der Staat der Tschechen und Slowaken bis ins Jahr 1989 einer der repressivsten des damaligen Ostblocks blieb. Der Verdienst der Anführer des Prager Frühlings wird im Vergleich zur in anderen europäischen Staaten vorherrschenden Sichtweise oft lediglich darin gesehen, dass er die Unmöglichkeit eines Sozialismus mit menschlichem Antlitz vor alle Augen geführt habe.

Bei seinem Treffen mit dem tschechischen Präsidenten Václav Klaus am 1. März 2006 räumte der russische Präsident Putin für Russland als Rechtsnachfolger der Sowjetunion eine moralische Verantwortung ein, sagte aber: „Es gibt keine juristische Verantwortung und kann keine solche geben“[5].

[Bearbeiten] Literatur

  • Vasil Bilak: Wir riefen Moskau zu Hilfe. Der "Prager Frühling" aus der Sicht eines Beteiligten, hg. von Klaus Kukuk; Berlin 2006. Der Wert dieses Berichts Bilaks liegt in der fast minutiösen Rekonstruktion der Ereignisse von 1968/69 aus der Innensicht eines ZK-Mitglieds. Vieles daran ist für die Forschung neu. Der deutsche Buchtitel "Wir riefen Moskau zu Hilfe" ist äußerst irreführend. Bilak schrieb den Bericht 1984/85 unter dem wenig aussagekräftigen Titel "Meilensteine meines Lebens".
  • Stefan Bollinger: Dritter Weg zwischen den Blöcken - Prager Frühling 1968. Hoffnung ohne Chance, Trafo-Verlag Berlin 1995. ISBN 3-930412-78-0
  • Jörg Hoensch: Geschichte der Tschechoslowakei 1918-1991, 3. Auflage, Kohlhammer Stuttgart 1992. ISBN 3-17-011725-4
  • Jan Pauer: Der tschechoslowakische Reform- und Demokratisierungsprozess im Lichte der „Perestrojka“, in: Tilly Miller (Hrsg.), Prager Frühling und Reformpolitik heute. Hintergründe, Entwicklungen und Vergleiche der Reformen in Osteuropa, Olzog München 1989. ISBN 3-7892-8410-6

Jan Pauer: Prag 1968. Der Einmarsch des Warschauer Paktes. Hintergründe, Planung, Durchführung, Bremen 1995, Edition Temmen, ISBN 3-86108-314-0

  • Lutz Prieß, Václav Kural, Manfred Wilke Die SED und der „Prager Frühling“ 1968, Akademie Verlag, Berlin, 1996, ISBN 3-05-002796-7
  • Jaromír Navrátil (Hrsg.): The Prague Spring 1968. A national security archive documents reader, Central European University Press Budapest 1998. ISBN 963-911615-7
  • Eleonora Schneider: 'Prager Frühling und samtene Revolution. Soziale Bewegungen in Gesellschaften sowjetischen Typs am Beispiel der Tschechoslowakei, IZE Aachen 1994. ISBN 3-930528-11-8
  • Alan Levy, Verlorener Frühling. Ein Amerikaner in Prag 1967 - 1971, 1972, 1998 Vitalis s.r.o. (Prag). ISBN 80-85938-31-6

[Bearbeiten] Quellen

  1. Eleonora Schneider: Prager Frühling, S. 86
  2. Jan Pauer: Reform- und Demokratisierungsprozess, S. 50
  3. Eleonora Schneider: Prager Frühling, S. 75
  4. Ernst Fischer, Keine Romantiker in Prag, in: Neues Forum, Heft 173, 5/1968, S.284
  5. vgl. Artikel der "Welt" über den Besuch des russischen Präsidenten Putin in Prag am 1. März 2006

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