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Verfremdungseffekt

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Der Verfremdungseffekt (V-Effekt) ist ein literarisches Stilmittel und Hauptbestandteil des Epischen Theaters nach Bertolt Brecht. Eine Handlung wird durch Kommentare oder Lieder so unterbrochen, dass beim Zuschauer jegliche Illusionen zerstört werden. So kann er der Theorie zufolge eine kritische Distanz zum Dargestellten einnehmen.

Der Verfremdungseffekt besteht im Kern darin, dem Betrachter vertraute Dinge in einem neuen Licht erscheinen zu lassen und so die Widersprüche der Realität sichtbar zu machen.

[Bearbeiten] Ziele und Mittel

  • Die Handlung wird z.B. durch Kommentare unterbrochen. Figuren treten aus der Rolle und wenden sich an das Publikum, um über das Geschehene zu diskutieren.
  • Es werden alternative Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt, die den Protagonisten unter anderen Umständen offen gestanden hätten. Damit "ist gewonnen, daß der Zuschauer die Menschen auf der Bühne nicht mehr als ganz unveränderbare, unbeeinflußbare, ihrem Schicksal hilflos ausgelieferte dargestellt sieht. Er sieht: dieser Mensch ist so und so, weil die Verhältnisse so und so sind. Und die Verhältnisse sind so und so, weil der Mensch so und so ist. Er ist aber nicht nur so vorstellbar, wie er ist, sondern auch anders, so wie er sein könnte, und auch die Verhältnisse sind anders vorstellbar, als sie sind." (Bertolt Brecht)
  • Stilisierte Sprache: Es wird zum Teil in Versen gesprochen. Manchmal werden den einzelnen Szenen auch Spruchbänder vorangestellt (z.B. in Das Leben des Galilei), in denen die Handlung vorweggenommen wird. Ziel dessen ist es, die Aufmerksamkeit des Zuschauers nicht auf den Verlauf des Stückes sondern auf die Art und Weise, mit der die Handlung vorangetrieben wird, zu lenken.
  • Die Bühnengestaltung ist oft sparsam, es werden wenige Requisiten eingesetzt. Häufig werden anstelle von zeitgemäßen Kostümen Straßenkleider verwendet.
  • Die Schauspieler selbst müssen eine gewisse Distanz zu ihrer Rolle wahren, damit der Zuschauer die Protagonisten nicht als Identifikationsfiguren wahrnehmen kann. Damit wird eine einseitige Beeinflussung des Zuschauers vermieden, der Weg bzw. die Beweggründe des Protagonisten können vom Zuschauer kritisch betrachtet werden.
  • Die Figuren haben oft gleichnishaften Charakter, sind "Niemand"- oder "Jedermann"-Gestalten, die beliebig austauschbar sind und exemplarischen Verhaltensweisen folgen. Es werden kaum Emotionen erregt, das epische Theater untersucht sie lediglich von außen.
  • Der Zuschauer wird mit den zeitgenössischen, gesellschaftspolitischen Problemen konfrontiert, die meistens die Ursache für das Handeln der einzelnen Figuren sind. Dadurch soll der Zuschauer "aktiviert" werden, d.h. zum Eingreifen in Politik und Gesellschaft aufgefordert werden.
  • Die Erzählweise verläuft in "Kurven", ist also nicht linear oder chronologisch.
  • Andere Mittel sind außerdem die Einbeziehung eines Chors als Kommentator (siehe aristotelisches Drama), die Verwendung von Schildern, Songs (bzw. Liedern) sowie neuen Medien (Projektionen, Diashows, kurze Filmsequenzen, etc.). Auch das Verwenden von Dialekten kann als V-Effekt verstanden werden.

[Bearbeiten] Brechts Idee als Gegenpart zum aristotelischen Dramenbegriff

Im Gegensatz zum aristotelischen Theater wird beim Epischen Theater auf den Verfremdungseffekt gebaut. Die klassische Form des Theaters erwartet die Einfühlung des Zuschauers in die dargestellten Figuren, die Verfremdung soll zur Auseinandersetzung des Zuschauers mit den Figuren führen. Es wird eine Distanz zwischen dem Zuschauer und den Darstellern geschaffen. Die Aufmerksamkeit des Betrachters soll auf die Sinngebung des Spiels gelenkt werden, zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Stück (Interpretation statt Identifikation). Bühnenbild und Ausstattung dienen ebenfalls diesem Ziel.

"Einen Vorgang oder einen Charakter verfremden heißt zunächst einfach, dem Vorgang oder dem Charakter das Selbstverständliche, Einleuchtende zu nehmen und über ihn Staunen und Neugier zu erzeugen [...] Verfremden heißt also Historisieren, heißt Vorgänge und Personen als vergänglich darzustellen" (Bertolt Brecht, Gesammelte Werke in 20 Bänden. Frankfurt a. M. 1967, Band 15, S. 301)

Brecht erhoffte sich durch das Aufzeigen von alternativen Lösungen, politische und kulturelle Veränderung hervorrufen zu können.

Er verwendete in seinen Werken selten klassische Helden als Hauptfiguren, sondern meistens Figuren, die dem Zuschauer wenig sympathisch erscheinen (z.B. Shen Te, eine Prostituierte), mit denen man sich nicht näher identifizieren und daher auch nicht von vornherein mit ihnen mitfiebern kann. Dies erzeugt beim Zuschauer eine zusätzliche Distanz und soll seine Objektivität wahren.

Das Gewohnte soll im Verfremdeten erkannt werden, dazu ist eine aktive, aber distanzierte (rationale) Mitwirkung des Zuschauers erforderlich. Er soll seine eigene Situation herausfiltern und sich als betroffen erkennen, um Schlussfolgerungen für sein eigenes Leben zu ziehen bzw. in die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit einzugreifen.

Als Leittext gilt der Essay Das epische Theater von Bertolt Brecht. Darin vertritt Brecht die These, dass das klassische Schema des Dramas wie z.B. von Sophokles überholt sei, da die Art des Zuschauens nicht zum Nachdenken, sondern lediglich zum Mitfühlen und Miterleben anrege. Die eigentliche Aufgabe des Theaters sieht er jedoch in der Belehrung des Zuschauers, der Aufforderung zum Mitdenken und infolgedessen auch zum aktiven Handeln.

In Brechts Werken werden hauptsächlich der Mensch, seine Beweggründe zum Handeln und sein Denken untersucht, ausgehend von der These, dass das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimme (siehe Karl Marx). Aufgrund des hohen Erziehungs- und Belehrungsgehalts verliert der Unterhaltungsaspekt des Theaters hier weitgehend seine Bedeutung.

[Bearbeiten] Weblinks

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