Neozoen
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Als Neozoen (Einzahl: Neozoon, Mehrzahl: Neozoa, eingedeutscht Neozoen, aus dem Griechischen mit der Bedeutung „Neutier“), auch: Allochthon (griech. für "Ortsfremder"), bezeichnet man Tierarten, die vom Menschen in andere Gebiete verbracht worden sind und sich dort fest etabliert haben. Dabei kann es sich um bewusste Aussetzung der jeweiligen Tiere handeln, um Gefangenschaftsflüchtlinge oder um unwissentlich verschleppte Tiere. Bei Pflanzen spricht man entsprechend von Neophyten, die hemerochor verschleppt wurden, bei Organismen allgemein von Neobiota.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Die Definition eines Neozoens
Drei Kriterien müssen erfüllt sein, um von einem Neozoen zu sprechen:
- direkte oder indirekte Einführung durch Menschen
- nach 1492 bzw. 1500 eingeführt
- sich selbst reproduzierende Populationen über mindestens drei Generationen, die ohne menschliche Hilfe auskommen.
Das Jahr der Neu-Entdeckung Amerikas durch Kolumbus, 1492, symbolisiert den Beginn des Zeitalters der Kolonialisierung und damit der intensiven Vernetzung der Länder der Welt. Damit waren dem ungehinderten Austausch von Tier- und Pflanzenarten zwischen den Kontinenten Tür und Tor geöffnet. Der Handhabbarkeit halber werden hier drei Generationen oder 25 Jahre als Hilfskriterium verwendet. Tierarten, die vor 1492 eingeführt wurden, die so genannten Archäozoen (beispielsweise die Hausmaus und das Heimchen), werden gesondert betrachtet. Die Wissenschaft, die sich mit Neozoa beschäftigt, heißt Invasionsbiologie.
Als Faustregel gilt die 'Zehnerregel'. Von 1000 eingeschleppten Arten können nur rund 10 Prozent in dem neuen Lebensraum überleben. Von diesen 100 Arten können sich aber wiederum nur 10 Prozent, also 10 Arten, auf Dauer fortpflanzen und sich etablieren. Von diesen besitzt nur eine Art ein Gefährdungspotential für die Umwelt, das entspricht 1 Promille. Trotzdem darf diese Gefahr nicht unterschätzt werden, da die Schäden für das Ökosystem enorm sein können.
Allein in Deutschland sind mittlerweile fast 700 Neozoen aus den unterschiedlichsten Tiergruppen heimisch geworden. Hierbei sind die marinen Neuansiedler noch nicht berücksichtigt.
[Bearbeiten] Einfluss auf die Natur
Vor allem auf isolierten Inseln, in Neuseeland, Neukaledonien, Papua Neuguinea und Australien und in geringerem Maße auf dem gesamten amerikanischen Doppelkontinent haben Neozoen zu einer irreversiblen Umgestaltung der Natur geführt, wobei sie zum Teil erheblichen Anteil am Aussterben der einheimischen Tierarten hatten. In Europa, Asien und Afrika kam es bisher zu Veränderungen, die zwar geringere Ausmaße einnahmen als in Australien, aber dennoch zu beachten sind.
Bei der Identifizierung von Neozoen als Ursache für Schäden an heimischer Flora und Fauna ist zu beachten, dass das Einschleppen oder Einführen von Neozoen oft mit umfangreichen Habitatveränderungen einhergeht und die Sicht auf die Schäden oft wirtschaftlichen Erwägungen folgt. In Australien werden zwar zahlreiche Neozoen verfolgt, aber wichtige Nutztiere wie Schafe, deren Produktion umfangreiche Eingriffe in die Natur erfordert (zum Beispiel Anlage von Wasserstellen) beziehungsweise hervorrufen, fallen nicht darunter. Inwieweit ein Neozoon als problematisch einzuordnen ist, wird von Wissenschaftlern, Naturschützern, Jägern, Fischern und Landwirten teilweise kontrovers diskutiert. Nach der Sichtweise der Invasionsbiologie sind Ökosysteme in der Regel ungesättigt, das heißt, sie sind in der Lage, weitere Arten aufzunehmen. Neozoa werden in der Regel als problematisch eingeordnet, wenn sie eines oder gar mehrere der folgenden Kriterien erfüllen:
- sie gefährden oder verdrängen einheimische Arten
- sie verändern heimische Ökosysteme
- sie richten wirtschaftlichen Schaden an
- sie gefährden die Gesundheit des Menschen
- sie schleppen Krankheiten und gebietsfremde Parasiten ein
- sie führen zu Beeinträchtigungen bei Jagd und Fischerei
[Bearbeiten] Beispiele
[Bearbeiten] Beispiele aus aller Welt
- Die bekanntesten Neozoen sind wohl die im Jahr 1859 erstmalig in Australien ausgesetzten Wildkaninchen (Oryctolagus cuniculus). Für ihre Schädlichkeit auf Flora und Fauna liegen allerdings keine wissenschaftlichen Belege. Schäden sind vor allem für die australische Schafzucht nachgewiesen, weswegen sie bedingungslos verfolgt werden. Kaninchen stellen eine leicht verfügbare Nahrungsgrundlage für Beutegreifer dar und halten deren Bestand hoch. Starke Schwankungen in der Kaninchenpopulation, die bei Kaninchen normal sind, führen zur Ausrottung von anderen Beutetieren. Wildkaninchen sind auch in Mitteleuropa oder Großbritannien nicht ursprünglich, sondern mit erheblichem Aufwand etabliert worden.
- Von der Aga-Kröte (Bufo marinus) wurden ursprünglich aus Südamerika stammende Tiere 1935 in Australien ausgesetzt, um die Zuckerrohrernte vor einer Zuckerrohrkäferplage zu schützen. Das misslang gründlich: Anders als in ihrer Heimat jagte die Kröten nun nicht mehr Käfer sondern spezialisierte sich ausgerechnet auf die gefährdeten Arten. Dabei vermehrte sie sich auch noch prächtig, sodas sie die heimischen Kleinsäuger, Amphibien und Insekten dezimierten. Gleichzeitig gefährden sie auch größere Tiere, weil diese, wenn sie die Aga-Kröte, aber auch ihre Eier oder Kaulquappen fressen, an deren Hautgiften zugrunde gehen. Australien hat teure Programme zur Bekämpfung von Bufo marinus aufgelegt.
- Die 1905 aus Nordamerika eingeführte Bisamratte (Ondrata zibethicus) ist ein Neozoon, der sich ausgehend von Böhmen (heute: Tschechien) und später Frankreich über fast ganz Europa und Asien ausgebreitet hat. Durch seine Wühl- und Fraßtätigkeit richtet er sowohl wirtschaftlich (Schäden an Ufer- und Deichbauten) als auch ökologisch (negativer Einfluss auf Ufer-Ökosysteme) große Schäden an.
- Der Kartoffelkäfer (Leptinotarsa decemlineata) ist ein Neozoon, der zugleich ein Landwirtschaftsschädling ist. Allerdings schadet er der Kartoffel, die selbst neobiotisch ist.
- Die Kastanienminiermotte (Cameraria ohridella) ist vermutlich ein Neozoon, der zugleich an der Rosskastanie, einem Neophyt, Schäden verursacht.
- Eine Reihe von Wildbeständen beruht auf menschlichen Ansiedlungsversuchen. In Europa beziehungsweise Deutschland zum Beispiel Damhirsch (Dama dama), Mufflon (Ovis ammon musimon) und Fasan (Phasianus colchicus).
- Das Aussterben vieler Vogelarten in Neuseeland, Neu Kaledonien, Tasmanien und Australien durch die Einbürgerung von mehr als 20 fremden Säugetierarten. Insbesondere leiden darunter die seltenen Flugunfähigen Vögel wie Emu, Casuar, Kagu, Waldralle und Kiwi.
- Der Siegeszug der Roten Feuerameisen (Solenopsis invicta) im Süden der USA.
- Die Verschleppung der Braunen Nachtbaumnatter (Boiga irregularis) auf die zu den USA gehörende Pazifikinsel Guam war Ursache für das Verschwinden fast der gesamten einheimischen Vogelwelt. Als Nebenwirkung kam es zu einer massenhaften Vermehrung der Spinnen, die zuvor den Vögeln als Nahrung gedient hatten.
- Die Aussetzung des Nilbarschs (Lates niloticus) im Viktoriasee, wo er buchstäblich hunderte von Buntbarscharten ausrottete.
- Die Ansiedelung des Waschbären (Procyon lotor) in Deutschland, Frankreich, Weißrussland und im Kaukasus.
- Die Auswilderung der Kanadagans (Branta canadensis) in Nordeuropa.
- Die Etablierung von Halsbandsittichvorkommen (Psittacula krameri) aus entflogenen Käfigvögeln an vielen Stellen in West- und Südeuropa. Entgegen immer wieder auftauchenden Meldungen gibt es in Deutschland im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern derzeit keinen freilebenden Bestand an Mönchssittichen, dem weltweit nach den Halsbandsittichen wohl verbreitetsten Neozoon.
- Nandus (Rhea americana) in Mecklenburg-Vorpommern sind aus einer Straußenfarm in Schleswig-Holstein geflüchtet und haben sich in freier Landschaft angesiedelt.
- Vorkommen von Winkerkrabben im östlichen Mittelmeer (Zypern). Ursprünglich ist diese Art auf das Rote Meer beschränkt gewesen. Einwanderung höchstwahrscheinlich in Folge der Lessepsschen Migration durch den Sueskanal.
- Die unfreiwillige Ansiedlung der Wanderratte (Rattus norwegicus) im 18. Jahrhundert überall auf der Welt. Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet der Wanderratte ist in der Mongolei und Nordchina zu suchen.
- Seit den 1950er Jahren wurde die Schwarzkopfruderente vermehrt als Wassergeflügel gehalten. Gefangenschaftsflüchtlinge etablierten Populationen in ganz Europa, die sich zunehmend auch mit der Weißkopfruderente (vgl. Foto) hybridisierten, deren Populationszahl die Schwarzkopfruderente bereits seit längerem übersteigt. Es besteht daher die Gefahr, dass die Weißkopfruderente vollständig durch die Schwarzkopfruderente verdrängt wird. Zu den Schutzmaßnahmen zur Arterhaltung der Weißkopfruderente gehört in Großbritannien daher auch der gezielte Abschuss von Schwarzkopfruderenten. Diese Maßnahme führte 2003 in Großbritannien zu einer breiten öffentlichen Diskussion über Tier- und Naturschutz.
- Die Chinesische Wollhandkrabbe (Eriocheir sinensis) hat sich nach unbeabsichtigter Einschleppung durch den Menschen im 20. Jahrhundert in mehreren großen europäischen Flüssen als Neubürger etabliert, beispielsweise in der Elbe.
- Das nordamerikanische Grauhörnchen (Sciurus carolinensis) wurde zwischen 1876 und 1929 unter anderem in England, Irland und Schottland ausgesetzt. Da es robuster und weniger scheu ist als das einheimische Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) und zudem gegen einen für die andere Art tödlichen Virus immun ist, verdrängt das Grauhörnchen auf den Britischen Inseln das Eichhörnchen vielerorts aus seinen Lebensräumen.
- Die Ansiedelung der Königskrabbe durch russische Forscher in der Barentssee hatte aufgrund fehlender Fressfeinde ein rapides Wachsen und Ausbreiten der Population bis nach Norwegen zur Folge.
- Gelbe Verrückte Ameise (Anoplolepis gracilipes) ...
[Bearbeiten] Beispiele aus Deutschland
Hier eine Auswahl von weiteren in Deutschland vorkommenden Neozoen, die oben noch nicht aufgeführt wurden:
- Amerikanischer Flusskrebs (Orconectes limosus)
- Blaubandbärbling (Pseudorasbora parva)
- Brautente (Aix sponsa)
- Fettköpfige Elritze (Phoxinus phoxinus)
- Fasan (Phasianus colchicus)
- Feuerlibelle (Crocothemis erythraea)
- Flamingo (Kubaflamingo und Chileflamingo in Teilen NRWs )
- Giebel (Carassius auratus)
- Graskarpfen (Ctenopharyngodon idella)
- Mandarinente (Aix galericulata)
- Marderhund (Nyctereutes procyonoides)
- Mink (Mustela vison)
- Nilgans (Alopochen aegytiacus)
- Nutria (Myocastor coypus)
- Amerikanischer Ochsenfrosch (Rana catesbeiana)
- Pharaoameise (Monomorium pharaonis)
- Reblaus (Dactylosphaera vitifoliae)
- Regenbogenforelle (Oncorhynchus mykiss)
- Sikahirsch (Cervus nippon)
- Silberkarpfen (Hypophtalmichthys molitrix)
- Sonnenbarsch (Lepomis gibbosus)
- Störe (Acipenser spp.)
- Asiatisches Streifenhörnchen (Eutamias sibiricus)
- Trauerschwan (Cygnus atratus)
- Zebramuschel oder Dreikantmuschel (Dreissena polymorpha)
- Halsbandsittich (Psittacula krameri)
- Kanadagans (Branta canadensis)
- Truthuhn (Meleagris gallopavo)
- Bennet-Kängeru
- Nandu
Die oben aufgeführten Arten sind nicht exklusiv in Deutschland, sondern größtenteils auch in anderen eurasischen Ländern vertreten.
[Bearbeiten] Unterschiedliche Sichtweisen
Da viele der besonders betroffenen Gebiete heute englischsprachig sind, ist die negative Einstellung gegenüber Neozoen im englischen Sprachraum besonders ausgeprägt, was sich in Bezeichnungen wie "pest animals" und "invader species" ausdrückt. In Kontinentaleuropa sieht man das Phänomen meist wesentlich gelassener, einige sehen in der Neuansiedlung von Neozoen sogar eine positive Bereicherung der Fauna, wobei dann allerdings die verursachten oder potentiellen Schäden großzügig übersehen werden.
[Bearbeiten] Synonyme
Aliens (umgangssprachlich), Allochthone beziehungsweise nicht-autochthone Arten, Exoten, Eingeschleppte, Eindringlinge, Einwanderer, Fremdlinge und Invasoren, weiterhin aus dem Englischen intruder und invader. Manche dieser Begriffe werden wegen ihres aggressiv-abwehrenden Beiklangs nicht mehr verwendet.
[Bearbeiten] Siehe auch
- Auch der Rhein-Main-Donaukanal sorgt für einen erheblichen Faunenaustausch (Beispiel: Großer Höckerflohkrebs).
- Quarantäneschaderreger
[Bearbeiten] Literatur
- Bernhard Kegel: Die Ameise als Tramp. Heyne 2001, ISBN 3-453-18439-4
- Mario Ludwig, Harald Gebhard, Herbert W. Ludwig, Susanne Schmidt-Fischer: Neue Tiere & Pflanzen in der heimischen Natur - Einwandernde Arten erkennen und bestimmen. BLV Verlagsgesellschaft München, ISBN 3-405-15776-5
- Ingo Kowarik: Biologische Invasoren: Neophyten und Neozoen in Mitteleuropa. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, 2003, ISBN 3-8001-3924-3
- Essl, Franz; Rabitsch, Wolfgang: Neobiota in Österreich. Umweltbundesamt Wien, 2002. - 432 S. - ISBN 3-85457-658-7
- BM für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg.): Aliens. Neobiota in Österreich. Böhlau Verlag Wien, 2005. 283 S. - ISBN 3-205-77346-2
- DNL-online Die Literaturdatenbank des Bundesamtes für Naturschutz.