FlowTex
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Das Unternehmen FlowTex Technologie GmbH & Co. KG im badischen Ettlingen steht für den schwersten Fall von Wirtschaftskriminalität in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
In diesem Zusammenhang wurden 55 Hausdurchsuchungen durchgeführt, gegen insgesamt 110 Beschuldigte 123 Ermittlungsverfahren eingeleitet, gegen die vier Haupttäter von mehreren Gerichten Freiheitsstrafen von insgesamt 58 Jahren verhängt, und zwei FDP-Landesminister verloren ihr Amt. Der von Staatsanwälten errechnete strafrechtliche Schaden betrug insgesamt 4,9 Mrd. DM (2,6 Mrd. Euro). Dieser Betrag beinhaltete ca. 0,7 Mrd. DM (ca. 0,4 Mrd. Euro), die drei Tage nach der Verhaftung des Haupttäters Manfred Schmider im Zusammenhang mit dem durch die Commerzbank und die Dresdner Bank in die Wege geleiteten Börsengangs des FlowTex-Konzerns auf das FlowTex-Firmenkonto geflossen wären.
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[Bearbeiten] Die Firma
FlowTex war ein Unternehmen, dessen Geschäftszweck im Zeitraum zwischen 1994 und 1999 das unterirdische Verlegen von Leitungen und der Handel mit entsprechenden Horizontalbohrmaschinen umfasste. Die angewendete Methode erforderte, im Gegensatz zu klassischen Verlegearbeiten, keine Öffnung der Oberfläche. Die Leitungen (Strom, Gas, Wasser, Telekommunikation etc.) wurden durch gesteuertes Horizontalbohren verlegt, auf langen Strecken auch Etappenweise. Die Methodik war schnell, kostensparend und meist ohne Beeinträchtigung des Umfeldes (z.B. durch Straßensperrungen etc.).
[Bearbeiten] Der Betrug
FlowTex verkaufte angeblich rund 3.000 dieser Bohrmaschinen, die allerdings zum größten Teil nur auf dem Papier existierten, zu einem Stückpreis von rund 1,5 Millionen DM.
[Bearbeiten] Die Akteure
Gründer von FlowTex war Manfred Schmider zusammen mit seinem Kompagnon Dr. Klaus Kleiser. Finanzchef der Firma war Karl Schmitz. Die Geschäftsführerin der vermeintlichen Herstellerfirma KSK war Angelika Neumann (ehemals Sekretärin von Manfred Schmider), welche Rechnungen über 1.200 nicht existierende Bohrgeräte ausgestellt hat. Matthias Schmider, der Bruder von Manfred Schmider, war als Geschäftsführer der Zuliefererfirma Male und Chef der französischen FlowTex Niederlassung ebenfalls am FlowTex-Betrug beteiligt. Nach Berechnungen des Insolvenzverwalters von FlowTex soll Matthias Schmider auf diese Weise über 85 Millionen DM erwirtschaftet haben.
[Bearbeiten] Die Vorgehensweise
Fingierte Bohrsysteme wurden von FlowTex an Leasinggesellschaften und Banken verkauft. FlowTex selbst leaste die Maschinen wieder zurück, um den für die Leasinggesellschaften notwendigen Marktbedarf für eine Kreditfinanzierung bei den Banken sicherzustellen. Die erhaltenen Kredite der Leasinggesellschaften für den Kauf der nicht vorhandenen Bohrmaschinen war der Gewinn des Betrugs. Um den Umstand zu kaschieren, dass nur ein Zehntel der Bohrsysteme wirklich existierte, fälschten die Gesellschafter von FlowTex vor Betriebsprüfungen unter anderem auch die Seriennummern auf den Zulassungsschildern der Bohrgeräte, indem immer neue Zulassungsplaketten mit neuen Seriennummern auf den selben Geräten aufgebracht wurden.
Bei diesem System des Kreditbetruges handelte es sich um ein mit einem Schneeballsystem vergleichbaren „Geschäftsmodell“ der Bereicherung, welches zur Sicherstellung der Zahlung der Leasingraten an die Leasinggesellschaften immer neue Verkäufe nicht vorhandener Maschinen an jene Leasinggesellschaften erforderte.
[Bearbeiten] Die Rolle der Finanzbehörden
In einem noch nicht abgeschlossenen Gerichtsverfahren wird die Verstrickung von Betriebsprüfern des zuständigen Finanzamtes geprüft, welchen vorgeworfen wird, während ihrer Betriebsprüfungen Kenntnis von dem Betrug erlangt zu haben, ihn aber nicht meldeten. Es wird ihnen vorgeworfen, trotz Kenntnis der Sachlage geschwiegen zu haben, weil sie in einem Fall Sachleistungen von FlowTex erhalten haben sollen, und weil ihnen im Allgemeinen der Umstand der Rückzahlung von unrechtmäßig abgeführter Gewerbesteuer in Millionenhöhe an das Finanzamt bewusst gewesen sein soll.
Die FlowTex-Geschäfte waren ordentlich versteuert worden, weshalb die Stadt Ettlingen nach der Aufdeckung des Skandals einen beträchtlichen Betrag an Gewerbesteuern an den Insolvenzverwalter zurückzahlen musste.
Im Protokoll der öffentlichen Sitzung des Landgerichtes Karlsruhe (Aktenzeichen: 2 0 60/03) in Sachen „Braun u. a. gegen Land Baden-Württemberg wegen Staatshaftung“ vom 9. Juni 2005 machte der Finanzbeamte Manfed Seyfried folgende Aussage: „Bekanntlich besteuern wir ja praktisch alles, auch Umsätze aus strafbaren Handlungen wie z. B. Hehlereigeschäften. Es war aber zunächst einmal die Frage, ob es sich um einen Betrug handelte, bevor man Überlegungen anstellte, wie das zu besteuern war.“
[Bearbeiten] Der Prozess
Im Jahre 2000 wurde dem Geschäftsführer Manfred Schmider und weiteren Mitarbeitern dieser Betrug nachgewiesen, der einen Schaden von rund 2,9 Milliarden Mark angerichtet hatte; die Verantwortlichen wurden 2002 zu sechs bis zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Obwohl der Hauptangeklagte Manfred Schmider erst knapp die Hälfte seiner Strafe abgesessen hat, erhält er seit Juli 2006 den Status eines Freigängers und voraussichtlich ab Dezember 2006 Freilassung auf Bewährung. Außerdem wird ihm erlaubt, als Wirtschaftsberater weiter tätig zu sein. Einer der Hauptangeklagten, der von der Staatsanwaltschaft als Schlüsselfigur angesehen wird, hat als Rechtsbeistand den Anwalt und früheren bayerischen Umweltminister und CSU-Abgeordneten Peter Gauweiler. Dessen Immunität wurde mittlerweile aufgrund einer laufenden Ermittlung wegen Zeugenbeleidigung aufgehoben.
In zivilrechtlicher Hinsicht beachtlich ist die Entscheidung des BGH (Az.: XI ZR 152/04; zu finden unter [1]) über die Klage des vorläufigen Insolvenzverwalters von Flowtex auf Auszahlung von Kontoguthaben des Unternehmens. Der BGH stellt durch dieses Urteil klar, dass bei eigenmächtiger Abänderung eines Überweisungsauftrages durch die Bank zur Sicherung eigener Forderungen die darauffolgende Überweisung dem Auftraggeber nicht mehr als eigene Leistung zugerechnet werden kann.
[Bearbeiten] Das politische Umfeld
Neben den Verantwortlichen bei FlowTex gerieten auch Wirtschaftsprüfer, Behörden, Staatsanwaltschaft und FDP- und CDU-Politiker des Landes Baden-Württemberg ins Zwielicht, da die Luftgeschäfte lange Jahre unentdeckt blieben. Manfred Schmider pflegte freundschaftliche Kontakte zu mehreren Verantwortungsträgern und war vor der Aufdeckung des Skandals als erfolgreicher Musterunternehmer sehr angesehen.
[Bearbeiten] Verbleib der einzelnen Vermögenswerte
Zwischen 1994 und 1999 hat FlowTex von Leasinggesellschaften rund 4,2 Milliarden DM eingenommen. In Form von Leasingraten wurden daraus rund 2,6 Milliarden DM zurückbezahlt. Der auf betrügerische Weise erlangte Gewinn belief sich somit auf ca. 1,6 Milliarden DM.
Die in diesem Zeitraum angefallenen realen Geschäftsausgaben (Gehälter, Miete) beliefen sich auf rund 686 Millionen DM sowie Steuern von rund 325 Millionen DM. Die verbleibende Differenz von ca. 616 Millionen DM sind an die damaligen Geschäftsführer von FlowTex geflossen: Manfred Schmider, Dr. Klaus Kleiser, Angelika Neumann (Geschäftsführerin der KSK Guided Microtunneling Technologies) und Matthias Schmider und an diverse Beteiligungsgesellschaften im Zusammenhang mit Beteiligungen an Leasinggesellschaften in Höhe von 80 Mio DM.
[Bearbeiten] Literatur
- Meinrad Heck: Der Flowtex-Skandal. Wie Politik und Fiskus jahrelang von einem gigantischen Wirtschaftsbetrug profitierten. S. Fischer Verlag, ISBN 3-596-17080-X