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Neue Unterschicht

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Den umstrittenen Begriff Neue Unterschicht kann man - trotz Verwendung des „Schicht“-Begriffes - der kulturalistischen Klassentheorie zuordnen. Wichtigster Vertreter ist Paul Nolte, der in seiner Schrift "Generation Reform"[1] von 2004 eine kulturelle Spaltung der „Neuen Unterschicht“ von der Mehrheitsgesellschaft ausmacht.

Wichtige Eckpunkte dieser Theorie sind, dass extreme Vermögensunterschiede als gegeben hingenommen würden, die Angehörigen der „Neuen Unterschicht“ durch sozialstaatliche Alimentierung kulturell verwahrlost seien (Zigaretten, Alkohol) und sich außer Stande sähen, sich der „bürgerlichen Leitkultur“ (Nolte) anzupassen.

Kritisiert wird an diesem Ansatz, dass „eine Bedrohung für die Mehrheitsgesellschaft konstruiert wird“ und Personen, die zur Gruppe der „Neuen Unterschicht“ gerechnet werden, Diffamierungen ausgesetzt seien.[2] Seit Noltes Veröffentlichung wurde dem Begriff in allen größeren Magazinen Leitartikel gewidmet und es erschienen einige Fernsehreportagen eigens zu diesem Thema.


Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Begrifflichkeit

In der Soziologie wird eine Schicht u.a. nach Einkommen und sozialem Status gesellschaftlicher Gruppen definiert. Diese Gruppen weisen folgende Gemeinsamkeiten auf:

  • sie haben eine signifikante Größe,
  • ihre soziale Lage ist dauerhaft
  • und wird an ihre Nachkommen weitergegeben (‚soziale Vererbung‘), doch sind sozialer Aufstieg und Abstieg aus ihr nicht ausgeschlossen.

In diesem Rahmen fasste die "Unterschicht" Arbeiter, einfache Angestellte, Bauern, Seeleute u.a.m. zusammen - oft auch noch unterteilt in "Untere" und "Obere Unterschicht". Unter der Unterschicht wurden gel. auch noch die "Sozial Verachteten" (Harriett B. Moore) bzw. das "Lumpenproletariat" platziert. Siehe dazu die Artikel Proletariat und Arbeiterklasse.

In jüngster Zeit [2006] wird jedoch in einigen Medien von der Herausbildung einer sogenannten „Neuen Unterschicht“ berichtet. In einer (vorab bereits diskutierten) Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung im Oktober 2006 der Begriff „abgehängtes Prekariat“ geprägt.

[Bearbeiten] Demoskopie

Nach der Studie „Gesellschaft im Reformprozess“ der Friedrich-Ebert-Stiftung auf Datenbasis von TNS Infratest, die eigentlich SPD-Wählerpotential untersuchen soll, die im Dezember 2006 veröffentlicht wird, gehören 6,5 Millionen Wahlberechtigte in Deutschland zum sogenannten „abgehängten Prekariat“. Dies betrifft laut Studie 4% aller wahlberechtigten Westdeutschen und 25% aller Ostdeutschen. Frank Karl von der Friedrich-Ebert-Stiftung betonte, dass der Begriff „neue Unterschicht“ in der Studie nicht vorkomme. Der soziologisch seit langem eingeführte Begriff „Unterschicht“ kommt in der Vorabveröffentlichung allerdings sehr wohl vor. In der Zwischenzeit wird das Wort „(abgehängtes) Prekariat“ der Studie folgend in den Massenmedien immer öfter als „Neue Unterschicht“ verwendet.

Charakterisiert wird diese Schicht durch Arbeitslosigkeit oder Niedrigsteinkommen, Verschuldung, mangelnde Bildung, fehlende Aussichten auf Verbesserung der Situation und häufig durch Resignation. Weiterhin zeichne sie sich durch geringen familiären Rückhalt (hoher Singleanteil) und einem Hang zu autoritären politischen Verhältnissen aus. Männliche, gering qualifizierte, allein lebende Arbeitslose in ländlichen Gebieten Ostdeutschlands sind daher die typischen Vertreter des Prekariats.

Der Soziologe Christian Pfeiffer nannte insbesondere viele Jugendliche als überproportional unterprivilegiert. Dem Berliner Tagesspiegel sagte er, dass zehn bis 15 Prozent der Unter-18-jährigen in diese Kategorie gehörten, da sie über geringe Bildung verfügten und keine Aufstiegschancen für sich sähen. Für die Misere machte Pfeiffer das gegenwärtige Schulsystem in Deutschland mitverantwortlich.

[Bearbeiten] Politische Debatte

SPD-Vorsitzender Beck, der diesen Begriff bereits vorher nutzte, rief aufgrund der Ergebnisse der Studie zu einem Bildungsaufbruch auf, mit dem die Bildung und damit die Aufstiegschancen der sogenannten „Unterschicht“ verbessert werden sollen. Einige CDU- und SPD-Politiker lehnen die Formulierung „Unterschicht“ jedoch ab, da dieses Wort eine Bevölkerungsschicht abstemple bzw. ausgrenze. Franz Müntefering sagte unter anderem im Sender N24, dies sei eine Formulierung „lebensfremder Soziologen, es gibt keine Schichten in Deutschland. Es gibt Menschen, die es schwerer haben, die schwächer sind. Das ist nicht neu. Das hat es schon immer gegeben. Aber ich wehre mich gegen die Einteilung der Gesellschaft.“ Abgesehen von dieser Formulierung eines wissenschaftsfremden Politikers zeichnete er damit Fronten eines tagespolitischen Begriffkampfes auf, wie ein solcher bereits zur „neuen sozialen Frage“ oder zur „Zweidrittelgesellschaft“ bekannt ist.

SPD-Generalsekretär Hubertus Heil und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) appellierten an Wohlhabende und warnten vor der „Abkoppelung“ eines wachsenden Teils der Bevölkerung, der sich gedemütigt und deklassiert fühle. Heil sagte: „Wenn man über Armut in Deutschland redet, darf man über Reichtum nicht schweigen.CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla machte ebenso die vorherige rot-grüne Regierung für einen Anstieg der Armut verantwortlich, und kündigte als Lösung Kombilohn-Modelle an. Die FDP warf der Regierung eine verfehlte Wirtschaftspolitik vor, und forderte gleiche Startbedingungen für Kinder. Die Grünen und die Linkspartei setzten sich für eine Aktuelle Stunde im Bundestag zum Thema ein. Volker Beck (Grüne) forderte, die große Koalition müsse endlich die langfristige Armutsbekämpfung zum Ziel ihrer Sozialpolitik machen. Oskar Lafontaine (Linkspartei) kritisierte, alle Parteien hätten daran mitgewirkt, die Zustände herbeizuführen, die jetzt beklagt würden.

Caritas und DGB widersprachen dem allerdings, das Problem seien weniger die letzten Arbeitsmarkt-Reformen, als vielmehr die Massenarbeitslosigkeit. Hartz IV sei auch nicht schuld an Bildungsferne. Michael Sommer (DGB) kritisierte staatliche Politik, die dazu führe, dass „die einen immer reicher und die anderen immer ärmer werden“.

In der Debatte kam es zu Zuschreibungen, die für das ideologische Konzept „Neue Unterschicht“ typisch sind, dass beispielsweise Angehörige dieser Gruppe sich „nicht mehr wie früher“ um den Bildungserfolg ihrer Kinder kümmerten und Erziehung in der Familie nicht mehr stattfinde. Solche Aussagen basieren nicht auf Untersuchungen.

Seriöse Untersuchungen wie die jüngste Elternbefragung des Dortmunder Institut für Schulentwicklungsforschung und die Langzeitsudie der Arbeiterwohlfahrt kommen zu dem Ergebnis:

Die Bildungsaspirationen der Eltern sind in den letzten 20 Jahren stark angestiegen. Dies zeigen nicht zuletzt die Umfragen des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS, 2004). Inzwischen wünschen sich bundesweit 45% aller befragten Grundschuleltern, dass ihr Kind die Schullaufbahn mit dem Abitur abschließt; nur 8% können sich für ihr Kind einen Hauptschulabschluss vorstellen. Besonders stark angestiegen sind die Bildungsaspirationen von Eltern aus bildungsferneren Schichten.[3]

Ähnlich formulierte eine AWO-Studie, dass Eltern in Armut extreme Anstrengungen für die Bildung ihrer Kinder unternähmen und daher ein Begriff wie „sozial Schwache“ vermieden werden solle.

[Bearbeiten] Quellen

  1. Paul Nolte: Generation Reform. Jenseits der blockierten Republik, Bonn 2004
  2. Fabian Kessl: Das wahre Elend? Zur Rede von der „neuen Unterschicht“, in: Widersprüche. 25. Jg. Heft 98, 2005
  3. Carmen Fehrenbach, Isabelle Zöller, Jeanette Roos und Hermann Schöler, Pädagogische Hochschule, Heidelberg (2005):Bildungsaspiration der Eltern und elterliche Zufriedenheit mit den Schulleistungen am Ende der dritten Klasse http://www.ph-heidelberg.de/wp/schoeler/2005_09_22%20Poster_Halle.pdf

[Bearbeiten] Siehe auch

[Bearbeiten] Literatur

  • Paul Nolte: Generation Reform. Jenseits der blockierten Republik, Bonn 2004
  • Fabian Kessl: „Das wahre Elend? Zur Rede von der «neuen Unterschicht»“, in: Widersprüche - Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich, Heft 98, Dezember 2005
  • Alex Klein, Sandra Landhäußer, Holger Ziegler: „The Salient Injuries of Class: Zur Kritik der Kulturalisierung struktureller Ungleichheit“, in: Widersprüche - Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich, Heft 98, Dezember 2005
  • Widersprüche - Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich, Heft 98: Klassengesellschaft reloaded - Zur Politik der "neuen Unterschicht", Kleine Verlag, Dezember 2005, ISBN 3-89370-412-4

[Bearbeiten] Weblinks

[Bearbeiten] Kritik am Begriff

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