Einigungsstelle
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Die betriebsverfassungsrechtliche Einigungsstelle kann als "betriebliches Schiedsgericht" bezeichnet werden, das dazu dient, gescheiterte Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zu einer Einigung zu führen. Das Verfahren in der Einigungsstelle ist in § 76 BetrVG geregelt, die Kosten der Einigungsstelle in § 76a BetrVG.
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[Bearbeiten] Voraussetzungen
Die Einigungsstelle muß zunächst zuständig für eine Regelung sein. Ihre Zuständigkeit kann sich zum einen aus einer konkreten Vorschrift im Betriebsverfassungsgesetz ergeben. In allen Regelungsbereichen, in denen im BetrVG bestimmt ist: "Kommt eine Einigung (...) nicht zustande, so entscheidet die Einigungsstelle", ist sie zwingend zuständig. Zum anderen können sich Arbeitgeber und Betriebsrat auf die Durchführung einer Einigungsstelle verständigen. Ihre Zuständigkeit entsteht in diesen Fällen nur dann, wenn beide Seiten es beantragen oder mit ihrem Tätigwerden einverstanden sind (§ 76 Abs. 6 BetrVG). Es ist daher auch denkbar, daß eine Einigungsstelle über eine nicht-mitbestimmungspflichtige Frage entscheidet, beispielsweise über eine freiwillige Regelung nach § 88 BetrVG. Voraussetzung ist jedoch das Einverständnis über die Einsetzung der Einigungsstelle. Über Rechtsfragen, über Verstöße gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten, über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs kann eine Einigungsstelle nicht entscheiden. In diesen Fällen ist ausschließlich das Arbeitsgericht im Beschlußverfahren zuständig.
[Bearbeiten] Bildung einer Einigungsstelle
[Bearbeiten] Anrufung der Einigungsstelle
Das BetrVG bestimmt in einigen Vorschriften, wer die Einigungsstelle anrufen darf. Beispiel: Wenn der Arbeitgeber durch die zeitliche Lage einer Betriebsratsschulung betriebliche Notwendigkeiten nicht ausreichtend berücksichtigt sieht, kann er die Einigungsstelle anrufen, § 37 Abs. 6 S. 4 BetrVG. Eine Anrufung durch den Betriebsrat ist hier nicht vorgesehen. Bestimmt das BetrVG eine Anrufung nur durch den Arbeitgeber oder nur durch den Betriebsrat nicht, so können beide Seiten eine Einigungsstelle anrufen. In der Praxis gilt hier das Prinzip: "Wer will was von wem?". Will der Arbeitgeber eine Regelung gegen denn Willen des Betriebsrats durchsetzen, wird er gehalten sein, die Verhandlungen für gescheitert zu erklären und eine Einigungsstelle anzurufen. Will umgekehrt der Betriebsrat eine Regelung gegen den Widerstand des Arbeitgebers durchsetzen, muß der Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen.
Für die Entscheidung des Betriebsrats, eine Einigungsstelle anzurufen, ist zwingend ein entsprechender Beschluß des Betriebsrats erforderlich, in dem zum einen das Scheitern der Verhandlungen festgestellt wird und zum anderen die Einsetzung einer Einigungsstelle beschlossen wird.
[Bearbeiten] Besetzung der Einigungsstelle
Die Einigungsstelle besteht aus einer gleichen Anzahl von Beisitzern, die vom Arbeitgeber und Betriebsrat bestellt werden, und einem unparteiischen Vorsitzenden, auf dessen Person sich beide Seiten einigen müssen. Kommt eine Einigung über die Person des Vorsitzenden oder über die Anzahl der Beisitzer nicht zustande, entscheidet das Arbeitsgericht auf Antrag, § 76 Abs. 2 BetrVG. In der Praxis teilt der Betriebsrat dem Arbeitgeber bzw. der Arbeitgeber dem Betriebsrat seinen Beschluß, eine Einigungsstelle anzurufen, mit und teilt weiterhin mit, wer Einigungsstellenvorsitzender sein soll und wieviele Beisitzer die Einigungsstelle haben soll. Als Einigungsstellenvorsitzende werden regelmäßig Arbeitsrichter eingesetzt. Bei der Wahl des Richters als Einigungsstellenvorsitzender ist darauf zu achten, daß dieser nicht dem Arbeitsgericht angehört, das für den Betrieb zuständig ist. Da der Spruch der Einigungsstelle gerichtlich überprüft werden kann, könnte die Situation entstehen, daß der Richter über seinen eigenen Einigungsstellenspruch zu entscheiden hätte. Daher werden die Arbeitsrichter den Vorsitz der Einigungsstelle ablehnen, wenn "ihr" Arbeitsgericht für den Betrieb zuständig ist. Den Gewerkschaften bzw. Arbeitgeberverbänden sind die Richter bekannt, die als Einigungsstellenvorsitzende in Frage kommen und tendentiell als etwas arbeitnehmer- bzw. arbeitgeberfreundlicher gelten.
Die Anzahl der Beisitzer hängt von der Schwierigkeit oder Komplexität der zu verhandelnden Sache ab. Bei einfachen Regelungen werden zwei Beisitzer auf jeder Seite ausreichen, bei schwierigen oder komplexen Sachverhalten können auch drei oder vier Beisitzer auf jeder Seite angemessen sein. Hat der Arbeitgeber oder der Betriebsrat keine Erfahrung mit der Durchführung von Einigungsstellenverfahren, sollte auf jeden Fall ein Rechtsanwalt oder ein Vertreter des Arbeitgeberverbandes bzw. der Gewerkschaft als Beisitzer mit hinzugezogen werden.
[Bearbeiten] Das Verfahren vor der Einigungsstelle
Das Einigungsstellenverfahren findet regelmäßig im Betrieb oder an einem neutralen Ort statt. Teilnehmer sind ausschließlich die vorher bestimmten Beisitzer und der Vorsitzende. Das Verfahren ist nicht öffentlich. Zum Termin erscheinen die Teilnehmer und tragen dem Vorsitzenden ihre jeweiligen Argumente vor. Da eine "Einigung" erzielt werden soll, ist ein guter Einigungsstellenvorsitzender bestrebt, die Angelegenheit nicht selbst zu entscheiden, sondern die Parteien zu einer Einigung zu bringen. Dazu macht der Vorsitzende oftmals Vorschläge, die dann bei Sitzungsunterbrechungen in den jeweiligen Lagern diskutiert werden. Auf diese Weise soll eine Annäherung der Parteien erreicht werden. Ein Einigungsstellenverfahren über komplexe Sachverhalte, wie beispielsweise die Einführung neuer Technologien, kann sich unter Teilnahme von Sachverständigen über Tage hinziehen, bis sämtliche Details geklärt sind. Ein Einigungsstellenverfahren über eine einfache Regelung kann nach einigen Stunden beendet sein. Können sich die Parteien trotz Einflußnahme durch den Vorsitzenden nicht einigen, erfolgt letztlich eine Abstimmung, in der der Vorsitzende mit abstimmt, § 76 Abs. 3 BetrVG. Aufgrund der Besetzung der Einigungsstelle ergibt sich dann eine Mehrheit auf Arbeitgeber- bzw. Betriebsratsseite, deren Vorschlag als beschlossen gilt. Hat eine Partei keine Beisitzer bestimmt oder erscheint sie nicht zur Verhandlung, entscheiden die erschienenen Mitglieder alleine, § 76 Abs. 5 BetrVG. Auf diese Weise wird gewährleistet, daß eine Seite die Durchführung des Einigungsstellenverfahrens nicht blockieren kann.
[Bearbeiten] Die Wirkung des Einigungsstellenbeschlusses
Der Beschluß der Einigungsstelle wird - gleich ob Arbeitgeber und Betriebsrat sich geeinigt haben oder ob der Einigungsstellenvorsitzende mit abgestimmt hat, vom Vorsitzenden schriftlich niedergelegt, unterschrieben und Arbeitgeber und Betriebsrat zugeleitet, § 76 Abs. 3 BetrVG. Was die Wirksamkeit bzw. die "Verbindlichkeit" dieses Beschlusses anbetrifft, ist zu unterscheiden, ob es sich bei dem Gegenstand der Regelung um einen Bereich der zwingend vorgeschriebenen Mitbestimmung oder um einen sonstigen Bereich handelt.
- Bei der Regelung eines Bereiches, für den das Gesetz ausdrücklich vorsieht, daß der Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt (z.B. § 87 Abs. 2 BetrVG), bildet der Beschluß der Einigungsstelle eine Betriebsvereinbarung im Sinne des § 77 BetrVG.
- Bei der Regelung eines Bereiches, für den das Gesetz eine Einigungsstelle nicht ausdrücklich vorsieht, bildet der Beschluß der Einigungsstelle nur dann eine (freiwillige) Betriebsvereinbarung, wenn beide Seiten sich entweder vorher dem Spruch der Einigungsstelle unterwerfen oder ihn nachträglich annehmen, § 76 Abs. 6 BetrVG. Ansonsten hat der Spruch der Einigungsstelle keine bindende Wirkung.
Dies gilt selbstverständlich nicht, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat sich im Rahmen der Einigungsstelle ohne Parteinahme des Einigungsstellenvorsitzenden geeinigt haben. In diesem Fall kommt eine freiwillige Betriebsvereinbarung auch ohne Unterwerfungs- oder Annahmeerklärung zustande.
[Bearbeiten] Gerichtliche Überprüfung des Einigungsstellenspruches
Der Spruch der Einigungsstelle kann in folgender Hinsicht gerichtlich überprüft werden. Das Gesetz sieht zunächst eine Überprüfung der Frage vor, ob durch die Entscheidung der Einigungsstelle die Grenzen des Ermessens des Einigungsstellenvorsitzenden überschritten wurden, d.h. ob er die Belange des Betriebes und der betroffenen Arbeitnehmer ausreichend berücksichtigt hat.
Weiterhin kann gerichtlich überprüft werden, ob eine Einigungsstelle überhaupt zuständig war. Dies wäre dann nicht der Fall, wenn beispielsweise der Regelungsgegenstand gar nicht mitbestimmungspflichtig gewesen wäre.
Darüber hinaus ist eine gerichtliche Überprüfung möglich, wenn Verfahrens- oder Formfehler gemacht wurden, beispielsweise eine Partei nicht oder nicht rechtzeitig zum Einigunsstellenverfahren eingeladen wurde.
Zuständig für diese Verfahren ist das Arbeitsgericht am Betriebssitz, das hierüber im Beschlußverfahren entscheidet.
[Bearbeiten] Kosten der Einigungsstelle
Die Kosten der Einigungsstelle hat der Arbeitgeber zu tragen. Sie bestehen aus
- dem Geschäftsaufwand, d.h. den unmittelbar durch die Durchführung der Einigungsstelle entstehenden Kosten (Kosten für Räume, Schreibmaterial, Büropersonal usw.);
- Die Vergütung des Vorsitzenden, die dieser unter Berücksichtigung der Schwierigkeit der Angelegenheit und seines Zeitaufwandes selbst festsetzt; dabei hat er den berechtigten Interessen der Mitglieder der Einigungsstelle und des Arbeitgebers Rechnung zu tragen;
- Die Vergütung der - nicht betriebsangehörigen - Beisitzer. Diese erhalten in aller Regel 70 % oder 7/10 der Vergütung des Vorsitzenden;
- Die Kosten eines hinzugezogenen Sachverständigen, die dieser selbst nach den üblichen Sätzen festlegt.
- Die Aufwendungen und Auslagen sämtlicher Mitglieder der Einigungsstelle (Fahrtkosten usw.)
Die Mitglieder des Betriebsrats, die an der Einigungsstelle teilnehmen, erhalten keine gesonderte Vergütung. Vielmehr verweist § 76a Abs. 2 BetrVG auf § 37 Abs. 2 + 3 BetrVG, wo die Fortzahlung der Vergütung bzw. die Ausgleichung von Überstunden wegen Betriebsratsarbeit geregelt ist. Betriebsratsmitglieder erhalten daher lediglich die Fortzahlung ihrer arbeitsvertraglich geschuldeten Vergütung.
Aufgrund dieser Kostenregelung ist Arbeitgebern kleinerer Unternehmen regelmäßig daran gelegen, die Durchführung von Einigungsstellenverfahren zu vermeiden. Umgekehrt nutzen Betriebsräte diese Kostenregelung als Druckmittel, um sich eine bessere Verhandlungsposition außerhalb der Einigungsstelle zu verschaffen.
[Bearbeiten] Literatur
Karl Fitting u.a.: Betriebsverfassungsgesetz. Handkommentar. 23. Auflage. Vahlen, München 2006, ISBN 3-8006-3275-6