Wirtschaftsliberalismus
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Unter Wirtschaftsliberalismus versteht man die Anwendung liberaler Prinzipien auf den Bereich der Wirtschaft.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Philosophische Grundlagen
[Bearbeiten] Freiheit des Individuums
Das allgemeinene liberale Prinzip lautet: Jeder hat die Freiheit, alles zu tun, was er will, sofern er nicht die Freiheit eines anderen verletzt. John Stuart Mill formulierte es so: "dass der einzige Grund, aus dem die Menschheit, einzeln oder vereint, sich in die Handlungsfreiheit eines ihrer Mitglieder einzumischen befugt ist: sich selbst zu schützen. Dass der einzige Zweck, um dessentwillen man Zwang gegen den Willen eines Mitglieds einer zivilisierten Gesellschaft rechtmäßig ausüben darf: die Schädigung anderer zu verhüten."
Daraus ergeben sich auf den Bereich der wirtschaftlichen Handlungen bezogen die Forderungen nach
- Vertragsfreiheit
- Gewerbefreiheit
- Konsumentenfreiheit
- Freie Wahl des Berufs
- Freihandel
[Bearbeiten] Privateigentum
Liberale betonen das Recht auf privates Eigentum, da nur dieses die Freiheit des Einzelnen gewährleisten könne. Naturrechtliche Begründungen dieser Art finden sich in Ansätzen bei Hugo Grotius und Samuel Pufendorf und werden von John Locke ausformuliert: Der Einzelne besitze Eigentum an seinem Körper und folglich auch an der Arbeit seines Körpers. Er sei auch berechtigt, Dinge aus dem Naturzustand zu reißen, wenn er diese bearbeitet hat (beispielsweise den Boden, den jemand das erste mal bearbeitet). Ist das Objekt aus dem Naturzustand gerissen, könne es dann nur noch durch Schenkung oder Tausch den Eigentümer wechseln. Zwang sei hiermit ausgeschlossen. In der Tradition dieser Begründung argumentieren beispielsweise die US-amerikanischen Gründerväter, Robert Nozick oder Ayn Rand. Weiter wird die Idee des klassischen Liberalismus - explizit ohne naturrechtliche Komponente - von Jeremy Bentham und John Stuart Mill vertreten.
[Bearbeiten] Theoretische Grundlagen
[Bearbeiten] Freie Marktwirtschaft
Nach liberaler Überzeugung sorgt der Markt, also die Steuerung von Art, Preis und Menge der Sach- und Dienstleistungen über Angebot und Nachfrage, für die effizienteste Allokation der Ressourcen. Adam Smith begründete dies in seinem Werk Der Wohlstand der Nationen mit der Selbstorganisation des Marktes: das Zusammenwirken der Marktteilnehmer wirke wie "von einer unsichtbaren Hand geleitet", so dass jeder Einzelne, der nur seine egoistischen Ziele verfolge, ohne es zu beabsichtigen zum Gemeinwohl beitrage.
Ein freier Wettbewerb stelle dabei das optimale Steuerungsinstrument der Wirtschaft dar. Staatliche Eingriffe wie Subventionen oder Schutzzölle werden als Wettbewerbshemmnisse angesehen.
Das nach Jean Baptiste Say benannte Saysche Theorem geht davon aus, dass sich ohne staatlichen Eingriff stets ein Marktgleichgewicht einstellt.
[Bearbeiten] Freihandel
Der klassische Ökonom David Ricardo versuchte mit seiner Theorie der Komparative Kostenvorteile die Vorteile des Freihandels aufzuzeigen. Der freie Handel trage zur Förderung von weltweitem Wohlstand bei.
Heutige Liberale befürworten die Globalisierung im Sinne des Abbaus von tarifären (Schutzzölle) und nicht-tarifären Handelshemmnissen. Die Subventionierung bestimmter Wirtschaftszweige durch den Staat hingegen führen nach liberaler Vorstellung zu Ungleichverteilung und Armut auf der Welt. So haben es zum Beispiel Entwicklungsländer schwer, gegenüber der hochsubventionierten europäischen Agrarwirtschaft konkurrenzfähig zu bleiben. Liberale werfen den Industriestaaten vor, nur von den Entwicklungsländern Handelsfreiheit zu fordern, diese jedoch nicht im eigenen Land einführen zu wollen. Anhänger des Liberalismus fordern, sämtliche Handelsschranken zu anderen Ländern abzubauen und die Bevorzugung der heimischen Produkte durch Subventionen zu unterbinden. Damit, so behaupten sie, könnten Entwicklungsländer faire Chancen auf dem Weltmarkt erhalten.
[Bearbeiten] Privatwirtschaft
Nach liberaler Auffassung ist es nicht Aufgabe des Staates, unternehmerisch tätig zu werden. Der Vorrang von Privateigentum und privatwirtschaftlichen Regelungsformen gegenüber staatlichem Einfluss wird mitunter aus einer bestimmten Sichtweise auf die ökonomische Theorie der Verfügungsrechte abgeleitet. Demnach steige der volkswirtschaftliche Wohlstand, je mehr Eigentum sich in privater Hand befindet. Bei sozialistischen Regelungsformen komme es hingegen zwangsläufig zur sogenannten Tragik der Allmende.
[Bearbeiten] Wirtschaftsliberale Prinzipien
- Normativer Individualismus: Quelle für wirtschaftspolitische Entscheidungen ist die individuelle Präferenz der Wirtschaftssubjekte. Aufgrund von Aggregationsproblemen individueller Präferenzen wird daher eine Kritik staatlicher Wirtschaftsprogramme geübt, wenn dieses aus allgemeinen Prinzipien abgeleitet wird (Ablehnung von Agendapolitik). Diese Prinzip ähnelt dem Prinzip der Volkssouveränität in der liberalen politischen Theorie.
- Stabilitätspolitik: monetaristische Geldmengenpolitik soll stabile Preise durch eine stabile Währung (makroökonomische Stabilität) und durch einen ausgeglichenen Staatshaushalt garantieren. Aus einer restriktiven Geld-, Zins- und Haushaltspolitik folge eine Straffung der Verwaltung, die Schaffung teilautonomer Einheiten und eine Auslagerung bestimmter öffentlicher Aufgaben im Sinne eines schlanken Managements. Sie geht von der Stabilität des privaten Sektors aus, Instabilität sei vor allem der staatlichen Geld-, Kredit- und Fiskalpolitik zuzuschreiben.
- Wettbewerb: Auch bei der Entstehung von Monopolen setzen Liberale auf den freien Markt und geht davon aus, dass auf lange Sicht die Selbstregulierungsmechanismen des Marktes zu einem Marktgleichgewicht führen.
- Deregulierung: Liberale fordern eine Deregulierung und Liberalisierung der Wirtschaft im Sinne einer Reduzierung der Gesetze und Verordnungen, soweit sie als übertrieben bürokratisch und nicht wirklich notwendig angesehen werden, weil dadurch einzelwirtschaftliche Handlungen verhindert würden.
- Steuerpolitik: Gefordert werden in der Regel niedrige Steuersätze, etwa in Form eines Proportionaltarifs oder Stufentarifs, und ein einfaches Steuersystem anstelle eines Systems vielfältiger Einzelbestimmungen. Indirekte Steuern werden gegenüber direkten Steuern vorgezogen. Steuern auf die Substanz und Vermögen werden als Doppelbesteuerung ebenso abgelehnt wie Bagatellsteuern, bei denen die Einnahmen oft kaum höher sind als der Aufwand zu ihrer Erhebung. Insgesamt wird die Senkung von Unternehmenssteuern befürwortet, zumal damit oft sogar eine Erhöhung der staatlichen Steuereinnahmen einher ginge.
- Sozialversicherung: Im Bereich der Sozialsysteme befürworten Liberale privatwirtschaftlich organisierte Lösungen anstelle der als bürokratisch angesehenen staatlichen Systeme. Damit soll eine effizientere Verwaltung der Mittel des Bürgers erreicht werden. Das Umlageverfahren wird kritisiert, da es auf keiner soliden Basis stehe. Statt dessen wird private Vorsorge im Rahmen des Kapitaldeckungsverfahrens befürwortet.
- Sozialhilfe: Milton Friedman hat eine negative Einkommensteuer vorgeschlagen. Danach würde das Finanzamt jedem Steuerpflichtigen, dessen Einkommen unter einem festzulegenden Minimum liegt, die Differenz ohne weitere Prüfungen überweisen. Im Konzept des Bürgergeldes werden alle steuerfinanzierten sozialen Hilfen des Staates zusammengefasst. Damit soll garantiert werden, dass jeder Bürger über ein Existenzminimum verfügt, ohne beim Staat als Bittsteller auftreten zu müssen.
- Vermachtung: Der Liberalismus kritisiert Machtkonzentration in Wirtschaft (Kartellbildung) und Staat und wendet sich gegen gruppenegoistische (→ Politische Rente) Machtentfaltung von Lobbyisten (z.B. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände).
- Tarifrecht: Das Tarifrecht soll zu Gunsten betrieblicher Vereinbarungen mit Öffnungsklauseln gelockert werden. Flächentarifverträge werden nach liberaler Auffassung der individuellen Situation der Unternehmen nicht gerecht.
- Arbeitsrecht: Das Arbeitsrecht soll entbürokratisiert werden. Im Zentrum der Kritik der Liberalen stehen dabei besonders der Kündigungsschutz, da er nach neoliberaler Auffassung die Unternehmen von der Schaffung von Arbeitsplätzen abhalte, sowie das Arbeitszeitgesetz und die betriebliche Mitbestimmung. Auch wird gefordert, dass das allgemeine Lohnniveau und die Höhe von Ausbildungsvergütungen die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen garantieren sollen.
- Konjunkturpolitik: Es wird gefordert, dass auch in rezessiven Phasen der Wirtschaft keine antizyklischen geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen seitens der Politik stattfinden sollen. Konjunkturprogramme seien Strohfeuer, die langfristig mehr schaden als nutzen würden. Subventionen verzerren nach liberaler Auffassung den Wettbewerb, verhindern Innovation und Strukturwandel und sollen deshalb abgebaut werden.
[Bearbeiten] Richtungen
Wichtige Strömungen und Schulen des wirtschaftlichen Liberalismus:
- Klassischer Liberalismus
- Manchesterliberalismus
- Neoliberalismus
- Ordoliberalismus
- Österreichische Schule mit Ludwig von Mises, Friedrich Hayek
- Chicagoer Schule mit Milton Friedman
[Bearbeiten] Literatur
- Adam Smith: Der Wohlstand der Nationen
- Milton Friedman: Kapitalismus und Freiheit, Eichborn, Frankfurt/M. 2002, ISBN 3-8218-3960-0
- Friedrich Hayek: Die Verfassung der Freiheit, Mohr, Tübingen, 1991, ISBN 3-16-145844-3
- Friedrich Hayek: Der Weg zur Knechtschaft, Olzog, München 2003, ISBN 3-7892-8118-2
- Christoph Keese: Rettet den Kapitalismus, Hoffmann & Campe, Hamburg 2004, ISBN 3-455-09423-6
- Margarita Mathiopoulos: Die geschlossene Gesellschaft und ihre Freunde, Hoffmann & Campe, Hamburg 1997, ISBN 3-455-11071-1
- Ludwig von Mises: Die Bürokratie, ISBN 3-8966-5316-4
- Claus Noppeney: Zwischen Chicago-Schule und Ordoliberalismus, Haupt, Bern 1998, ISBN 3-258-05836-9
- Johan Norberg: Das Kapitalistische Manifest, Eichborn, Frankfurt/M. 2003, ISBN 3-8218-3994-5
- Ulrich van Suntum: Die unsichtbare Hand, Springer, Berlin 2003, ISBN 3-540-41003-1