Das Muschelessen

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Das Muschelessen ist eine 1990 erschienene Erzählung von Birgit Vanderbeke.

[Bearbeiten] Handlung

Die Erzählung spielt in einem westdeutschen Haushalt in den 1970er Jahren. Sie behandelt einen Zeitraum von etwa vier Stunden, in dem die Mutter und ihre beiden Kinder deren Vater von einer Dienstreise zurückerwarten.

Die Handlung wird dabei aus der Perspektive der bereits volljährigen Tochter erzählt.

Zu Beginn der Erzählung bereitet die Mutter für den Vater dessen Leibspeise, ein Gericht aus Miesmuscheln, zu, da die Familie fest mit seiner Beförderung während der Dienstreise rechnet und diesen Anlass gebührend mit dem Muschelessen, das in der Familie Tradition hat, feiern will.

Der Vater erscheint jedoch nicht wie erwartet um achtzehn Uhr, und so kommt die Familie am Esstisch ins Gespräch über den Vater und über die Geschichte der Familie, die kurz vor Errichtung der Mauer aus der DDR geflohen ist. Der Vater hat es in Westdeutschland zum höheren Angestellten gebracht und will nun ein möglichst bürgerliches Familienleben führen. Sein Verlangen nach einer "richtigen Familie" ist ein zentrales Thema der Erzählung. In der Praxis bedeutet dies, dass alle Familienmitglieder sich dem Vater und dessen Familienbild unterordnen müssen.

Während der Abend fortschreitet und die Familie edlen Wein trinkt, der ebenfalls für den Vater bestimmt war, erfährt der Leser durch Rückblenden in Form von Gesprächen zwischen Mutter, Sohn und Tochter sowie Erinnerungen der Ich-Erzählerin immer mehr zum Teil schockierende Details über den Vater. Wagt es die Familie zu Anfang der Unterhaltung noch nicht, laut über den Vater zu sprechen, da sie befürchtet, er könne jeden Moment herein kommen oder ein anderes Familienmitglied könne dem Vater alles verraten, so schlägt die Stimmung im weiteren Verlauf der Handlung immer mehr gegen den Vater um.

Am Ende der Erzählung klingelt schließlich das Telefon, und nach einem harten Kampf mit sich selbst entschließt sich die Mutter dazu, nicht ans Telefon zu gehen. Statt dessen wirft sie die Muscheln, die eigentlich außer vom Vater von keinem in der Familie gern gegessen werden, in den Müll, und bittet ihren Sohn den Müll nach unten zu bringen.

[Bearbeiten] Figurenkonstellation

Im Mittelpunkt der Familie steht der Vater, der sein Bild einer Familie mit allen Mitteln durchsetzen will. Seine Ansichten von einer glücklichen Familie bedeuten in der Praxis, dass nur er sich seine persönlichen Wünsche erfüllen kann und sich die anderen Familienmitglieder zu Gunsten des Vaters zurückhalten müssen.

Das Bild, das der Vater von einer "richtigen Familie" hat, ist sehr konservativ geprägt. Die Mutter soll den Haushalt führen und bei festlichen Anlässen an der Seite ihres Mannes glänzen, der Sohn soll einmal seinem Vater nacheifern und Naturwissenschaftler werden, während die Tochter eher eine künstlerische Erziehung genießen soll. Allerdings sind die Kinder zum Unglück des Vaters nicht sehr zu dessen Zufriedenheit geraten – der Sohn ist eher musisch veranlagt und wird vom Vater daher als "zu weich" angesehen, während die Tochter auf Grund ihrer hohen Intelligenz als zu kalt und gefühllos für eine Frau gilt.

Die Mutter, die als Lehrerin arbeitet, ist in ihrem ganzen Leben ein Produkt der Wünsche anderer gewesen. Ihr Berufswunsch – Musikerin – blieb ihr verwehrt, und nun wird sie mehr oder weniger als Hausangestellte des Vaters behandelt. Als sie einmal im Krankenhaus lag, wurde sie vom Vater nach einer Woche wieder nach Hause geholt, um sich um den Haushalt zu kümmern.

Wenn sich jemand in der Familie nicht nach seinen Anweisungen richtet, wendet der Vater häufig Gewalt an. Um die Gunst des Vaters zu erwerben, meldet jedes Familienmitglied ihm regelmäßig die Vergehen der anderen, die er dann bestraft.

[Bearbeiten] Interpretation

Neben der unmittelbaren biografisch-psychologischen Aussage zum Zerfall der Familie kann die Erzählung, die zur Zeit der zerfallenden DDR entstand, auch als Parabel auf diese Zeit gesehen werden. Die Form des Bespitzelns, die in der Familie vorherrscht, erinnert stark an die Stasi, unter der ein ungestörtes Privatleben praktisch unmöglich war. Die im Verlauf der Erzählung hoch kochende Unzufriedenheit kann als Symbol für die wachsende Opposition in der DDR während des Jahres 1989 gedeutet werden, das Wegwerfen der Muscheln am Ende für den Sturz des Vaters und damit den Sturz der alten Machthaber. Das offene Ende entspricht den unklaren Verhältnissen in der DDR des Jahres 1990.

Obwohl die Autorin ausdrücklich betont, dass jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen unbeabsichtigt sei, finden sich viele Parallelen zur Biografie von Birgit Vanderbeke, die, geboren 1956, als Kind mit ihren Eltern von der DDR in die Bundesrepublik floh.