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Die Kunst der Fuge

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Die Kunst der Fuge ist ein Zyklus von Fugen und Kanons von Johann Sebastian Bach (BWV 1080, um 1750 mit Vorarbeiten von 1740, Erstdruck 1751). Der Titel stammt nicht von Bach selbst.

Das Werk umfasst vierzehn Fugen und vier Kanons. Jede der Fugen, abgesehen von der unvollendeten letzten, basiert auf Varianten eines einzigen, recht einfachen Grundthemas in d-Moll, das in der ersten Fuge eingeführt wird:(Bild:Loudspeaker.png Hörbeispiel)

Bild:KdF_Motiv2.png

Mit dem Werk solle anschaulich vermittelt werden, so der erste Bach-Biograph Johann Nikolaus Forkel, „was möglicher Weise über ein Fugenthema gemacht werden könne. Die Variationen, welche sämmtlich vollständige Fugen über einerley Thema sind, werden hier Contrapuncte genannt“ (Über Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. 1802).

Aufgrund der kontrapunktischen Komplexität hat Bach jede Stimme – alle vorkommenden Fugen, Doppelfugen, Spiegelfugen usw. sind höchstens vierstimmig – auf einem einzigen Notensystem, also in Partiturform, ausgeschrieben.

Das unvollendet gebliebene Werk Bachs bietet bis heute Anlass zu vielfältigen Spekulationen. Die anhaltende Diskussion thematisiert dabei vor allem die Frage der Instrumentierung, der Anordnung sowie der Unabgeschlossenheit dieses Werkes.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Instrumentierung

Weder im Bachschen Autograph noch im Erstdruck der Kunst der Fuge finden sich Angaben zur Instrumentierung des Werkes. Folglich wurde viel über die von Bach vermeintlich intendierte Instrumentalbestimmung spekuliert, starb der Komponist doch vor Abschluss der Drucklegung der Erstveröffentlichung.

Bis heute kann dabei die Tasteninstrument-These als dominant angesehen werden. So führt etwa Christoph Wolff in seiner 1987 erschienen Klavierausgabe des Bachschen Werkes aus: „Die tasteninstrumentale Bestimmung der Kunst der Fuge ergibt sich [...] nicht nur aufgrund ihres historischen Kontextes (Partiturnotation polyphoner Tastenmusik galt seit Scheidt und Frescobaldi als Konvention), sondern insbesondere aus ihrer Faktur, die konsequent auf Manualiter-Spielbarkeit Rücksicht nimmt.“ (Bach, Johann Sebastian: Die Kunst der Fuge. 1987, S. 4.)

Autograph des Werkes (Contrapunctus I)
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Autograph des Werkes (Contrapunctus I)

Jedoch hat insbesondere die Bearbeitung von Wolfgang Graeser für großes Orchester, Orgel und Cembalo, uraufgeführt unter der Leitung des Thomaskantors Karl Straube am 26. Juni 1927 in der Thomaskirche in Leipzig, die Diskussion über die Instrumentalbestimmung der Kunst der Fuge erheblich beeinflusst. Ausführlich im Bach-Jahrbuch von 1924 begründet, ging diese Bearbeitung 1932 als Supplementband in die schon abgeschlossenen Bach-Gesamtausgabe ein.

Roswitha Schlötterer-Traimer bemerkt in ihrer Studie zur Kunst der Fuge hierzu: „Damit war zum ersten Mal das Problem der Instrumentierung der Kunst der Fuge aufgetaucht. Graeser schlug in seiner Ausgabe Streichorchester und Solostreichquartett, Holz- und Blechbläser sowie Cembalo und Orgel vor, die die einzelnen Contrapuncte jeweils in verschiedenen Besetzungen ausführen sollte. [...] Nach dem Abbrechen der fragmentarischen Quadrupelfuge wurde der Choral gespielt. Die Reaktion aus den Fachkreisen war zum großen Teil begeistert, zum Teil aber auch recht kritisch.“ (Johann Sebastian Bach. 1966, S. 11f.)

Neben der Orchesterbearbeitung existieren weitere Bearbeitungen für Streichquartett und Blechbläserquartett. Auch mit Einrichtungen für Saxophonquartett und Gitarrenquartett ist experimentiert worden.

Von Hans-Eberhard Dentler wurden Einwände gegen die diversen Instrumentalbearbeitungen geltend gemacht. In seiner Studie zur „Kunst der Fuge“ kommt er zu dem Ergebnis, dass allein folgende Besetzung dem Bachschen Autograph gerecht werden könne: Violine, Viola, Violoncello, Fagott und Kontrabass. Allein diese Besetzung gestatte „erstmals, jede musikalische Linie der verschiedenen Stimmen zu hören und ihre Entwicklung zu verfolgen.“ (Johann Sebastian Bachs „Kunst der Fuge“, S. 144)

[Bearbeiten] Anordnung

Auch die Anordnung der einzelnen Stücke ist heftig umstritten, und lässt sich aus den Quellen nicht verbindlich klären. Die Anordnung nach dem Berliner Autograph macht eine Interpretation des Werkes nach Gesichtspunkten der Symmetrie möglich, aber nicht zwingend. Bei den ersten drei Fugen wird die Umkehrung von zwei Fugen in Normalgestalt umgeben (1-3). Die beiden Doppelfugen werden von zwei Gegenfugen eingerahmt (4-7). Eine Gegenfuge an der achten Position des Werkes wäre demnach die Mittelachse des Werkes. Zwei weitere Doppelfugen werden analog dazu von zwei Kanons umfasst (9-12). Zwei Spiegelfugen und ein Kanon beschließen das Werk (13-15).

Eine anderer Ansatz gruppiert die Einzelteile nach der Art der Fugen. Auf die einfachen Fugen folgen die Gegenfugen, Doppelfugen, Spiegelfugen, Kanons sowie eine Quadrupelfuge.

[Bearbeiten] Musikalische Merkmale

Bach verwendet in der Kunst der Fuge nicht nur die verschiedenen Fugenarten (Einfache Fuge, Gegenfuge, Doppelfuge, Spiegelfuge, Kanon) sowie deren herkömmliche Verarbeitungsformen (Umkehrung, Krebs, Vergrößerung/Augmentation und Verkleinerung/Diminution), sondern zusätzlich weitere, allgemeinere musikalische Gestaltungsmittel. So liegen den einzelnen Fugen eine oder mehrere Kompositionsideen (Überbindung, Punktierung, Triolen, intensive Chromatik, Sprungfiguren mit bevorzugten Intervallen, schnelle 16-tel Bewegung, usw.) zugrunde. Auch das Fugenthema selber ist Veränderungen unterworfen (rhythmische Umgruppierungen, eingefügte bzw. weggelassene Noten), die über die oben genannten herkömmliche Verarbeitungsformen der Fuge hinausgehen. Damit erreicht Bach eine Ausdruckvielfalt, welche der Sicht des Werkes als reines Demonstrationsobjekt kontrapunktischer Kunst entschieden widerspricht.

Das Werk beginnt mit drei einfachen 4-stimmigen Fugen, bei denen das Fugenthema selbst relativ unverändert bleibt.

Contrapunctus I: Nachdem die Gegenstimme den Tonraum von d nach a in aufsteigenden Vierteln durchschritten hat, geht sie zur Achtelbewegung über, welche im Verlauf des Stückes, in verschiedenen Stimmen, ständig präsent ist(Bild:Loudspeaker.png Hörbeispiel CP 1). Hauptmerkmal dieser Fuge ist das Prinzip der Überbindung (schon in Takt 4 des Themas vorgegeben) und der darauf folgenden Abstoßung.

Überbindung in Contrapunctus I
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Überbindung in Contrapunctus I

Dabei wird der überbundene Ton der ersten Stimme von dem Ton der zweiten Stimme dazu bewegt sich zu einem neuen Ton fortzubewegen, der nun erneut überbunden werden kann. Durch den Einsatz von Vorhaltsdissonanzen, wie in Takt 6-7 (das gis macht das f zur Dissonanz, und zwingt es über die Sprungnote h zur Auflösung in das e), wird dies Verfahren noch intensiviert. Diese Technik garantiert damit ein beständiges Fließen der Stimmen. In Contrapunctus II wird das rhythmische Element gesteigert. Er ist durch einen durchgehenden punktierten Achtelfluss gekennzeichnet, der schon in Contrapunctus I (Takt 10-14, Takt 22-29, usw.) angedeutet wurde.(Bild:Loudspeaker.png Hörbeispiel CP 2)

Punktierung in Contrapunctus II
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Punktierung in Contrapunctus II

Zusätzlich ist das Thema hier in seinem letzten Takt leicht verändert (punktiert). Durch diese Mittel bekommt die Fuge einen sehr energischen Charakter. Mit Contrapunctus III, der mit der Umkehrung des Themas beginnt, wird der bisher dominierende diatonische Bereich verlassen, und zum ersten Mal intensiver Gebrauch vom Gestaltungsmittel der Chromatik gemacht; einem musikalischen Mittel welches zu Bachs Zeit mit den Bereichen des Leidens und des sündigen Menschen im christlichen Sinn assoziiert wurde. Die Chromatik beginnt mit dem letzten Ton des Themas, der die Tonfolge e-f-dis-d-cis-c-h-c-d-dis-e-f-g der Gegenstimme einleitet.(Bild:Loudspeaker.png Hörbeispiel CP 3)

Chromatik in Contrapunctus III (Takt 55-56)
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Chromatik in Contrapunctus III (Takt 55-56)

Die chromatisch geprägte Gegenstimme tritt in Folge bei jedem Themeneinsatz als Kontrasubjekt auf. Als Beispiel sei der von chromatischen Durchgängen geprägte Takt 55-56 genannt, bei der eine auf Contrapunctus V vorausweisende rhythmische Abwandlung des Themas im Alt von einem langen chromatischen Durchgang im Tenor begleitet wird.

Terzsprung in Contrapunctus IV (Takt 53-56)
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Terzsprung in Contrapunctus IV (Takt 53-56)

Contrapunctus IV mit Themeneinsatz in der Umkehrung hat dagegen einen betont gelösten, freudigen Charakter.(Bild:Loudspeaker.png Hörbeispiel CP 4) Dies wird durch den häufig erklingenden fallenden Terzsprung wie in Takt 54-56, die Hervorhebung von Dreiklängen (Takt 23-26) sowie eine auf die Musik der Klassik vorgreifende Periodik in Vor und Nachsatz erreicht.

Mit Contrapunctus V beginnt die Gruppe der 4-stimmigen Gegenfugen, welche dadurch gekennzeichnet ist, dass der Comes als Umkehrung des Dux auftritt. Zum ersten Mal wird das Thema einer Verwandlung unterworfen. Es wird rhythmisch verändert, indem drei Halbe-Noten des Originalthemas in punktierte Viertel verwandelt werden.(Bild:Loudspeaker.png Hörbeispiel CP 5)

Umkehrung des Comes in Contrapunctus V
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Umkehrung des Comes in Contrapunctus V

Vom Tonvorrat her wird es durch die Hinzufügung zweier Noten (3. und 5. Note) erweitert. Während sich Contrapunctus V in seiner Beschränkung auf zum Teil überbundene Achtelwerte eher an Contrapunctus I anlehnt, werden in Contrapunctus VI abwechselnd Achtel, punktierte Achtel, 16-tel und 32-tel eingesetzt. In Verbindung mit dem häufigen Einsatz von Verzierungen (Triller in Takt4, Mordente in Takt 20,31,49) gibt dies der Fuge den Charakter eines langsamen barocken Tanzsatzes.(Bild:Loudspeaker.png Hörbeispiel CP 6)Auffallend ist außerdem der „verfrühte“ Einsatz des Comes schon in Takt 2, bevor der Dux beendigt ist.

8-tel, 16-tel und 32-tel in Contrapunctus VI
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8-tel, 16-tel und 32-tel in Contrapunctus VI

Contrapunctus VII beschließt dann die Gruppe der Gegenfugen. Er ist durch den Einsatz der Vergrößerung (Augmentation) und Verkleinerung (Diminution) gekennzeichnet. So bringen der 1. und 3. Themeneinsatz das Thema in gegenüber Contrapunctus V halbierten Notenwerten. Der 4. Themeneinsatz streckt es dagegen auf das Doppelte (Notenbeispiel).

Contrapunctus VIII eröffnet eine Gruppe von vier Doppelfugen, bei denen zwei Themen sowie ein oder zwei Kontrasubjekte nacheinander oder gleichzeitig vorgestellt und verarbeitet werden.

Das erste spielerische Thema des dreistimmigen Contrapunctus VIII, der zwei Themen und ein Kontrasubjekt verarbeitet (Tripelfuge), ist durch zwei von chromatischen Gängen unterbrochene Quartsprünge gekennzeichnet.(Bild:Loudspeaker.png Hörbeispiel CP 8)

Themen aus Contrapunctus VIII (Takt 39 - 43)
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Themen aus Contrapunctus VIII (Takt 39 - 43)

Es ist das erste neue, vom Grundthema wesentlich abweichende Thema des Zyklus. Es steht vom Ausdruck her in starkem Gegensatz zum zweiten Thema, einer unruhigen, von Chromatik und Tonrepetitionen geprägten 16tel-Figur. Beide Themen begegnen dem Hörer in Contrapunctus XI erneut. Contrapunctus IX beginnt mit einem Oktavsprung, der in Contrapunctus XIII wieder aufgegriffen wird, dem ein auf und absteigender 16-tel Lauf folgt.(Bild:Loudspeaker.png Hörbeispiel CP 9)

Themen aus Contrapunctus IX (Takt 23 - 25)
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Themen aus Contrapunctus IX (Takt 23 - 25)

Auch wenn man es dem Thema nicht anmerkt, so weist es doch eine entfernte Verwandtschaft mit dem Grundthema des Werkes auf (im Notenbeispiel blau umrandet). Dieses erscheint als zweites Thema und stellt mit seinen langen Notenwerten einen starken Gegensatz zum ersten Thema dar.

Das erste Thema des 4-stimmigen Contrapunctus X nimmt das von Pausen durchsetzte 8-tel Thema von Contrapunctus X in Vierteln vorweg.(Bild:Loudspeaker.png Hörbeispiel CP 10) Es ist damit das erste Thema des Werkes, dass die Pause als Gestaltungsmittel verwendet. Das zweite punktierte Thema stammt aus Contrapunctus V.

Der die Gruppe der Doppelfugen abschließende 4-stimmige Contrapunctus XI ist eine der komplexesten Fugen Bachs. Sie verarbeitet zwei Themen und zwei Kontrasubjekte (Quadrupelfuge), und besticht durch ihre Ausdruckskraft. Sein erstes Thema aus Achtelwerten mit Pause am Taktbeginn entspricht dem Modell der Suspiratio (Seufzer) aus der barocken Figurenlehre.(Bild:Loudspeaker.png Hörbeispiel CP 11)

Suspiratio-Thema aus Contrapunctus XI
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Suspiratio-Thema aus Contrapunctus XI

Von zwei Noten abgesehen (im Beispiel blau), enthält es die Noten des Grundthemas. Das zweite Thema ab Takt 27 ist die Umkehrung des Themas aus Contrapunctus VIII. Zu ihm gesellt sich ein chromatisch ansteigender Gegensatz. Ein zweiter Gegensatz, der mit umgekehrter Bewegungsrichtung schon in Contrapunctus VIII erschien begleitet ihn (ab Takt 90). Gegen Ende der Fuge (Takt 158 - 167) wird sogar schon die Spiegelungsform der mit dem folgenden Contrapunctus beginnenden beiden Spiegelfugen angedeutet. Mit Contrapunctus XII erscheint die erste von zwei Spiegelfugen. Unter einer Spiegelfuge wird hierbei verstanden, dass das Thema gleichzeitig mit seiner Umkehrung erklingt.

Thema der Spiegelfuge (Contrapunctus XII)
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Thema der Spiegelfuge (Contrapunctus XII)

Die Invarianz dieses Gebildes gegenüber seiner Umkehrung wird auch mit dem Verhältnis von Gott zu Mensch und dem Begriff der Gnade verbunden. Das Thema besteht exakt aus den Tönen der Grundgestalt. Nur ist es in eine dreiteilige Metrik umgestaltet, welche häufig mit dem Begriff der Trinität verbunden wird.

Die 3-stimmige Spiegelfuge Contrapunctus XIII gibt sich ausgesprochen tänzerisch und freudig. Nach einem Oktavsprung, der schon in Contrapunctus IX auftaucht, geht das Thema für drei Takte in eine 16-tel Triolenbewegung über. Im weiteren Verlauf wechselt diese Triolenbewegung immer wieder mit punktierten 16teln ab.

[Bearbeiten] Unabgeschlossenheit

Letzte Seite des Autographen mit der unvollendeten Fuge und der Anmerkung Carl Philipp Emanuel Bachs
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Letzte Seite des Autographen mit der unvollendeten Fuge und der Anmerkung Carl Philipp Emanuel Bachs

Die letzte Fuge konnte von Bach nicht mehr vollendet werden. Dort, wo die Tonfolge B-A-C-H auftritt, bricht das Manuskript eigentümlicher Weise ab. In der Handschrift von Bachs Sohn Carl Philipp Emanuel Bach findet sich hier die Anmerkung: „Über dieser Fuge, wo der Name BACH im Contrasubject angebracht worden, ist der Verfasser gestorben.“ Das kann jedoch getrost als Teil der vielfältigen Mythenbildungen über den Komponisten angesehen werden.

Johann Nikolaus Forkel notiert dazu: „Die vorletzte Fuge [gemeint ist die Nummer 20] hat 3 Themata; im dritten gibt sich der Componist namentlich durch b a c h zu erkennen. Diese Fuge wurde aber durch die Augenkrankheit des Verfassers unterbrochen, und konnte, da seine Operation unglücklich ausfiel, nicht vollendet werden. Sonst soll er Willens gewesen seyn, in der allerletzten Fuge 4 Themata zu nehmen, sie in allen 4 Stimmen umzukehren und sein großes Werk damit zu beschließen. Alle die in diesem Werke vorkommenden verschiedenen Gattungen von Fugen über einerley Hauptsatz, haben übrigens das gemeinschaftliche Verdienst, daß alle Stimmen darin gehörig singen, und keine weniger als die andere.

Zum Ersatz des Fehlenden an der letztern Fuge ist dem Werke am Schluß der 4stimmig ausgearbeitete Choral: Wenn wir in höchsten Nöthen sind etc. beygefügt worden. Bach hat ihn in seiner Blindheit, wenige Tage vor seinem Ende seinem Schwiegersohn Altnikol [recte: einem seiner Freunde] in die Feder dictirt.“

Daher kommt es, dass dieser Choral (mit dem Text: Vor deinen Thron tret' ich hiermit) als Finalstück gespielt wird und so den riesigen Torso abschließt.

Unter Anderen unternahm Helmut Walcha den Versuch einer Vollendung der Schlussfuge, in der alle vier Themen zusammengeführt wurden.

[Bearbeiten] Die Permutationsmatrix

Im Jahre 1991 wurde von Zoltán Göncz eine überraschende Entdeckung veröffentlicht, die die Frage mit großer Gewissheit beantwortet, wie Bach die Erscheinung des vierten Themas, des Hauptthemas des Zyklus' geplant hatte:

Im Laufe der Exposition der ersten drei Fugenthemen (erstes Thema: T. 1–21, zweites Thema: T. 114–141, drittes Thema: T. 193–207) verwendete Bach eine bereits im Voraus entschiedene Reihenfolge der Stimmeneintritte, mit der er die Raum- und Zeitparameter der Themenphasen bestimmte. Die Überlagerung der drei Expositionsmatrizen projiziert und entwickelt als Negativ die Reihenfolge der Stimmeneintritte des viertes Themas (des Hauptthemas des Zyklus). Das Übereinanderkopieren dieser vier Themen ergibt eine charakteristische Struktur (die Permutationsmatrix). Ähnliche Strukturen finden wir in Bachs Vokalfugen, in den sogenannten Permutationsfugen.

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Es folgt aus der Logik der Quadrupelfugenkomposition – auch wenn es paradox erscheint –, dass die beim Vortrag des Werkes am spätesten ertönenden, alle vier Themen umfassenden Kombinationen bereits in der allerersten Kompositionsphase fertig vorlagen, da die Möglichkeit der Engführung aller vier Themen (1+2+3+4) das sine qua non der Komposition einer Quadrupelfuge ist.

Eines der auffallendsten Merkmale des Contrapunctus XIV ist, dass Bach in diesem Satz die Engführung ganzer Expositionen verwendete. Er „programmierte“ in die Exposition der ersten drei Themen die späteren Permutationsengführungen ein, dann wandte er diese Expositionen als „Programme“, „Algorithmen“ an.

Die Permutationsmatrix stammt nicht nur authentisch von Bach, sondern war darüber hinaus nachgewiesenermaßen schon bei der Entstehung der Komposition (also früher als der erhalten gebliebene Teil) fertiggestellt.

Die Entdeckung der Permutationsmatrix war die wichtigste Voraussetzung dafür, dass eine dem Originalkonzept des Komponisten in größtmöglichem Maße nahe kommende Rekonstruktion verwirklicht werden könne. (Göncz, Z.: Reconstruction of the Final Contrapunctus of The Art of Fugue, in: International Journal of Musicology Bd. 5, S. 25–93. 1997 ISBN 3-631-49809-8; Bd. 6, S. 103–119. 1998 ISBN 3-631-33413-3) (Die Note wurde vom Carus-Verlag veröffentlicht [CV 18.018] 2006)

[Bearbeiten] Rezeptionsgeschichte

Die Kunst der Fuge wurde zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, als die streng kontrapunktischen Kompositionsformen mit Aufkommen der „empfindsamen Musik“ der Frühklassik allmählich als unmoderner „alter Zopf“ empfunden wurden. Man bewunderte diese Form der Komposition zwar noch, und empfahl sie dem angehenden Komponisten wärmstens zum Studium. Einen darüber hinausgehenden musikalischen Wert begann man aber immer mehr in Zweifel zu ziehen. Dies musste natürlich die Kunst der Fuge stärker treffen als andere, mehr „sinnenfreudige“ Werke Bachs wie die Brandenburgischen Konzerte oder die Violinkonzerte. So schrieb sogar im Vorwort des Erstdrucks des Werkes der Musiktheoretiker Friedrich Wilhelm Marpurg, dass das Werk zwar aufs trefflichste die Regeln der Fuge vermittle, und es jedem angehenden Komponisten geraten sei, sich mit Fugen und Kontrapunkten vertraut zu machen; andererseits aber die Fuge heutzutage eine „Geburt des aberwitzigen Altertums“ sei, die aus der Kammermusik ganz ihren Abschied genommen habe, und der Kontrapunkt „den zärtlichen Ohren unserer itzigen Zeit barbarisch klinget“. Vom Erstdruck wurden nach Angaben des Sohnes Carl Philipp Emanuel Bach in den ersten fünf Jahren nur dreißig Stück verkauft.

Dies änderte sich im 19. Jahrhundert im Zuge der Wiederentdeckung des bachschen Werkes langsam. In der von Mozart stammenden Bearbeitung bachscher Fugen für Streichtrio (KV 404a) befindet sich auch der Contrapunctus VIII. In den Jahren 1801 und 1802 wurden zwei Partiturausgaben, eine davon mit einer Klavierumschrift aus zwei Systemen, in Paris und Zürich veröffentlicht. Die Orchesterschule der Singakademie zu Berlin studierte 1813 und 1815 das Werk ein, ohne das es jedoch zu einer öffentlichen Aufführung kam. 1838 erschien das Werk beim Verlag Peters in einer auf zwei Systemen notierten Ausgabe von Carl Czerny, der Fingersatz sowie Vortrags und Tempobezeichnungen nach eigenen Vorstellungen hinzufügte. Bis 1874 wurden davon 20000 Exemplare verkauft. 1868 entstand eine Ausgabe für Orgel, und 1875 eine Partiturausgabe in Originalschlüsseln. Komponisten wie Beethoven, Schumann, Bruckner und Brahms besaßen Druckversionen oder Handschriften. Außerdem entstanden nun auch theoretische Arbeiten zum Werk, wie die von Moritz Hauptmann (1841) James Higgs (1877) oder Hugo Riemann (1894).

Die Themen der Quadrupelfuge werden von Busoni in der Fantasia contrappuntistica frei verarbeitet.

[Bearbeiten] Diskografie

Die ersten Aufnahmen des Werkes entstanden ab 1935 durch das Roth Quartett, das Collegium Musicum, den Organisten Fritz Heitmann sowie Richard und Wesley Buhlig am Klavier. Wichtige Orchestereinspielungen der folgenden drei Jahrzehnte stammen von Hermann Scherchen (1949, 1965), Ars Rediviva unter Milan Munclinger (1965, 1979), Kurt Redel (1958), Karl Münchinger (1965), Karl Ristenpart (1966), Helmut Winschermann (1974), George Malcolm (1965) sowie der Academy of St. Martin in the Fields unter Neville Marriner (1974). Unter den unzähligen Aufnahmen neuerer Zeit seien die von Hans Zender (1985), Reinhard Goebel und der Musica Antiqua Köln (1984), Erich Bergel (1991), Max Pommer und dem Collegium Musicum Leipzig (1983) sowie die dynamisch expressive Einspielung von Rinaldo Alessandrini (1988) hervorgehoben. Die Besetzungsstärke ist dabei nicht einheitlich, und es werden zum Teil auch Cembalo und Klavier hinzugezogen.

In wechselnder Besetzung existieren auch kammermusikalische Einspielungen. Die Bandbreite reicht dabei vom reinen Streichquartett, über diverse Streicherbesetzungen mit und ohne Cembali, Streichern und Holzbläsern, bis zu exotisch anmutenden Kombination (Oboe, Akkordeon und Fagott). Eine frühe Aufnahme (1962) stammt vom Collegium Aureum (4 Streicher und 2 Cembali). In der Folgezeit wurde das Werk von Ensembles wie dem Borciani String Quartett (1985), dem Juilliard String Quartet oder dem Emerson String Quartet eingespielt.

An Aufnahmen an der Orgel seien die von Helmut Walcha (1956), Glenn Gould (1962), Herbert Tachezi (1977) und Marie-Claire Alain (1974) genannt. Frühe Cembalo-Aufnahmen stammen von Gustav Leonhardt (1953) und Gunnar Johansen (1952). Weitere Einspielungen existieren Davitt Moroney (1985), Kenneth Gilbert (1989) und dem Holländer Ton Koopman (1993). Erste Einspielungen am Klavier stammen von Josef und Grete Dichler (1954), Charles Rosen (1967) und Glenn Gould (1967). Später haben etliche Pianisten wie Grigori Sokolow (1982), Jewgeni Koroljow (1990), Joanna MacGregor (1995) und Edward Aldwell (1996) das Werk aufgenommen.

Zusätzlich existieren Aufnahmen für Saxophonquartett (Los Angeles Saxophone Quartet 1974, Berliner Saxophon Quartet 1990), Blechbläser (Canadian Brass 1987), Synthesizer (Yuji Takahashi 1975, Alexander Blechinger 1990) sowie klassische Gitarre (Jozsef Eötvös 2002).

Seit 2006 ist auch eine Aufnahme mit einem Hammerflügel (Fortepiano vom Mozart-Typ) verfügbar, Pianist ist Walter Riemer.

[Bearbeiten] Literatur

  • Bach, Johann Sebastian: Die Kunst der Fuge. BWV 1080. Bd. 1: Frühere Fassung der autographen Partitur. Hrsg. v. Christoph Wolf. Erstausgabe. Frankfurt, Leipzig, New York, London: Peters 1987. (Klavierwerke. [19 a.])
  • Dentler, Hans-Eberhard: Johann Sebastian Bachs „Kunst der Fuge“. Mainz 2004, ISBN 3-7957-0490-1
  • Eggebrecht, Hans Heinrich: Bachs Kunst der Fuge – Erscheinung und Deutung. München 1984, ISBN 3-492-00667-1
  • Forkel, Johann Nikolaus: Über Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Nachdruck der Ausgabe Leipzig, Hoffmeister und Kühnel, 1802. Hrsg. und eingeleitet von Claudia Maria Knispel. Berlin: Henschel 2000, ISBN 3-89487-352-3
  • Hofstadter, Douglas R.: Gödel, Escher, Bach. Ein endloses geflochtenes Band. Stuttgart: Klett-Cotta 1985, ISBN 3-608-93037-X
  • Jena, Günter: Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen. Eschbach/Markgräferland: Verlag am Eschenbach, 2000, ISBN 3-88671-211-7
  • Kolneder, Walter: Die Kunst der Fuge – Mythen des 20. Jahrhunderts. Wilhelmshaven 1977, ISBN 3-7959-0178-2
  • Schleuning, Peter: Johann Sebastian Bachs „Kunst der Fuge“. Ideologien - Entstehung - Analyse. München u.a.: dtv/Bärenreiter 1993 ISBN 3-423-04585-X/3-7618-1050-4
  • Schlötterer-Traimer, Roswitha: Johann Sebastian Bach. Die Kunst der Fuge. München: Fink 1966. (Meisterwerke der Musik. 4.)
  • Schwebsch, Erich: Johann Sebastian Bach und die Kunst der Fuge. Stuttgart 1931 ISBN 3-7725-0555-4
  • Stange-Elbe, Joachim: Analyse- und Interpretationsperspektiven zu Johann Sebastian Bachs 'Kunst der Fuge' mit Werkzeugen der objektorientierten Informationstechnologie. (Univ. Osnabrück, Habil.-Schr., 2000.)

[Bearbeiten] Weblinks

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