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Iconic turn

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Als Iconic turn oder ikonische Wende bezeichnet man analog zum Begriff der "linguistischen Wende" aktuelle Versuche der Bildwissenschaft zur Anerkennung des strukturierenden Charakters des Bildes. Der Begriff wurde 1994 von Gottfried Boehm geprägt: "Die Rede vom iconic turn war ein sympathischer, nachdenklicher Versuch, die tief in der deutschen Tradition geborgene Vorstellung von der Absolutheit, der Aura der Kunst gegen den Verbrauch der Bilder durch deren mediales Verständnis zu erretten (Sauerländer, Iconic turn? Eine Bitte um Ikonoklasmus, 2004).

Ausgangspunkt sind die Feststellungen, dass

  • sich bisher keine mit der allgemeinen Sprachwissenschaft vergleichbare Wissenschaft vom Bild entwickelt habe;
  • eine "Verlagerung von der sprachlichen auf die visuelle Information, vom Wort auf das Bild und – am beunruhigendsten – vom Argument auf das Video" (Sauerländer, Iconic turn? Eine Bitte um Ikonoklasmus, 2004) stattfinde und damit
  • eine "Wiederkehr der Bilder" zu konstatieren sei.

Gefordert wird eine interdisziplinäre Beschäftigung mit der Welt der Bilder, die Erkenntnisse und Methoden der Philosophie, Theologie, Ethnologie, Kunstgeschichte, Medienwissenschaft, Kognitionswissenschaft, Psychologie und der Naturwissenschaften usw. integriert.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Geschichte und Entwicklung

Konzeptionell findet die "ikonische Wendung" ihre Ursprünge in den Arbeiten Konrad Fiedlers aus dem 19. Jahrhundert, der erstmals das Sehen als aktive und selbstbestimmte Tätigkeit beschrieben habe ("Sichtbarkeitsgebilde").

In den 80er Jahren löste Vilém Flusser mit seiner Kommunikologie eine kritische Auseinandersetzung mit den technischen Bildern in der telematischen Gesellschaft aus. Flusser verwendet noch nicht den Begriff der "ikonischen Wendung", bereitet jedoch vor allem mit seinen Arbeiten zur Philosophie der Fotografie (1983) und dem Universum der technischen Bilder (1985) den Boden für eine Neubewertung des Bildes in der Nachmoderne.

W. J. T. Mitchell prägte 1992 den Begriff des Pictorial turn in einem an Erwin Panofskys Ikonologie angelehnten Versuch, das Denken in Bildern und über Bilder zu rehabilitieren.

Eine scharfe Polemik gegen die französische Philosophie des 20. Jahrhunderts legte Martin Jay 1993 vor, der er eine tief sitzende Ikonophobie vorwarf; sie habe das Bild allein mit dem Ziel fokussiert, das Sehen zu diskreditieren und die Blindheit zur höchsten Instanz des Denkens zu machen.

Gottfried Boehm prägte dann 1994 in Wiederkehr der Bilder den Begriff des Iconic turn. Boehm deckte hier gleichermaßen den Ikonoklasmus der Simulationstheorie wie auch der Medienindustrie auf; erstere habe die Unterscheidung von Bild und Nichtbild negiert, von Darstellung und Wirklichkeit negiert und die Agonie des Realen gefeiert, letztere habe Bilder auf die abbildende Reproduktion der Realität reduziert. Daran anschließend fordert er eine "methodische Schärfung der bildlichen Analysemittel auf jedwedem Feld und jeglichem Medium, in denen sich Bilder statisch oder bewegt ausweisen" (Horst Bredekamp, Drehmomente, 2004).

In dem Jahrzehnt nach der Begriffsprägung von Pictorial und Iconic turn haben nicht nur die historischen Bildwissenschaften Archäologie und Kunstgeschichte diese Anregung aufgenommen:

  • Die Filmwissenschaft priorisiert die Untersuchung der Bildhaftigkeit der Filme; z.B. David Bordwell, Visual Style in Cinema (2001); Andela Dalle Vacche, Classical Film Theory and Art History (2003);
  • Die Philosophie nimmt die Beschäftigung mit dem Bild wieder auf, z.B. Oliver R. Scholz, Bild. Darstellung. Zeichen. Philosophische Theorien bildhafter Darstellung (1991);
  • Die Literaturwissenschaft untersucht das Wechselverhältnis von Schrift und Bild, z.B. Horst Wenzel, Hören und Sehen. Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter (1995);
  • Die Geschichtswissenschaft betrachtet Bildquellen nicht mehr nur als Illustration, z.B. Bernd Roeck, Visual turn? Kulturgeschichte und Bilder (2003);
  • Die Wissenschaftsgeschichte untersucht die visuelle Konditionierung der Wissenschaft, z.B. Caroline A. Jones und Peter Galison (Hrsg), Picturing Science Producing Art (1998) und Barbara Stafford, Body Criticism (1991);
  • Die Rechtswissenschaft arbeitet an einer Ikonologie des Rechts und thematisiert die Bilderfeindlichkeit des Rechtswesens, z.B. Michael Stolleis, Das Auge des Gesetzes (2004) und das Projekt Visuelle Rechtskommunikation an der Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie, um Klaus F. Röhl;
  • Die Mathematik löst sich mit der Formel Seeing is believing vom Ikonoklasmus der Bourbaki-Gruppe, z.B. Benoît Mandelbrot, Die fraktale Geometrie der Natur (1987);
  • Die Biologie erörtert in Anlehnung an Darwin das Kriterium der Schönheit für die natürliche Auslese, z.B. Raghavendra Gadagkar, Is the peacock merely beautiful or also honest? (2003);
  • Die Naturwissenschaften und insbesondere die Informatik reflektieren den allgegenwärtigen Einsatz von digitaler Bildverarbeitung, Computergraphik und Informationsvisualisierung, z.B. Jochen Schneider, Thomas Strothotte und Winfried Marotzki (Hrsg.), Computational Visualistics, Media Informatics and Virtual Communities (2003, ISBN 3-8244-4550-6) (siehe auch: Jörg R.J. Schirra, Foundation of Computational Visualistics (2005, DUV, ISBN 3-8350-6015-5) und Stichwort Computervisualistik).

[Bearbeiten] Siehe auch

[Bearbeiten] Zitate

  • Die Helligkeit der Vernunft geht weiter als die Sprache. (Gottfried Boehm, Bildwissenschaftler)
  • Wer das Phänomen unterschätzt, dass Bilder emotionale, körperliche Reaktionen hervorrufen können, wird sich der Problemtiefe, die von visuellen Phänomenen ausgeht, überhaupt nicht nähern können. Diese Eigenschaft von Bildern ist der Grund dafür, dass eine Reihe von Kollegen und ich selbst die Zeichentheorie und die Semiologie für hoch interessant, aber für begrenzt halten. Bilder, visuelle Phänomene haben eine nichtberechenbare Kraft. Zumindest eine Semiologie, die glaubt, die Bedeutung von Zeichen kennen und gleichsam grammatikalisch erschließen zu können, greift zu kurz. Von Gottfried Böhm stammt die vielleicht sehr pointierte, aber meines Erachtens treffende Feststellung: Wo die Semiotik aufhört, beginnt die Kunstgeschichte. (Horst Bredekamp)

[Bearbeiten] Literatur

  • Doris Bachmann-Medick: Iconic Turn, in: Doris Bachmann-Medick: Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Reinbek: Rowohlt 2006. ISBN 3-499-55675-8, S. 329-380.
  • Gottfried Boehm (Hrsg.): Was ist ein Bild? (3. Aufl). München: Fink 2001. ISBN 3-7705-2920-0
  • Christa Maar, Hubert Burda (Hrsg.): Iconic Turn. Die neue Macht der Bilder. Das neue Buch zur Vorlesungsreihe. Köln: DuMont 2004. ISBN 3-8321-7873-2 – mit Beiträgen von Jan Assmann, Hans Belting, Gottfried Boehm, Reinhard Brandt, Stephan Braunfels, Horst Bredekamp, Bazon Brock, Norman Foster, Wolfgang Heckl, Stefan Heidenreich, Martin Kemp, Friedrich Kittler, Heinz-Otto Peitgen, Rolf Pfeifer, Willibald Sauerländer, Wolf Singer, Peter Sloterdijk, Barbara Stafford, Bill Viola, Peter Weibel, Wim Wenders, Anton Zeilinger und Semir Zeki.
  • Oliver Grau: Virtual Art: From Illusion to Immersion (MIT-Press, 4.Aufl.). Cambridge/Mass. 2003
  • Vilém Flusser: Ins Universum der technischen Bilder (6. Aufl.). Göttingen 1999
  • Vilém Flusser: Für eine Philosophie der Photographie (9. Aufl.). Göttingen 1999
  • Klaus Sachs-Hombach: Das Bild als kommunikatives Medium. Elemente einer allgemeinen Bildwissenschaft. Köln 2003. ISBN 3-9316-0670-8

[Bearbeiten] Weblinks

  • http://netzspannung.org/tele-lectures/series/iconic-turn/ Iconic Turn - Das neue Bild der Welt (Felix Burda Memorial Lectures der Burda Akademie) mit Streams der Vorlesungsreihe an der Ludwig-Maximilians-Universität München vom Sommersemester 2002 bis zum Sommersemester 2003 - Teil 1
  • http://www.iconic-turn.de/ Iconic Turn - Das neue Bild der Welt (Felix Burda Memorial Lectures der Burda Akademie) mit Streams der Vorlesungsreihe an der Ludwig-Maximilians-Universität München Wintersemester 2004/05 - Teil 2
  • http://www.eikones.ch - NFS Bildkritik - NCCR Iconic Criticism - Forschungsschwerpunkt zum Thema in Basel, ins Leben gerufen und geleitet von Gottfried Boehm

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