Ungefähre Landschaft

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Ungefähre Landschaft ist ein Roman von Peter Stamm, 2001 erschienen.

[Bearbeiten] Handlung

Der überwiegende Schauplatz ist eine kleine Hafenstadt im äußersten Norden Norwegens während der Polarnacht, mehr Dorf als Stadt, die zentrale Figur die 28jährige Kathrine. Sie ist beamtet als Zöllnerin, zum zweiten Mal verheiratet und hat aus erster Ehe einen achtjährigen Sohn. Weiter südlich als nach Hammerfest, der nördlichsten Stadt Europas, ist Kathrine noch nie gekommen. Die erste Ehe kam wegen der Schwangerschaft zustande und scheiterte an der Trunksucht des Ehemannes. Mit der zweiten Ehe hat sie in eine gut situierte Familie eingeheiratet, aus Sicherheitsbedürfnis und ohne Liebe.

Kathrine hasst die Dunkelheit. Im Winter ist ihr, „als lebe sie nicht“. Abwechslung in ihr monotones Leben bringen die Gespräche mit einem russischen Kapitän, dessen Schiff sie als Zollbeamtin zu kontrollieren hat, wenn er gerade wieder angelegt hat und dem sie durch die Finger sieht. Bei einem ihrer Gespräche an Bord fragt er sie, warum sie nicht endlich weggehe von hier. Eine Antwort kann sie sich nicht geben. Als sie aber entdeckt, dass ihr zweiter Mann eine hohle und verlogene Existenz ist, zeitigt die Aufforderung des russischen Kapitäns Wirkung. Mit der Hurtigruten, einer Schiffverbindung entlang der norwegischen Küste, fährt sie weg, um Christian, eine zurückliegende Zufallsbekanntschaft zu besuchen. Während der Fahrt ist es wieder der Kapitän, dessen Gespräch sie sucht. Als das Schiff über Nacht den Polarkreis in Richtung Süden überquert hat, begrüßt er sie morgens auf der Brücke mit: „Willkommen in der Welt“.

In Boulogne trifft sie Christian, die zurückliegende Bekanntschaft. Das Zusammensein mit ihm enttäuscht, und sie kehrt an ihren Heimatort zurück. Als Zurückgekommene ist nicht mehr Dieselbe und erkennt: „Sie [die Menschen im Dorf] erzählten immer dieselben Geschichten, redeten ohne Unterbrechungen und waren doch schweigsam wie die Landschhaft.“

Sie nimmt Kontakt zu ihrer Jugendliebe auf, dem „dunkelhaarigen“ Morten. Widrige Zufälle hatten dazu geführt, dass aus ihnen kein festes Paar geworden war. Spannungen mit der Familie ihres zweiten Ehemannes, vor allem die laszive Begehrlichkeit ihres Schwiegervaters, lassen sie erkennen, dass sie weggehen muss. Die Erkenntnis kommt ihr während einer Familienfeier im Hause der Schwiegereltern. Es ist der Geburtstag ihres Sohnes, der dort begangen wird. Ihrer Eingebung ist sie so sicher, dass sie den Beschluss leise ihrem achtjährigen Sohn mitteilt, ihn bei der Hand nimmt und ohne viel Aufheben geht. Mit dem Verlassen der Familienfeier hat sie sich frei gemacht von Ehemann und Dunkelheit.

Mit Morten, ihrem Sohn aus erster Ehe und einem gemeinsamen Kind mit Morten lebt sie fortan in einer helleren Welt, auch wenn der Erzähler den Roman in beiläufigen und melancholischen Wendungen ausklingen lässt.

[Bearbeiten] Kommentar

Leitmotive sind Finsternis und Zwielicht, sowohl als szenischer Hintergrund als auch im metaphorischen Sinne. Die kleine Hafenstadt am Ende der Welt wird von hoffnungslosen Untoten bewohnt. Zu den wenigen Lichtgestalten des Ortes zählen Kathrine und Morten.

Mythologisch erinnern Dunkelheit und Abgeschiedenheit an den Hades. Die beiden Kapitäne führen Kathrine in die Welt. Ihre aufklärende, Einsichten vermittelnde Rolle lässt sie eine Hermes-Funktion übernehmen. Das Verlassen des Hades, die Nekyia, ist sowohl ein Mythos als auch ein wiederkehrendes literarisches Motiv. ´Durch Nacht zum Licht´ könnte Kathrines Geschichte überschrieben sein.

Heraus aus ihrer Lethargie und zu sich selbst findet Kathrine während des kurzen Zwischenaufenthaltes in der Polarnacht, nachdem sie von ihrer ersten größeren Reise zurückgekommen ist. Das Zu-sich-selbst-finden nach Verlassen der gewohnten Umwelt ist charakteristisch für die Gattung des Entwicklungsromans. So gesehen wäre „Ungefähre Landschaft“ ein zeitgenössischer Entwicklungsroman, in dem der Held nicht ein junger Mann ist, sondern eine junge Frau.

Nach zwei gescheiterten Ehen findet Kathrine zu ihrer Jugendliebe, dem schwarzhaarigen Morten. Ihrem literarischen Gegenentwurf, Tony Buddenbrook, ebenfalls zweimal geschieden, war das versagt. Sie konnte ihren Morten Schwarzkopf nur als Erinnerung behalten.

[Bearbeiten] Rezensionen

• Reto Sorg: Lob des Fortkommmens. Peter Stamms Roman „Ungefähre Landschaft“. NZZ 23.August 2001
• Bettina Kugler: Geograf des Ungefähren. Peter Stamm und sein neuer Roman „Ungefähre Landschaft“ - eine Begegenung. St.Galler Tageblatt 29.August 2001
• Friedmar Apel: Schlangenlinie am Himmel. Peter Stamm liest die nordische Landschaft. FAZ 15.September 2001