Greensche Funktion
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Eine Greensche Funktion (nach dem Physiker und Mathematiker George Green) ist ein Hilfsmittel bei der Lösung inhomogener linearer Differentialgleichungen. Man sagt, eine Greensche Funktion "propagiert die Inhomogenität". In der Potentialtheorie und Schweremessung wird sie u. a. zur Lösung des Ersten Randwertproblems eingesetzt.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Motivation
Eine inhomogene lineare Differentialgleichung hat i. A. die Form
- Ly = f,
wobei L ein Differentialoperator ist. Man würde jetzt gerne so etwas wie eine "Umkehrfunktion" L − 1 für L einsetzen, denn dann könnte man seine Lösung schreiben als y = L − 1f. Da Ly = 0 aber nicht-triviale Lösungen hat, ist L nicht injektiv, es kann also kein Linksinverses geben. Wohl aber ist L surjektiv, da die Gleichung für jedes f Lösungen hat. Man hat also nach einem Rechtsinversen G zu suchen, für das gilt. LG = 1. Mit y = Gf hat man dann eine partikuläre Lösung gefunden:
- Ly = L(Gf) = (LG)f = 1f = f.
Die allgemeine Lösung ergibt sich dann durch Addition der Lösung des homogenen Problems.
[Bearbeiten] Definition
[Bearbeiten] Gewöhnliche Differentialgleichungen
Sei ein Differentialoperator mit . Dann ist die Greensche Funktion G zu diesem Operator definiert durch:
- ,
wobei δ(t) die Diracsche Deltafunktion ist. Eine spezielle Lösung ergibt sich dann durch Faltung:
- ,
wie man wie folgt einsieht:
- .
Bleibt die Frage, wie man eine Greensche Funktion findet. Im Spezialfall einer Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten ergibt sich, da man Funktionen mit ihren Fourier-Transformierten identifizieren kann, aus dem Faltungstheorem ():
- ,
bzw. mit der Transferfunktion :
- ,
und damit:
- bzw. .
[Bearbeiten] Partielle Differentialgleichungen
Für partielle Differentialgleichungen gilt ebenso die definierende Gleichung
und eine spezielle Lösung ergibt sich wiederum durch Faltung:
- .
Problematischer sind in dem Fall jedoch das Auffinden einer Greenschen Funktion und die Berechnung der mehrdimensionalen Integrale.
[Bearbeiten] Greensche Funktion mit Randbedingungen
Kennt man eine Greensche Funktion zu einem Operator L, so kann man den inhomogenen Teil der Differentialgleichung ohne Probleme lösen. Für die allgemeine Lösung hat man aber i. A. noch Randbedingungen zu erfüllen. Dies kann auf vielfache Art geschehen, ein elegantes Verfahren ist aber die Addition einer Lösung des homogenen Problems LF = 0, sodass die Randbedingungen erfüllt sind. Anschaulich entspricht dies beim Lösen der Poisson-Gleichung dem Hinzufügen von Bildladungen und entfernen der Ränder, so dass da, wo der Rand war, die vorher vorgegebenen Werte angenommen werden. Man denke sich als einfaches Beispiel ein geladenes Teilchen vor einer geerdeten Ebene. Bringt man auf der anderen Seite der Ebene eine entgegengesetzt geladene Ladung an und entfernt gedanklich die Ebene, so ist dort, wo die Ebene war, das Potential Null, was die geforderte Randbedingung erfüllt.
Häufig verwendet man dieses Verfahren zum Lösen der Poisson-Gleichung ΔΦ = − 4πρ. Mithilfe des Gaußschen Satzes findet man (G' = G + F):
- .
Je nachdem, ob man nun das Potential oder dessen Ableitung auf dem Rand vorgegeben hat, wählt man nun die Funktion F, die zu G hinzuaddiert werden soll, so dass im ersten Fall und nennt G' üblicherweise Dirichletsche Greensche Funktion GD. Im zweiten Fall nicht wie nahe liegen wurde, dass verschwindet, was nämlich den Gaußschen Satz verletzen würde sondern (was in obigem Integral nur den Mittelwert des Potentials über die Oberfläche produziert, eine Konstante um die die Lösung sowieso unbestimmt ist) und nennt G' überlicherweise Neumannsche Greensche Funktion GN. Die zu bestimmenden Greenschen Funktionen findet man bei symmetrischen Problem oft aus geometrischen Überlegungen. Alternativ kann man F nach einem Orthonormalssystems des Operators entwickeln. Hat man eine Lösung gefunden, so ist diese eindeutig bestimmt, wie unmittelbar aus dem Maximumsprinzip für elliptische Differentialgleichungen folgt.
[Bearbeiten] Beispiele
[Bearbeiten] Bestimmung des statischen elektrischen Feldes
Nach den Maxwell-Gleichungen gilt für die Quellstärke des zeitlich unveränderlichen elektrischen Feldes
- ,
wobei die elektrische Feldstärke und ρ die elektrische Ladungsdichte ist. Da es sich im elektrostatischen Fall um ein konservatives System handelt, gilt
- ,
wobei das elektrische Potential ist. Einsetzen liefert die Poisson-Gleichung
- ,
also eine inhomogene lineare partielle Differentialgleichung 2. Ordnung. Kennt man eine Greensche Funktion des Laplace-Operators , so lautet eine partikuläre Lösung
Eine (nicht eindeutig bestimmte) Greensche Funktion des Laplace Operators ist
- ,
womit sich nach Einsetzen
ergibt. Letzte Gleichung soll die physikalische Interpretation der Greenschen Funktion verdeutlichen. Die Greensche Funktion zusammen mit dem Differential stellen einen "Potentialstoß" dar, das Gesamtpotential ergibt sich dann durch Superposition aller "Potentialstöße", also durch Ausführen des Integrals.
[Bearbeiten] Inhomogene Wellengleichung
Die inhomogene Wellengleichung hat die Form
Durch Fourier-Zerlegung findet man nach Ausführen des Operators für die Fourier-Transformierten
- .
Nach dem Faltungstheorem gilt also:
Die Rücktransformation kann man mithilfe des Residuenkalküls ausrechnen und findet
Das Argument der Deltafunktion bedeutet, dass eine Ursache zur Zeit 0 durch die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit der Welle erst (schon?) zum Zeitpunkt am Ort wahrgenommen wird (wahrgenommen worden war?). Da alle Experimente darauf hindeuten, dass die Welt kausal ist, ist somit die zweite Deltafunktion physikalisch nicht zulässig. G heißt auch retardierte Greensche Funktion und wird oft mit Gret bezeichnet. Eine spezielle Lösung der Wellengleichung ergibt sich dann durch Faltung:
[Bearbeiten] Bemerkungen
Die obige Darstellung ist nicht von mathematischer Strenge, z. B. darf man sicher nicht immer Integral- und Differentialoperator vertauschen. Es ist auf der Ebene eines Kalküls argumentiert worden. Der Kalkül der Dirac-Distribution ist jedoch einfach zu merken und führt in vielen Fällen auf die richtige Fährte, weswegen Physiker und Ingenieure häufig ebenso verfahren. Wenn man richtig verstehen will, was man eigentlich macht, muss man sich mit der Distributionstheorie auseinandersetzen.