Privacy Policy Cookie Policy Terms and Conditions Johann Most - Wikipedia

Johann Most

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Johann Most
vergrößern
Johann Most

Johann Most (* 5. Februar 1846 in Augsburg, † 17. März 1906 in Cincinnati in den USA) war erst Sozialdemokrat, später Anarchist.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Biographie

Most wurde 1846 in Augsburg als Kind einer armen Familie unehelich geboren. Er wurde schon in seiner Kindheit nicht gerade „vom Leben verwöhnt“. Seine Mutter starb früh und er litt sehr unter seiner Stiefmutter. Schon früh wetterte Most gegen die „Prügelpädagogik“ und wurde, nachdem er einen Schülerstreik organisiert hatte, als 13-jähriger von der Schule verwiesen. Bereits damals litt er an Knochenfraß im Unterkiefer, nach einer Operation war Most im Gesicht entstellt.

Er machte eine Lehre als Buchbinder und zog als Wandergeselle durch Deutschland, durch Ungarn und durch die Schweiz. Auf seinen Wanderungen kam er mit der Arbeiterbewegung in Kontakt und schloss sich der „Internationale“ an. In der Folgezeit, in der er ebenfalls in Österreich umherreiste, entdeckte er seine agitatorischen Fähigkeiten als Redner. Most wurde von einem Land zum nächsten, in denen er immer wieder verurteilt worden war und kleinere Gefängnisstrafen abgesessen hatte, abgeschoben.

Er arbeitete vorübergehend in verschiedenen Zeitungen und sozialdemokratischen Ortsgruppen mit und ließ sich in Chemnitz nieder, wo er Chefredakteur der Arbeiterzeitung “Chemnitzer Freie Presse” wurde. Das heruntergekommene Blatt, das vor Mosts Ankunft in Chemnitz eine Auflage von 200 Stück hatte, blühte mit dem neuen Redakteur auf. Most konnte, wie auch in seinen Reden, die Arbeiter begeistern – die Auflage des Blattes vergrößerte sich innerhalb von wenigen Wochen um das Sechsfache. Most war eine Belebung für die Chemnitzer Arbeiterbewegung, doch nach einiger Zeit häuften sich die Anzeigen gegen ihn und er saß des Öfteren im Gefängnis. Sein Geld steckte er lieber in die Zeitung und so konnte und wollte er die oft verhängten Strafgelder nicht zahlen. Die Repression der bismarckischen Staatsmacht wurde immer härter – immer häufiger saß er im Gefängnis.

1874 bis 1878 wurde er zweimal als jüngster Abgeordneter in den deutschen Reichstag gewählt und dies schon als 25jähriger, obwohl er aus seinem Antiparlamentarismus kein Hehl machte und den Reichstag „Reichskasperletheater“ nannte. Als Parlamentarier siedelte Most nach Berlin um, wo er als Redakteur der „Freien Berliner Presse“ arbeitete. Des Weiteren gründete er die erste satirische Zeitung der Arbeiterbewegung - den „Nußknacker“. Most hielt weiter seine agitatorischen Reden. Da es jedoch zunehmend überall von Polizeispitzeln wimmelte, kam Most immer mehr in Bedrängnis. Eine Rede brachte ihm 26 Monate Gefängnis in der Berliner Haftanstalt Plötzensee ein. Nach den fehlgeschlagenen Attentaten auf Wilhelm I. am 11. Mai und am 2. Juni 1878 und dem folgenden Erlass des Sozialistengesetzes emigrierte Most freiwillig nach London.

[Bearbeiten] Aufenthalt in London

Dort gab er das zunächst sozialdemokratische, zunehmend aber anarchistische Blatt „Freiheit“ heraus (erster Erscheinungstag: 3. Januar 1879). Doch selbst aus der Exilopposition in London hatte er noch viele Kontakte nach Deutschland. Die „Freiheit“ wurde in großer Stückzahl nach Deutschland geschmuggelt und erfreute sich lange Zeit großer Beliebtheit in Deutschland. Wegen seiner Tiraden gegen Bebel und Liebknecht wurde er 1880 aus der Partei ausgeschlossen. Doch auch in England, wo man Most größere Freiheiten ließ, geriet er zunehmend in Schwierigkeiten. 1881 bejubelte Most in einem Leitartikel in der „Freiheit“ das geglückte Attentat auf Alexander II. und äußerte offen seine Sympathie für die russischen Revolutionäre. Dies brachte ihm eine 16-monatige Zwangsarbeit in der Isolationshaft ein, die ihn körperlich zugrunde richtete und ein physisches Wrack aus ihm machte. Ende 1882 verließ er England und schiffte sich mit dem Dampfer Wisconsin nach Amerika ein.

[Bearbeiten] Aufenthalt in Amerika

In New York wurde er von Gesinnungsgenossen erwartet und freundlich aufgenommen. Er setzte auch in New York die Arbeit seiner Zeitung „Freiheit“ fort. Diese war durch die große Entfernung zu Deutschland nach seiner Emigration, im Vergleich zu den anderen Zeitungen, nicht mehr konkurrenzfähig und erschien als Folge dessen nicht mehr in Deutschland, sondern in den USA. Die „Freiheit“ erschien 31 Jahre lang – 26 Jahre davon unter der Leitung von Johann Most. Die amerikanischen Ausgaben der „Freiheit“ knüpften an den englischen Ausgaben an. Most solidarisierte sich mit dem gescheiterten deutschen Attentäter Reinsdorf, der 1883 bei einem Bombenattentat den gesamten kaiserlichen Hofzug sprengen wollte und veröffentlichte auch Anleitungen zur Nitroglycerinherstellung.

Er engagierte sich sofort auch sehr in der amerikanischen Arbeiterbewegung und hatte wiederum schnell einen relativ großen Einfluss. Er agierte unter anderem in Chicago für die Streikbewegung, die den 8-Stundentag forderte. Als die Bombe am Haymarket in Chicago explodierte (sieben tote und über 60 verletzte Polizisten sowie zahlreiche Opfer unter den streikenden Arbeitern waren die Folge) - bis heute ist nicht geklärt, ob sie zur Provokation von einem Polizeispitzel oder von einem verzweifelten Arbeiter geworfen wurde - saß Most gerade im Gefängnis. Wie in Deutschland und in England saß er auch in den USA einige Male im Gefängnis und oft, wie im Fall der Bombe am Haymarket, wurde er der „geistigen Brandstiftung“ angeklagt.

Most organisierte auch „Arbeitertheater“ - kostenlose Theateraufführungen, in denen Arbeiter Zugang zu Theater auf hohem Niveau hatten. Neben der Arbeit an der „Freiheit“ war Mosts Leben in Amerika sehr von seinen Rundreisen geprägt. Er reiste im Land umher - gab Vorträge und hielt Reden über den Anarchismus. Während seiner häufigen Gefängnisaufenthalte hatte er die Zeit gehabt, sich ausführlich mit den anarchistischen Theoretikern zu befassen und sein anfangs nicht sehr umfangreiches Wissen ausgebaut. 1906 starb Most schließlich in Cincinnati.

[Bearbeiten] Die Mostsche “Propaganda der Tat”

Most hatte immer angenommen, dass die Sozialdemokratie auch Platz für anarchistische und sozialrevolutionäre Ideen und Positionen haben müsse. Doch die Realität belehrte ihn eines anderen. Unter dem Eindruck der Genossen in der Sozialdemokratischen Partei, die mehrheitlich, zwar noch nicht am Anfang, aber dann immer konsequenter, radikalere Positionen bekämpften, unter dem Eindruck der staatlichen Repression und dem Erleben der „Scheindemokratie“ im deutschen Kaiserreich, radikalisierte sich Most. Er erlebte, dass Parlament und Reformisten so gut wie keine Änderungen durchsetzen konnten. Dies bestärkte ihn in seinem Antiparlamentarismus – er wollte die „schnelle Umsetzung“, er wollte die Revolution. Weil es seinem kämpferischen Temperament entsprach und weil er überzeugt war, dass man einem Machthaber, speziell dem deutschen Kaiser, seine Macht nicht durch parlamentarische Arbeit abringen könnte, trat er für eine militante soziale Revolution ein und entwickelte die „Propaganda der Tat“. Die „Propaganda der Tat“ knüpfte an die alte Idee des „Tyrannenmörders“ an. Ähnlich wie der berühmte Königsmörder Brutus wollte die „Propaganda der Tat“ zum Wohle des Volkes gegen die Tyrannei vorgehen. Durch das Attentat, den moralisch legitimierten Tyrannenmord, sollte das unterdrückte Volk aus seiner Lethargie geweckt werden. Der anarchistische und sozialrevolutionäre Individualterror sollte der Funke zur Revolution sein. Er sollte die Möglichkeit der Revolution aufzeigen – die Verwundbarkeit der Macht. Die Propagandisten der Tat sahen alle anderen Wege versperrt, dazu kam ihre Ungeduld, und so sahen sie ihren einzigen Ausweg im Terrorismus, den sie moralisch mit der Unterdrückung des Volkes legitimierten. Der Attentäter wurde als gnadenloser Rächer des Volkes hochstilisiert und als Held der Freiheit romantisiert.

Most ist ein wichtiger Repräsentant des deutschen individualterroristischen Anarchismus. In seinen Reden und in seiner Zeitung verbreitete er seine Ideen in einfacher Art und Weise – er liebte, er praktizierte die gnadenlose Satire und Ironie und polemisierte gern und viel in seinen Reden und Artikeln. Most veröffentlichte eine weit verbreitete, von Marx und Friedrich Engels revidiert und überarbeitete Ausgabe von Marx' „Kapital“. Im Vergleich mit Marx' Original war dieses Buch jedoch auch für ungebildete Menschen – für einfache Arbeiter – verständlich und gut lesbar. So trug Most entscheidend zur Popularisation des Marxismus in Deutschland bei. Most war Organisator der ersten großen Kirchenaustrittsbewegungen. Zu seinen berühmtesten Schriften zählen „Die Gottespest“, ein atheistisches „Glaubensbekenntnis“ und eine Kirchenkritik.

Most war einer der erfolgreichsten frühen Sozialdemokraten und mit mehr oder minder großem Erfolg ein Organisator von vielen Streiks. Anders als viele andere Anarchisten entfernte sich Most jedoch nie von der Arbeiterbewegung. Er hatte zeitlebens gute Kontakte zur Arbeiterbewegung und suchte immer wieder aufs Neue die Nähe der einfachen Arbeiter. Er blieb Zeit seines Lebens immer Gewerkschafter. Most war zwar von den Lehren von Karl Marx geprägt, aber als eine natürliche Konsequenz seiner Ablehnung lehnte er auch jegliche fremdbestimmende Autorität, immer die Parteidisziplin und andere Merkmale des autoritären Kommunismus deutlich ab. Most war Polemisierer, Gewerkschafter, Atheist, Agitator und Journalist. Immer aber war er Anarchist und Agitator der sozialen Revolution. Mit seinen Aktionen und seiner Propaganda steht er, wenn er auch selbst kein Attentäter war, exemplarisch für jene Aktionsformen des Anarchismus in Deutschland gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

[Bearbeiten] Literatur

  • Johann Most: Marxereien, Eseleien und der sanfte Heinrich. Artikel aus der Freiheit. Ausgewählt, mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Heiner Becker. Wetzlar 1985; jetzt Münster, Bibliothek Theleme, 2006. ISBN 3-930819-24-4
  • Johann Most: Anarchismus in einer Nußschale, Klassiker der Sozialrevolte Bd. 14. Unrast 2006. ISBN 3-89771-912-6
  • Johann Most: Die freie Gesellschaft. Die Internationale Bibliothek und Texte aus der Freiheit zum Kommunistischen Anarchismus. Klassiker der Sozialrevolte Bd. 13. Unrast 2006. ISBN 3-89771-911-8
  • Johann Most: Die Gottespest und andere religionskritische Schriften. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Benno Maidhof-Christig (Klassiker der Religionskritik 2). Alibri Verlag. Aschaffenburg.
  • Johann Most: Kapital und Arbeit, das Kapital in einer handlichen Zusammenfassung. Von Marx und Engels selbst revidiert und überarbeitet. Suhrkamp Verlag 1972

[Bearbeiten] Sekundärliteratur

  • Rudolf Rocker: Johann Most. Das Leben eines Anarchisten, Berlin 1924; Nachtrag, Berlin 1925. Erweiterter Reprint Berlin und Köln, Libertad Verlag. ISBN 3-922226-22-1
  • Heiner M. Becker u. Andreas G. Graf (Hg.): Johann Most - Ein unterschätzter Sozialdemokrat?, Berlin 2006 (= IWK Jg. 41 Nr. 1-2, März 2005). ISBN 3-930819-29-5

[Bearbeiten] Weblinks

Wikisource: Johann Most – Quellentexte

Static Wikipedia 2008 (no images)

aa - ab - af - ak - als - am - an - ang - ar - arc - as - ast - av - ay - az - ba - bar - bat_smg - bcl - be - be_x_old - bg - bh - bi - bm - bn - bo - bpy - br - bs - bug - bxr - ca - cbk_zam - cdo - ce - ceb - ch - cho - chr - chy - co - cr - crh - cs - csb - cu - cv - cy - da - de - diq - dsb - dv - dz - ee - el - eml - en - eo - es - et - eu - ext - fa - ff - fi - fiu_vro - fj - fo - fr - frp - fur - fy - ga - gan - gd - gl - glk - gn - got - gu - gv - ha - hak - haw - he - hi - hif - ho - hr - hsb - ht - hu - hy - hz - ia - id - ie - ig - ii - ik - ilo - io - is - it - iu - ja - jbo - jv - ka - kaa - kab - kg - ki - kj - kk - kl - km - kn - ko - kr - ks - ksh - ku - kv - kw - ky - la - lad - lb - lbe - lg - li - lij - lmo - ln - lo - lt - lv - map_bms - mdf - mg - mh - mi - mk - ml - mn - mo - mr - mt - mus - my - myv - mzn - na - nah - nap - nds - nds_nl - ne - new - ng - nl - nn - no - nov - nrm - nv - ny - oc - om - or - os - pa - pag - pam - pap - pdc - pi - pih - pl - pms - ps - pt - qu - quality - rm - rmy - rn - ro - roa_rup - roa_tara - ru - rw - sa - sah - sc - scn - sco - sd - se - sg - sh - si - simple - sk - sl - sm - sn - so - sr - srn - ss - st - stq - su - sv - sw - szl - ta - te - tet - tg - th - ti - tk - tl - tlh - tn - to - tpi - tr - ts - tt - tum - tw - ty - udm - ug - uk - ur - uz - ve - vec - vi - vls - vo - wa - war - wo - wuu - xal - xh - yi - yo - za - zea - zh - zh_classical - zh_min_nan - zh_yue - zu -