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Bildungsroman

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Der Bildungsroman ist eine im Deutschland der Aufklärung entstandene Romanart, die den Entwicklungsprozess eines - meist jungen - Helden zum Thema hat. Dieser erreicht im Idealfall das damalige Ideal eines gebildeten Menschen. Der Begriff geht zurück auf Vorträge des Dorpater Philologen Johann Carl Simon Morgenstern, der im Bildungsroman die "das Wesen des Romans im Gegensatz des Epos am tiefsten erfassende besondere Art desselben" sah.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Wesentliche Grundmerkmale

[Bearbeiten] Inhaltlich und formale Grundstruktur

In einem Bildungsroman geht es um die "Auseinandersetzung einer zentralen Figur mit verschiedenen Weltbereichen" (Jacobs S. 271). Somit nimmt der Bildungsroman formal gesehen eine "Zwischenstellung zwischen [dem] Figuren- und [dem] Raumroman" (ebd.) ein. Die zentrale Figur, der Held, macht eine Entwicklung durch, die von seinem Verhältnis zu den "verschiedenen Weltbereichen", also seiner Umwelt, bestimmt wird (vgl. Jacobs S. 14). Das Ganze spielt sich meistens in der Jugend des Helden ab, und die erzählte Zeit erstreckt sich über mehrere Jahre, oft sogar Jahrzehnte. Der Bildungsroman weist somit Elemente einer Biografie auf (vgl. Selbmann S. 39).

[Bearbeiten] Bezug auf den Bildungsbegriff der Aufklärung

Eine zentrale Rolle bei dieser Entwicklung spielt hier allerdings - im Unterschied zum reinen Entwicklungsroman - der (historische) Bildungsbegriff. Aus der Antike abgeleitet, meint der Begriff "Bildung" seit der Aufklärung und dem Sturm und Drang die von staatlichen und gesellschaftlichen Normen freie individuelle Entwicklung des Einzelnen zu einem höheren, positiven Ziel(vgl. Selbmann S. 2). Der Begriff beinhaltet außerdem sowohl die Bildung des Verstandes als auch die Bildung des Nationalcharakters (ebd.). Ein weiteres Kennzeichen des historischen Bildungsbegriffes ist die "Anbildung" äußerer Einflüsse ebenso wie die Entwicklung und Entfaltung vorhandener Anlagen (ebd.). Siehe auch Bildung. Jeder echte Bildungsroman bezieht sich auf diesen namensgebenden Begriff (vgl. Jacobs S. 14)

[Bearbeiten] Bildungsverhältnis zwischen gebildetem Autor, Hauptfigur und Leser

"Bildung" sollte aber nicht nur das Thema des Bildungsromans sein, sondern auch dem Leser vermittelt werden (vgl. Selbmann S. 37). Ähnlich wie im didaktischen Aufklärungsroman geschah dies durch das "missionarische Überlegenheitsgefühl eines sich selbst bewussten Erzählers, der seinen Bildungsvorsprung gegenüber Held und Leser geltend machen [konnte]" (Selbmann S. 40). Dieser distanzierte, oft ironische Erzähler (vgl. Selbmann S. 27) war also neben dem Helden und dem Leser die wesentliche Figur eines Bildungsverhältnisses, das er mit jenen bildete und das Bildungsgeschichte genannt wurde (vgl. Selbmann S. 39f.).

[Bearbeiten] Inhalts- und aufbauspezifische Merkmale

[Bearbeiten] Häufig dreiteiliger Aufbau

Der Aufbau des Bildungsromanes ist häufig dreigeteilt, nach dem Schema "Jugendjahre - Wanderjahre - Meisterjahre", wie z. B. in Goethes "Wilhelm Meisters Lehrjahre", der nach wie vor als Ideal und Prototyp des deutschen Bildungsromanes gilt (vgl. Borcherdt S. 177). Dieses dreiteilige Schema besitzen aber nicht alle Bildungsromane (vgl. Selbmann S. 23).

[Bearbeiten] Gegensatz Held - Umwelt

Der Held des Bildungsromans ist zunächst seiner Umwelt direkt entgegengesetzt. Während er noch jung, naiv und voller Ideale ist, steht ihm eine ablehnende, realistische Welt entgegen, in der nur Weniges nach seinen Vorstellungen abläuft. Jacobs spricht von einem "Bruch zwischen idealerfüllter Seele und widerständiger Realität" (Jacobs S. 271). Die Folgen sind Unverständnis und Ablehnung auf beiden Seiten (vgl. Hegel S. 557).

[Bearbeiten] Aneignung konkreter Erfahrung des Helden

Dieses Verhältnis des Helden zu seiner Umwelt setzt nun seine Entwicklung, seine Bildung in Gang. Der Held macht in seiner Umwelt konkrete Erfahrungen, die ihn allmählich wachsen und reifen lassen. Es wird dargestellt, "wie er in glücklicher Dämmerung in das Leben eintritt, nach verwandten Seelen sucht, der Freundschaft begegnet und der Liebe, wie er nun aber mit den harten Realitäten der Welt in Kampf gerät und so unter mannigfachen Lebenserfahrungen heranreift". (Dilthey S. 327).

[Bearbeiten] Aussöhnung mit der Welt als Ergebnis

Diese Entwicklung endet in "einem harmonischen Zustand des Ausgleichs" (Jacobs S. 14) mit der Umwelt. Der "Wandlungsprozeß des Helden [hat ihn] ... zur Klarheit über sich selbst und über die Welt [ge]führt" (ders. S. 271). Der Held hat sich also mit der Welt versöhnt und nimmt in ihr seinen Platz ein, ergreift z. B. einen Beruf "und wird Philister, so gut wie die anderen auch" (Hegel S. 557f.). Er wird damit ein Teil der Welt, die er vorher so verachtet hat.

[Bearbeiten] Rückblicke des Helden an wichtigen Stellen

Als weiteres Merkmal des Bildungsromans sind an wichtigen Stellen, an den "Angelpunkten der Entwicklung" (Jacobs S. 271), Rückblicke und Reflexionen des Helden eingeschoben. Diese sollen den Roman einerseits formal gliedern, andererseits dienen sie zur Verdeutlichung der Entwicklung: Sie trennen die einzelnen Stufen dieser Entwicklung voneinander und schließen sie jeweils ab (ebd).

[Bearbeiten] Beispiele

Als erster Bildungsroman gilt Christoph Martin Wielands um 1766 entstandene Geschichte des Agathon. Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre wird immer wieder als besonders vorbildlicher Bildungsroman genannt; allerdings strebt der Held hier nach einem adligen Bildungsideal (gleichmäßige Ausbildung von Körper und Geist) und verleugnet seine bürgerliche Herkunft. Der von Goethe "kleiner Bruder" titulierte Karl Philipp Moritz liefert mit seinem autobiographischen "Anton Reiser" (1785 - 1790) das Beispiel für einen misslungenen Bildungsgang und damit ein Werk, das als "negativer Bildungsroman" in die Literaturgeschichte eingeht.

Ein beispielhafter Bildungsroman ist etwa Gustav Freytags "Soll und Haben".

Von literarisch höherer Qualität sind meist die Bildungsromane, in denen der Held scheitert, etwa in Gottfried Kellers "Der grüne Heinrich", oder in denen das Ziel der Bildung fragwürdig geworden ist, wie in Adalbert Stifters "Der Nachsommer".

"David Copperfield" (1849) ist ein bekannter und pseudo-autobiographischer Bildungsroman von Charles Dickens.

"Demian" (1919) ist ein bekannter Bildungsroman mit autobiographischen Elementen von Hermann Hesse. Die Erzählung hatte - so berichtet Thomas Mann in seinem Vorwort zur amerikanischen Ausgabe des Buches - auf die junge Generation nach dem Ersten Weltkrieg "eine elektrisierende Wirkung und traf mit unheimlicher Genauigkeit den Nerv der Zeit", ähnlich Goethes Werther, dessen Wirkung Thomas Mann mit der des Demian vergleicht. [Quelle: Präambel von Suhrkamp Taschenbuch 3369 1. Aufl. 2002]

Thomas Mann lässt in der Labor-Atmosphäre eines Lungen-Sanatoriums auf dem Davoser "Zauberberg" (1924) die abendländische Kulturgeschichte vor den Augen seines jungen Helden Hans Castorp Revue passieren, bevor dieser sich der Perversion aller Bildung hingibt und in den Ersten Weltkrieg zieht. In "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" (1922/1954) wird der Bildungsroman mit dem Schelmenroman verknüpft.

Ein moderner Bildungsroman, der sich direkt auf die Tradition der Gattung bezieht, ist "Der kurze Brief zum langen Abschied" von Peter Handke (1972).

[Bearbeiten] Bibliographie

  • Hans Heinrich Borcherdt: Bildungsroman in: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. 2. Aufl. 1958, I. Band. S. 175-178.
  • Wilhelm Dilthey: Das Erlebnis und die Dichtung. Lessing, Goethe, Novalis, Hölderlin. Vier Aufsätze. Leipzig 1906. S. 327-329
  • Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik. Hrsg. v. Friedrich Bassenge. Berlin 1955 (=Klassisches Erbe aus Philosophie und Geschichte)
  • Jürgen Jacobs: Wilhelm Meister und seine Brüder. Untersuchungen zum deutschen Bildungsroman. München 1972
  • Fritz Martini: Der Bildungsroman. Zur Geschichte des Wortes und der Theorie, in: DVjs 35 (1961), S. 44–63
  • Rolf Selbmann: Der deutsche Bildungsroman. Stuttgart 1984 (=Sammlung Metzler 214)


[Bearbeiten] Weblinks

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