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Palimpsest

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Ein Palimpsest (maskulinum o. neutrum, griechisch: palimpsestos wieder abgeschabt) ist eine antike oder mittelalterliche Manuskriptseite oder -rolle, welche beschrieben, durch Schaben oder Waschen gereinigt und danach neu beschrieben wurde (lat. codex rescriptus). Es ist der Vorgang des Wiederbeschreibens den man - entgegen der etymologischen Bedeutung - als Palimpsestieren bezeichnet.

Codex Ephraemi Rescriptus aus der Bibliothèque nationale de France
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Codex Ephraemi Rescriptus aus der Bibliothèque nationale de France

Die meisten Palimpseste bestehen aus Pergament oder Papyrus. Die Spuren des Originaltextes sind oft erhalten und können heutzutage häufig mittels Fluoreszenzfotografie (früher durch Galläpfel-, Giobertitinktur) sichtbar gemacht werden, so dass das Lesen des alten Textes wieder möglich wird. Viele antike und mittelalterliche Texte sind nur als eine solche Schrift unter der Schrift überliefert und daher oft lückenhaft.

Eines der wichtigsten Palimpseste ist der Codex Ephraemi Rescriptus, von dem nur etwa 203 Seiten der ursprünglichen 238 überdauert haben. Den Originaltext einer Bibel, die im fünften Jahrhundert in Ägypten hergestellt wurde, schabte man im zwölften Jahrhundert ab und überschrieb ihn in griechischen Buchstaben mit Predigten von Ephräm dem Syrer. Heute wird der Codex Ephraemi Rescriptus in der Pariser Nationalbibiliothek aufbewahrt.

Ein weiteres Beispiel ist ein kürzlich wiederentdecktes Buch von Archimedes, in dem er möglicherweise die Grundzüge der modernen Integralrechnung beschreibt. Von Konstantin von Tischendorf entdeckt (1846), der es damals nicht verstand, aber dessen Wichtigkeit erkannte, wurde es 1907 teilweise vom dänischen Philologen Johan Heiburg übersetzt. Wegen des Ersten Weltkriegs geriet es in Vergessenheit, bis es 1998 auf einer Auktion verkauft wurde. Zur Zeit wird es restauriert, Anfang August 2006 gelang es einer Gruppe von Wissenschaftlern um den Physiker Uwe Bergmann, den ursprünglichen Text mit Röntgenlicht sichtbar zu machen (Quelle).

Die Technik des Palimpsestierens wurde seit Mitte des 19. Jahrhunderts mehrfach als Metapher für geistige und kreative Prozesse verwendet.

Der englische Essayist Thomas De Quincey vergleicht in Suspiria de Profundis (1845) den menschlichen Geist und besonders das Gedächtnis mit einem Palimpsest: “What else than a natural and mighty palimpsest is the human brain? Such a palimpsest is my brain; such a palimpsest, O reader! is yours. Everlasting layers of ideas, images, feelings, have fallen upon your brain softly as light. Each succession has seemed to bury all that went before. And yet in reality not one has been extinguished.” (Lit.: De Quincey, 2003, S. 150) Sigmund Freud entwickelt 80 Jahre später in seiner Notiz über den ‚Wunderblock‘ (1925) ein verwandtes Modell vom menschlichen Gedächtnis. In einem Kinderspielzeug (dem sogenannten Wunderblock), das das immer neue Beschreiben und Löschen von Zeichen auf einer druckempfindlichen Wachsplatte ermöglicht, wobei Spuren aller früheren Einschreibungen als unsichtbare Vertiefungen erhalten bleiben, sieht er die zwei wesentlichen Bedingungen erfüllt, die für ihn das menschliche Gedächtnis leisten muss: „Unbegrenzte Aufnahmefähigkeit und Erhaltung von Dauerspuren“ (Lit.: Freud, 1968, S. 4).

Strukturalisten und Poststrukturalisten verwenden das Palimpsest als literarisches Motiv für die Funktion des Schreibens: Für sie stellt das Palimpsest in den Vordergrund, dass Schreiben nur im Dasein von anderem, bereits Geschriebenem existiert. Palimpseste untergraben das Konzept vom Autor als einziger, wirklicher Quelle eines Werks, und stellen so den Sinn eines Werks an das Ende einer unendlichen Kette von vielen Bedeutungen.

In der literarischen Avantgarde ist das Palimpsest neben der Collage und Montage ein zentrales künstlerisches Verfahren. Ein Gedichtband des ukrainischen Dichters Wassyl Stus trägt den Titel Palimpseste.

Im abstrakten Expressionismus, insbesondere der Künstlergruppe CoBrA, wird das Prinzip der Wiederbenutzung von Papieren (z.B. auch Landkarten) ebenfalls unter dem Begriff „Palimpsest“ zusammengefasst, insbesondere bei Arbeiten von Pierre Alechinsky und Asger Jorn. Zitat Pierre Alechinsky: „Ich arbeite auf verschiedenen Malgründen ... Seiten aus alten Kassenbüchern, Notariatsakten, alte Rechnungen, russische Drucke, veraltete Flugkarten etc., die ich nach dem Palimpsest-Prinzip neu bearbeite, indem ich mich von der Lektüre der Alltagssorgen anderer Zeiten leiten lasse, die den unseren so ähnlich sind.“

Siehe auch: Diplomatik

[Bearbeiten] Literatur

  • Thomas De Quincey: Suspiria de Profundis. In: Thomas De Quincey: Confessions of an English Opium-Eater and Other Writings. Penguin Books, London 2003, ISBN 0-140-43901-3
  • Aleida Assmann: Zur Metaphorik der Erinnerung. In: Aleida Assmann, Dietrich Harth (Hrsg.): Mnemosyne. Fischer Taschenbuch Wissenschaft, Frankfurt am Main 1991, Seiten 18–22
  • Sigmund Freud: Notiz über den ‚Wunderblock‘. In: Sigmund Freud: Gesammelte Werke XIV. Vierte Auflage. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1968
  • Pierre Alechinsky zitiert nach: Margin und Center, Ausstellungskatalog Hannover 1988
  • Gérard Genette: Palimpsestes. Paris: Seuil. 1982

[Bearbeiten] Quellen

[Bearbeiten] Weblinks

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