Kommissarbefehl
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Der Kommissarbefehl – offiziell Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare – vom 6. Juni 1941 zählt zu den Völkerrechtsverletzungen der deutschen Wehrmacht während des 2. Weltkrieges. Er beinhaltete die Anweisung, Politkommissare der sowjetischen Armee nicht als Kriegsgefangene zu behandeln, sondern sie ohne Verhandlung zu erschießen.
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[Bearbeiten] Wesentliche Punkte
Der Befehl wurde am 6. Juni 1941 kurz vor dem Unternehmen Barbarossa in Zusammenarbeit von OKW und OKH erlassen und sollte an die Kommandeure nur mündlich weitergegeben werden.. Im Befehl heißt es:
- „...Sie [= die politischen Kommissare als Organe der feindlichen Truppe] sind aus den Kriegsgefangenen sofort, d.h. noch auf dem Gefechtsfelde, abzusondern.[...] Diese Kommissare werden nicht als Soldaten anerkannt; der für die Kriegsgefangenen völkerrechtliche Schutz findet auf sie keine Anwendung. Sie sind nach durchgeführter Absonderung zu erledigen." [1]
Ebenso sollten „politische Kommissare aller Art“ , nämlich zivile Hoheitsträger und politische Leiter, liquidiert werden, „auch wenn sie nur des Widerstandes, der Sabotage oder der Anstiftung hierzu verdächtig“ seien.
An anderer Stelle heißt es: „Politische Kommissare, die sich keiner feindlichen Handlung schuldig machen oder einer solchen verdächtig sind, werden (sic!) zunächst unbehelligt bleiben.“ Erst später sei zu entscheiden, ob diese Personen an die Sonderkommandos abzugeben seien. Diese Überprüfung solle möglichst vom Sonderkommando [2] selbst vorgenommen werden.
Im vorletzten Entwurf lautete die genaue Formulierung: „Politische Kommissare [...] sollen zunächst unbehelligt bleiben.“ Hitler erhielt vermutlich mit Vorbedacht [3] eine geänderte Fassung vorgelegt, in der „sollen“ durch „werden“ ersetzt worden war und die daher unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten zulässt.
[Bearbeiten] Reaktionen
Einige militärische Befehlshaber und auch das Amt Abwehr machten Bedenken gegen den Kommissarbefehl geltend. Ihnen wurde jedoch von Wilhelm Keitel, Chef des OKW, erklärt:
- „Die [geäußerten] Bedenken entsprechen den soldatischen Auffassungen vom ritterlichen Krieg. Hier handelt es sich um die Vernichtung einer Weltanschauung, deshalb billige ich die Maßnahmen und decke sie.“ [4]
Trotzdem kam es ab September 1941 immer wieder zu Meldungen aus der Truppe, die die Zweckmäßigkeit und Berechtigung des Befehls bezweifelten. Die Liquidierung der Politkommissare sei dem Gegner nicht verborgen geblieben, führe zu anhaltendem Widerstand und verhindere eine vorzeitige Kapitulation eingekesselter Gegner. Hitler lehnte es jedoch am 26. September 1941 ab, den Befehl zu ändern. Schließlich zeigten die Einwände aber doch Wirkung. Unter dem 6. Mai 1942 heißt es im Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht:
- „Um die Neigung zum Überlaufen und zur Kapitulation eingeschlossener sowjetischer Truppen zu steigern, befiehlt der Führer, dass den [...] Kommissaren und Politruks zunächst versuchsweise in solchen Fällen die Erhaltung ihres Lebens zugesichert werden kann.“[5]
Bedeutsam ist, dass kein Fall bekannt geworden ist, in dem versucht worden wäre, die Durchführung des Kommissarbefehls zu erzwingen. Ebensowenig hat es kriegsgerichtliche Verfahren gegeben, wenn der Kommissarbefehl nicht befolgt wurde. Demnach hatten die Hardliner in der Wehrmacht, die trotzdem diesen Befehl durchführten, einen Anteil an individueller Verantwortlichkeit.
[Bearbeiten] Auswirkungen
Offenbar wurde der Befehl später nie wieder in Kraft gesetzt. Dies sicherte jedoch nicht das Überleben der Politkommissare. So wurden im Herbst 1942 noch 200 sowjetische Politkommissare im KZ Neuengamme vergast.[6]
Beim Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher beschworen einige Kommandeure, den Kommissarbefehl weder erhalten noch weitergeleitet zu haben. Da jedoch zahlreiche dienstliche Vollzugsmeldungen erhalten sind, ist die Behauptung widerlegt, der Befehl sei in der Praxis durch die stillschweigende Opposition der Generale nicht durchgeführt worden. [7]
[Bearbeiten] Belege
- ↑ Dok. NOKW 1076 in: Jacobsen, Kommissarbefehl, S. 189
- ↑ später „Einsatzgruppe“ genannt – Krausnick, Kommissarbefehl, S. 704
- ↑ Krausnick, Kommissarbefehl, Seite 725 Anm. 213
- ↑ Streim, Vernichtungskrieg, S. 34
- ↑ Streim, Vernichtungskrieg, S. 96
- ↑ KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hrsg.): Die Ausstellungen. ISBN 3-86108-075-3, Seite 93
- ↑ Krausnick, Kommissarbefehl, S. 733
[Bearbeiten] Literatur
- Hans–Adolf Jacobsen, Kommissarbefehl und Massenexekutionen sowjetischer Kriegsgefangener, in: Anatomie des SS–Staates, hg. v. H. Buchheim, M. Broszat, H.A. Jacobsen, H. Krausnick, Bd. II, Freiburg 1965, S. 163–283.
- Jürgen Förster: "Verbrecherische Befehle". In: Wolfram Wette/Gerd R. Ueberschär (Hrsg.): Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert. Darmstadt 2001, ISBN 389678417X, S. 137–151.
- Helmut Krausnick: Kommissarbefehl und „Gerichtsbarkeitserlass Barbarossa“ in neuer Sicht. In: VfZ 25 (1977), Seite 682-738
- Alfred Streim: Sowjetische Gefangene in Hitlers Vernichtungskrieg. Berichte und Dokumente 1941-1945. Heidelberg 1982. ISBN 3-8114-2482-3
- Christian Streit: Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941-1945. Neuausg. Bonn 1991. ISBN 3-8012-5016-4
- Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.): Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Band 4: Der Angriff auf die Sowjetunion. Stuttgart 1983, ISBN 3-421-06098-3 S.435-440
[Bearbeiten] Weblinks
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